Serbiens Präsident Alexander Vučić machte Stimmung gegen einen Oppositionspolitiker – später tauchten gefälschte Unterlagen zu dessen angeblichen Bankkonten auf

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Serbiens Präsident Alexander Vučić war auf Staatsbesuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, als ein TV-Reporter die Gelegenheit nutzte: Ob es stimme, dass Serbiens Regierung Kontakte zum organisierten Verbrechen habe, fragte er. Vučić reagierte prompt – und beschuldigte Belgrads Ex-Bürgermeister Dragan Djilas, hinter den Vorwürfen zu stecken. Vučić ging sogar noch weiter: Er behauptete, dass der Oppositionspolitiker Djilas sein Geld bei Banken auf der ganzen Welt versteckt habe. Weitere Details würden in Kürze veröffentlicht werden.

Und tatsächlich: Nur wenige Tage später, im Frühjahr 2021, berichteten regierungsfreundliche serbische Medien über angebliche Offshore-Konten von Djilas. Der Politiker habe mehrere Millionen Euro auf Konten in Mauritius und der Schweiz versteckt, behauptete die serbische Boulevardzeitung "Večernje Novosti". Der serbische Finanzminister Siniša Mali wedelte im Fernsehen mit einem Dokument herum, welches die Vorwürfe angeblich belegen sollte.

Manipulierte Daten

Nun zeigen neue Recherchen: Die Dokumente waren offenkundig gefälscht, die vermeintlichen Konten gab es nicht – und hinter der Fälschung steckte offenbar "Team Jorge": ein israelisches Geheimunternehmen, das weltweit dutzende Wahlen manipuliert haben will, wie im Februar im Zuge der internationalen "Storykillers"-Recherchen enthüllt wurde.

Das Team Jorge soll vom Umfeld des serbischen Präsidenten Alexander Vučić mit einer Schmutzkampagne gegen den Oppositionspolitiker Dragan Djilas beauftragt worden sein. Das legen Dokumente nahe, die dem "Storykillers"-Recherchekonsortium, dem in Österreich exklusiv DER STANDARD angehört, zugespielt wurden.

Das israelische Unternehmen lieferte demnach einen Bericht über Djilas' Bankkonten und soll darin auch Falschinformationen inkludiert haben. Das Team Vučić habe die teils manipulierten Daten dann an Medien weitergegeben, um den Oppositionspolitiker zu desavouieren und von Enthüllungen über eigene Malversationen abzulenken.

Sudelkampagne über Vučić-TV

Vučićs Macht beruht seit Jahren auf einem System von Propaganda und Kontrolle, dessen Pfeiler einige TV-Sender und Zeitungen sind. Die nutzt er geschickt, um Stimmungen zu beeinflussen, Themen zu setzen und Gegner zu desavouieren. Der Präsident dominiert nicht nur die Regierung, obwohl er dieser nicht angehört, sondern ist auch Parteichef.

Wenige Tage nach Vučićs Besuch in den Emiraten lieferte dann auch schon die erste Zeitung aus seinem Umfeld Munition gegen Djilas. In "Večernje Novosti" war direkt unter der Überschrift zu lesen: "Am Tag des 12. Dezember 2020 hatte er fast 6,4 Millionen Euro auf den Bankkonten in diesen beiden Ländern." Die Informationen hatte die Autorin nach eigenen Angaben aus einem anonymen Tipp.

Eindeutige Fälschungen

In den Vučić-Medien wurde fortlaufend wahrheitswidrig behauptet, dass Djilas über enorme Geldsummen verfüge, die er über seine Unternehmen auf verschiedenen Konten auf der ganzen Welt verteilt habe. Zudem wurde behauptet, Djilas habe das Geld illegal verdient, aus Serbien herausgebracht, und er habe Steuern hinterzogen. Beweise wurden freilich nicht geliefert.

Die angeblichen Daten zu den Konten in der Schweiz und auf Mauritius waren nämlich gefälscht. Dies bestätigte auch die Schweizer Bank Société Generale dem Anwalt von Djilas. Die angeblichen Deutsche-Bank-Konten von Djilas auf Mauritius kann es nicht gegeben haben, denn die dortige Filiale war bereits zuvor – im Jahr 2018 – geschlossen worden. Es wäre also ein Leichtes für die Medien gewesen, die Sache als Fälschung aufzudecken.

