Draußen der Schanigarten ist voll, drinnen im Schwarzen Kameel, gleich ums Ecks des Graben und im "Goldenen Quartier" gelegen, eilt Hausherr Peter Friese herbei. Grüßt hierhin, grüßt dorthin, setzt sich und erzählt, oft lachend, von Gästen, Fritteuse und guten Zahlen.

STANDARD: Gesetzt den Fall, die Wiener Politik käme wie die niederösterreichische auf die Idee, nur noch Wirte mit regionaler Küche zu unterstützen: Ihr Schwarzes Kameel wäre dabei, ist schon sehr wienerisch?

Friese: Seltsame Idee. Ich will gar keine Förderungen, will nur ganz normal arbeiten dürfen. Die größte Förderung ist: keine Behinderung. Lasst uns arbeiten, lasst uns tun! Die Bürokratie wird immer mehr, alles wird immer strenger. Aber natürlich: Wir sind sehr wienerisch.

"Also, der Durchschnitt unserer Gäste hat kein Prada-Sackerl in der Hand. Wir haben ganz normale Gäste": Peter Friese, Eigentümer des Schwarzen Kameel.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Am bekanntesten sind die Schinkenbrötchen mit Kren. Warum kommt ein Spritzer Essig drauf?

Friese: Ein Schuss Essig kommt auf den Kren, damit der nicht grau wird. Unser Fleischhauer hat ja für unseren Beinschinken eine spezielle Rezeptur, und unser Geheimnis ist, dass wir so viel aufschneiden, hundert, 200 Kilo am Tag, zu Ostern ist es noch mehr.

STANDARD: Haben Sie den "Hausfrauensalat" schon umbenannt?

Friese: Wir wollten einmal einen neuen Namen finden, aber das ist wieder eingeschlafen. Es ist nichts Böses damit gemeint, und es gibt ja auch das Diplomatensandwich, das hat auch kein Diplomat gemacht.

STANDARD: Apropos: Ihr Vater wollte, dass Sie Diplomat werden. Warum haben Sie stattdessen das Lokal Ihrer Eltern übernommen?

Friese: Die schulischen Leistungen waren zu schwach. Ein enger Freund meiner Eltern war Diplomat und jeden Tag auf einen Espresso bei mir. Er war ein wandelndes Geschichtslexikon, und als er schon im Ruhestand war, habe ich ihn oft nach seiner Einschätzung zu politischen Ereignissen gefragt, aber er sagte dann nur: "Ich hab mit der Politik abgeschlossen. Ich schau mir nur noch Sport im Fernsehen an." Vielleicht bin ich eines Tages wie er und schau nur noch Fußball.

STANDARD: Eishockey doch eher. Sie sind ja Eishockeyspieler.

Friese: Ich bin als Kind quasi am Wiener Eislaufverein aufgewachsen, wir haben ja in der Stadt gewohnt. Und ich hab es bis in die Bundesliga geschafft, und meine Freunde lassen mich heute noch mittrainieren. Einmal pro Woche spiele ich mit ihnen in der Stadthalle, und dann ist die Welt für mich in Ordnung: Dort ist alles so normal, dort hält mich alles am Boden. Ist eine Riesenhetz.

STANDARD: Sie sagen immer: Drei Brötchen und ein Achtel Schankwein müssen sich um zehn Euro ausgehen, dann passt's. Jetzt geht sich das gerade noch aus. Spüren Sie die Inflation am Konsumverhalten Ihrer Kundschaft?

Friese will, dass sich drei Brötchen und ein Achtel Schankwein ausgehen, um zehn Euro. Im Delikatessengeschäft wird es mit diesem Budget schwieriger.
Foto: Regine Hendrich

Friese: Wir sind zum Glück breiter aufgestellt, haben die Tagesbar, das kleine Restaurant, die Beletage für Veranstaltungen ...

STANDARD: Ah, da tragen die Kellnerinnen und Kellner die Speisen exakt choreografiert, völlig synchron für jeden Gast auf. Wie ein Ballett.

