Die Sinologin und Politikwissenschafterin Susanne Weigelin-Schwiedrzik schreibt in ihrem Gastkommentar über die Bedeutung des Besuchs von Xi Jinping in Russland und darüber, welche Rolle sein Land künftig einnehmen wird.

Xi Jinping hat seinen Besuch in Moskau genutzt, um eine neue Ära in der chinesischen Außenpolitik einzuläuten. Die Zeiten, da China sich eng mit den USA verbunden sah, sind vorbei. Die USA, sagte Xi vor dem Nationalen Volkskongress wenige Tage vor seiner Abreise, wollten nicht nur die weitere ökonomische Entwicklung verhindern, sondern sie betrieben auch eine Politik der Ausgrenzung und Isolierung Chinas. China sieht sich in ein Bündnis mit Russland gedrängt, das es in dieser Form gerne vermieden hätte. Doch in Peking sieht man offensichtlich keinen anderen Ausweg mehr.

Ein willkommener, groß inszenierter Besuch im Kreml: Chinas Staatschef Xi bekräftigte das strategische Bündnis mit Putins Russland. Sein Land orientiert sich geopolitisch neu.
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Angesichts der drohenden Abkoppelung der US-amerikanischen und europäischen Wirtschaft braucht China dringend Ersatz. Die Investitionen im Rahmen der "Belt and Road"-Initiative haben Chinas Präsenz entlang der Seidenstraße verstärkt, tragen aber kaum zur positiven Entwicklung der Wirtschaft bei. Russland bietet sich nun nicht nur als Rohstofflieferant und als Markt für chinesische Produkte an, sondern auch als Investitionsstandort im Zuge einer weiteren Modernisierung von Landwirtschaft und Industrie. Das Bündnis mit Russland, sagte Xi am Ende seines Besuchs, diene der ökonomischen Weiterentwicklung beider Länder. Es ist die Strategie, mit der sich China gegen den möglichen Verlust seiner bisher wichtigsten Handelspartner neu aufstellt.

Konflikt mit den USA

Bereits vor Beginn des Ukrainekriegs hat die Biden-Administration Russland und China als Hauptfeinde der USA ausgemacht, aber zugleich unterstrichen, dass China das einzige Land sei, das die globale Vorherrschaft der USA infrage stellen könne. Statt nun alles daran zu setzen, ein Bündnis dieser beiden Gegner zu verhindern, haben die Washingtoner Strategen entschieden, es mit beiden Gegnern gleichzeitig aufzunehmen. Sie meinen, dass die militärische Schwächung Russlands im Ukrainekrieg dazu dienen werde, die mögliche Unterstützung Chinas in einer militärischen Auseinandersetzung um Taiwan durch Russland obsolet zu machen. Nur wenn Russland in der Ukraine geschlagen werde, könne man China von einer militärischen Einnahme Taiwans abhalten. Die beiden Gegner der USA sollen geschwächt und schließlich in die Knie gezwungen werden: Habe China seine wichtigsten Handelspartner USA und Europa erst einmal verloren, nütze ihm die Zusammenarbeit mit Russland nichts. Das ohnehin angeschlagene Image Chinas werde durch ein Bündnis mit einem Pariastaat, so das Kalkül in Washington, noch mehr leiden und bisher unentschiedene Länder dazu veranlassen, sich von China zu distanzieren.

Rasches Kriegsende

Dass trotzdem nicht alles nach Plan läuft, kann man daran erkennen, dass seit der Veröffentlichung des chinesischen Zwölf-Punkte-Positionspapiers im Februar die westlichen Medien höchst nervös reagiert haben. Einerseits wird der Besuch Xis in Moskau angesichts des Haftbefehls für Wladimir Putin als unmoralisch kritisiert und die Einladung Putins nach Peking gegeißelt. Dabei ist China dem Internationalen Gerichtshof (wie die USA und Russland) nicht beigetreten und deshalb nicht verpflichtet, dessen Entscheidungen anzuerkennen. Andererseits wird unterstellt, dass China es mit seinem Friedensplan für die Ukraine gar nicht ernst meine. Dabei müsste klar sein, dass China der wiederholten Aufforderung, seinen Einfluss auf Russland geltend zu machen, damit der Krieg möglichst schnell beendet wird, nicht nachkommen kann, wenn es nicht das Gespräch mit Putin sucht.

China hat in seinem Positionspapier deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es sich aus ureigenem Interesse für ein rasches Ende des Kriegs einsetzt. Nur wenn Russland nicht mehr im Krieg ist, kann China seine Investitionstätigkeit in Russland aufnehmen. Damit es nicht vorher schon in eine tiefe Wirtschaftskrise taumelt, weil die Abkoppelung von Europa und den USA schneller verläuft, als der Krieg beendet werden kann, muss es sich für einen Waffenstillstand als Voraussetzung für einen Friedensvertrag einsetzen. Deshalb wird es nicht nur seinen Einfluss geltend machen, sondern Druck auf Russland ausüben, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.

"Das nun vertiefte strategische Bündnis zwischen Peking und Moskau verstärkt Chinas Einflussmöglichkeiten auf den Kriegsverlauf in der Ukraine."

Denn China steht eine militärische Niederlage oder gar der politische Zusammenbruch Russlands als Schreckgespenst vor Augen. Die Sicherheit Chinas, so die Wahrnehmung der Pekinger Analysten, würde nicht nur durch die Situation in der Taiwanstraße, sondern auch an seiner nördlichen Grenze empfindlich beeinträchtigt.

Putin hat davon gesprochen, China für den Erfolg seines ökonomischen Aufbaus zu bewundern. Auch hat er in aller Deutlichkeit formuliert, dass er die Bemühungen Chinas um die Wiederherstellung des Friedens unterstütze. Ob und wann Xi sich der Ukraine zuwenden wird, ist derzeit noch nicht klar. Aber Außenminister Qin Gang hat noch vor Xis Reise nach Moskau mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba gesprochen – ein Zeichen dafür, dass hier der Gesprächskanal angelegt wird. Das nun vertiefte strategische Bündnis zwischen Peking und Moskau verstärkt Chinas Einflussmöglichkeiten auf den Kriegsverlauf in der Ukraine, weil China Russland die Möglichkeit eröffnet, im Falle einer Beendigung der Kriegshandlungen die ökonomische Entwicklung des Landes so voranzutreiben, wie China das mithilfe von westlichen Investoren erfahren hat.

Neue Hoffnung

Die Welt ist aber nach dem Besuch Xis bei Putin alles andere als sicherer geworden. Im Gegenteil: Die Konkurrenz zwischen den drei Nuklearmächten USA, China und Russland hat eine neue Stufe erreicht. Zwar beteuern Xi und Putin, es handele sich nicht um eine Allianz und das Bündnis sei nicht gegen Dritte gerichtet, doch hat Putin ganz offen ausgesprochen, gegen wen das Bündnis gerichtet ist: gegen eine Weltordnung unter der Führung der USA. Xi hat dem nicht widersprochen. China hat seine Hoffnung auf eine einvernehmliche Lösung des Konflikts mit den USA verloren. Jetzt schöpft es neue Hoffnung aus einer Zusammenarbeit mit Russland. Ob diese zu seinen Gunsten oder letztlich zu seinem Nachteil gereichen wird, hängt davon ab, wie schnell der Krieg in der Ukraine beendet wird. (Susanne Weigelin-Schwiedrzik, 24.3.2023)