Doch die Fakten hinderten die Vučić-Medien offenbar nicht, mit der Diffamierungskampagne weiterzumachen. Es gab sogar spezielle Fernsehsendungen, in denen Finanzminister Siniša Mali und der Direktor der Behörde zur Verhinderung der Geldwäsche im Finanzministerium, Željko Radovanović, über das Bankkonto von Djilas sprachen.

Auch die Parteileute von Vučićs SNS beteiligten sich an der Diffamierungs-Kampagne, die vom Skandal rund um Vučić ablenken sollte. Laut der NGO Crta, die die serbische Innenpolitik evaluiert, erwähnten die SNS-Abgeordneten die angebliche "Mauritius-Affäre" zwischen dem 11. März und dem 7. April 186-mal während der Parlamentssitzungen.

Ablenkungsmanöver

Ein halbes Jahr später, als Finanzminister Mali selbst unter Druck geriet, wurde wieder eine Kampagne gegen Djilas gestartet. Diesmal ging es um Geld, das Djilas Unternehmen geliehen haben soll. Medien, die der Regierung nahestehen, bezichtigten interessanterweise Djilas genau jener Methoden, die die Leute um Vučić selbst anwendeten. "Serbian Monitor" schrieb etwa, dass "Djilas medialen und politischen Raum im Land kontrolliert" und "mit verdächtig erworbenen Millionen" Journalisten wie Söldner kaufe. Diese zweite Kampagne sollte davon ablenken, dass im Oktober 2021 durch die Veröffentlichung der Pandora-Papers aufgedeckt wurde, dass Mali selbst 24 Wohnungen über Offshore-Unternehmen an der bulgarischen Küste im Wert von fünf Millionen Euro besitzt.

Mali war bereits 2014 wegen des Plagiats seiner Doktorarbeit in die Schlagzeilen gekommen. Der aus Serbien stammende und an der Wiesbadener EBS-Universität für Wirtschaft und Recht lehrende Finanzprofessor Raša Karapandža sagt, dass Malis Dissertation das schlimmste Plagiat sei, das er bisher gesehen habe. Am 21. November 2019 entschied auch die Ethikkommission der Universität Belgrad, dass es sich bei Malis Dissertation um ein Plagiat handle. Politische Konsequenzen hatte das für Mali nicht – er ist schließlich bei der "richtigen" Partei.

Die Rufmordkampagne gegen Djilas zeigt, wie sehr die SNS von Vučić mittlerweile die staatlichen Institutionen unterlaufen hat. Denn auch die Anti-Geldwäsche-Behörde von Radovanović kündigte an, eine Untersuchung der angeblichen Verbindungen von Djilas zum Unternehmen Ascanius LTD in Mauritius eingeleitet zu haben.

"Wahrheit mit einer Tonne Schlamm bedeckt"

Die Serbische Nationalbank beschuldigte Djilas, die Unwahrheit gesagt zu haben. In einem Interview sagte Djilas, dass er wisse, dass Vučićs Partei ihm seine früheren Siege bei den Lokalwahlen in Belgrad nicht "verzeihen" würde – er war von 2008 bis 2013 Bürgermeister der serbischen Hauptstadt. Er beschuldigte den Präsidenten, "Hass und Spaltungen zu verbreiten, zu lügen und jede Wahrheit mit einer Tonne Schlamm zu bedecken".

"Innerhalb nur eines Jahres war mein Name auf mehr als tausend Titelseiten von Medien unter der Kontrolle des Regimes", erzählt Djilas dem STANDARD. "Auch im Fernsehen mit landesweiter Sendefrequenz wurden mehr als tausendmal Schmutzkampagnen mit eklatanten Lügen über mich verbreitet."

Besonders schlimm sei während der Ausgangssperre aufgrund der Pandemie gewesen. Das Regime habe auf Tausenden von Dächern in serbischen Städten und Gemeinden über leistungsstarke Lautsprecher und Verstärker die Fake-News, dass er ein Dieb sei, verbreitet. Weil die Regime-Medien in Serbien so dominant sind, wissen die allermeisten Bürgerinnen und Bürger bis heute nicht, dass es sich um Lügen handelte, um Rufmord in Verbindung mit Djilas zu betreiben.