Friese: Das ist mir ein großes Anliegen: Alle müssen gleichzeitig zu essen beginnen können. Denn da kann der Koch noch so toll sein, wenn das Essen lauwarm ist, nützt das gar nichts. Und noch zu unseren Standbeinen: Wir haben auch das kleine Delikatessengeschäft und ein wenig Party- und Lieferservice. Es ist völlig egal, ob wer zu uns kommt und ein Glas Champagner oder nur ein Glas Schankwein trinkt, das Entscheidende ist: Er muss kommen und sich wohlfühlen.

STANDARD: Die Leute dürften aber mehr konsumieren: Sie haben rund 150 Angestellte, 2021 rund zwölf Millionen Euro umgesetzt und 1,2 Millionen Euro Gewinn nach Steuern gemacht. Sind Sie wieder auf Vor-Corona-Niveau?

Friese: Ja, unsere Zahlen sind gut, wir stehen gut da.

STANDARD: Sie bekamen rund eine Million Euro Corona-Förderungen ...

Friese: Ja, aber für uns wäre es einfacher gewesen, nichts zu bekommen und weiterarbeiten zu dürfen. Wir haben zwar Kurzarbeit gehabt, aber alle Leute weiterbeschäftigt

STANDARD: Sie haben täglich von 8 bis 24 Uhr offen, arbeiten in drei Schichten. Finden Sie genug Personal?

Friese: Wir leiden natürlich auch unter der Personalknappheit, und mit Geld allein kann man nicht mehr alles erledigen. Das mit den Extra-Benefits oder höheren Einstiegsgehältern ist nicht so leicht, weil das dann die, die schon länger hier arbeiten, auch verlangen.

STANDARD: Wie kommen Sie aus dieser Spirale raus?

Friese: Indem wir zu wenig Leute haben. Wir bräuchten zehn Mitarbeiter mehr, hauptsächlich Köchinnen und Köche. Bei uns müssen die Leute in der Küche alles können, Convenience mit fertig gekocht gelieferten Speisen, die man nur noch in die Fritteuse werfen muss, haben wir nicht. Gegen eine Fritteuse wehre ich mich mit Händen und Füßen. Wir haben keine. Als ich im Bristol gelernt habe, haben die Jungen die Chefköche bekocht, die gingen nicht in die Kantine. Und die hätten nie ein Schnitzel gegessen, das aus der Fritteuse kommt, nie: Pfanne nehmen, Öl rein, Schnitzel machen, Öl wegschütten. So war das.

STANDARD: Wie viele Köchinnen und Köche stehen in Ihrer Küche?

Friese: Um die zehn, insgesamt 30 Leute. Koch-Sein ist Knochenarbeit.

STANDARD: Wo haben denn eigentlich Sie selbst einst als Sohn der Kameel-Eigentümer Ihre Abende verbracht?

Friese: Das Kameel war damals noch nicht bekannt, bekannter war die Aida neben uns. Die gibt’s noch immer, aber wir haben sie inzwischen überholt. Ich bin damals in kein Lokal gegangen, in dem ich einen Gast getroffen hätte …

STANDARD: Aber ins Café Alt Wien?

Friese: Ja, dort zum Beispiel waren wir versteckt, haben Billard gespielt.

Helmut "Quasi" Qualtinger war Stammgast im Kameel – hier liest er seine Zeitung aber im Café Alt Wien.
Foto: Didi Sattmann/Imagno/picturedesk.com

STANDARD: Und dort den Qualtinger getroffen?

Friese: Der Qualtinger war sehr viel bei uns, dort vorn an dem kleinen Tischerl ist er gesessen. bei harten Getränken, Wodka und so. Aber damals geschah das alles noch nicht so öffentlich wie heute, da hat niemand über die Gäste geredet.

STANDARD: Das ist jetzt anders. Dass der mittlerweile suspendierte Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek oft da war, weiß fast jeder.