Djilas wehrte sich auch öffentlich und verwies auf die Bestätigung der Société Generale, dass die angeblichen Konten gar nicht existierten und dass die "Beweise" gefälscht seien. Doch Finanzminister Mali erfand einfach eine andere Bank auf Mauritius, auf der Djilas angeblich Konten haben würde, freilich ohne jegliche Beweise.

Djilas reichte zudem Anzeigen gegen Finanzminister Mali und Vučić wegen Beteiligung "an der Fälschung von Dokumenten" ein.

Erfolglose Anzeigen

Doch der Staatsanwalt war womöglich auch nicht ganz frei in seinen Entscheidungen. In EU-Berichten wurde für das Unterlaufen der Institutionen schon vor Jahren der Begriff "state capture" verwendet. Obwohl Djilas beweisen konnte, dass die Dokumente gefälscht waren, wies die Staatsanwaltschaft die Anzeige einfach zurück. Die Journalistin, die die Dokumente verwendete, konnte sich auf das Redaktionsgeheimnis berufen. Die Anti-Geldwäsche-Einheit im Finanzministerium behauptete, dass sie gar keine Dokumente erhalten habe und es auch keine Ermittlungen gegen Djilas gebe.

Der Staatsanwalt argumentierte, es gebe keine rechtlichen Konsequenzen für Djilas, da gar keine Ermittlungen auf der Grundlage der veröffentlichten Dokumente eingeleitet worden seien. Djilas legte daraufhin Berufung ein und zeigte den Staatsanwalt an, weil dieser nicht festgestellt hatte, dass die Dokumente gefälscht waren. Doch auch diese Anzeige wurde final abgewiesen.

Team-Jorge-Vermittler weiterhin für Vučić aktiv

Was Djilas damals offenbar nicht wusste, war, dass mutmaßlich ein israelischer Politikberater hinter der gesamten Kampagne steckte und das Team Jorge involvierte (der Politikberater dementiert das). Der Politikberater aus Israel, dem laut den Unterlagen, die Forbidden Stories zugespielt wurden, für die Kampagne gegen Djilas zuständig war, hat bereits 2017 für Vučićs Kampagne gearbeitet.

Zuvor hatte er auch schon Premier Benjamin Netanjahu 2015 zum Sieg seiner Likud-Partei verholfen – und 2022 war er wieder für Vučić aktiv und gestaltete etwa jenes Video, in dem der Präsident aus einem Kühlschrank ins Wohnzimmer der Serbinnen und Serben tritt.

Die Recherchen zeigen erstmals im Detail, wie das Team Jorge auch in Europa agierte. Bei dem Verkaufsgespräch mit Undercover-Journalisten hatten Vertreter des Unternehmens wie Firmenchef Tal Hanan behauptet, bereits Kampagnen in Nigeria, Kenia oder Indonesien durchgeführt zu haben.

Tatsächlich gab es in diesen Ländern Ungereimtheiten rund um Wahlen. Team Jorge demonstrierte den Journalisten, die als Mittelsmänner für einen Geschäftsmann auftraten, in dem Verkaufsgespräch unter anderem, wie E-Mail- und Messengerkonten von Personen aus der kenianischen Politik in Echtzeit gehackt werden konnten. Auch ein Bericht über Bankkonten eines afrikanischen Politikers wurde präsentiert, der jenem über Djilas stark ähnelte. Auf Anfrage betonte Hanan, der einst im israelischen Militär Karriere gemacht hatte, nichts Widerrechtliches getan zu haben. Auf eine Anfrage zu den Vorgängen in Serbien antwortete er nicht.

Existenz und Methoden des Team Jorge waren erstmals im Februar im Rahmen des Projekt "Storykillers" enthüllt worden. Mehr als hundert Journalisten aus dreißig Medien hatten zuvor unter Koordination von Forbidden Stories zu Desinformation recherchiert, in Österreich erscheinen die Ergebnisse exklusiv im STANDARD. (Adelheid Wölfl, Fabian Schmid, Gur Meggido, Frederik Obermaier, Khadija Sharife, Milica Vojnović, 24.3.2023)