Friese: Ja, er kommt nach alldem nicht mehr. Aber jeder Kellner hier wird Ihnen sagen, dass er, auch als ihn noch keiner gekannt hat, immer höflich war, jeden Kellner beim Namen gekannt und freundlich begrüßt hat. Schauen Sie, ich kann mich doch nicht drauf einlassen, wo meine Gäste politisch stehen, das Wichtigste ist doch, dass alle miteinander reden. Unlängst hat mir der frühere Bezirksvorsteher des Ersten Bezirks, Richard Schmitz (ÖVP, Anm.), erzählt, dass er hier bei einem Glasl Wein mit Bürgermeister Helmut Zilk (SPÖ, Anm.) die Kurzparkzone per Handschlag abgemacht hat. Die Politiker aller Couleurs reden hier miteinander, ist auch gut so, die spielen alle im selben Zirkus.

STANDARD: Sie behaupten, Ihr Lokal sei ein egalitäres, mit Gästen vom Arbeiter bis zum Kanzler. Die Dichte jener, die mit Einkaufstaschen von Luxusgeschäften reinkommen, ist aber schon sehr hoch. Ist nicht unbedingt der Durchschnitt der Bevölkerung.

Friese: Also, der Durchschnitt unserer Gäste trägt kein Prada-Sackerl in der Hand. Wir haben ganz normale Gäste, der Mitarbeiter von der Müllabfuhr geht, wenn er im orangen Gewand ist, eher in die Aida nebenan. Aber er hat auch ein Sakko, und wenn er mit seiner Frau ausgeht, kommt auch er zu uns. Alle kommen sie.

STANDARD: Nur die Touristen nicht? Sie sagen, die fänden gar keinen Platz unter Ihren hunderten Stammgästen.

Friese: Natürlich schauen wir, dass wir ein Platzerl für sie bekommen. Aber sie können nicht die Überhand gewinnen unter den Stammgästen.

STANDARD: Und woran merkt man, dass man Stammgast bei Ihnen ist?

Friese: Wir haben Stammgäste, die nur sechsmal im Jahr da sind. Wenn ein deutscher Geschäftsmann direkt vom Flughafen hierherkommt, bevor er zu seinem Termin geht, und ich kurz mit ihm plaudere: Dann ist er ein Stammgast.

STANDARD: Und Stammgäste begrüßen Sie mit ihren Namen?

Friese: Nein, ich kenne die meisten visuell, aber nicht per Namen. Die kommen aber oft jahrelang zu uns, und sie sagen "Herr Friese" zu mir, da kann ich ja nicht nach 20 Jahren fragen: "Wie heißen Sie?"

STANDARD: Welches Ereignis hier hat Sie am meisten beeindruckt?

Friese: Helmut Zilk wurde nach dem Briefbombenattentat an einem Samstag aus dem AKH entlassen und kam hierher. Das Lokal bummvoll, er kommt rein, und es wird ruhig im Lokal. Er geht ins Restaurant, wo damals immer eine große Runde bürgerlicher Gäste saß. Und plötzlich steht das ganze Lokal auf, und alle diese Bürgerlichen applaudieren. Das ist mein Wien: Wenn's ernst wird, ist es egal, bei welcher Partei du bist. Da zählt der Mensch.

STANDARD: Werfen Sie manchmal auch Gäste raus?

Friese: Ab und zu muss ich das tun, meist, weil sie betrunken sind. Ich halte Alkoholisierte und die Folgen von Alkoholisierung nicht aus. Klar, wir sind keine Milchbar, aber betrunkene Gäste, die jeden anquatschen: Die sind die Hölle.

STANDARD: Sie sagen, Sie hätten das "Gastro-Gen" Ihrer Mutter geerbt. Wünschen Sie sich, dass Ihre beiden Söhne einmal übernehmen?

Friese: Wenn sie wollen, wär es schön, und es würde mich freuen, wenn nicht, wär ich nicht böse. Weil es ist schon ein sehr intensives Geschäft, wenngleich ein sehr schönes. Ich hab tolle Projekte umgesetzt, Milliardäre als Gäste gehabt, Nobelpreisträger.

STANDARD: Die Queen aber nicht?

Friese: Die Queen, die wär mein Traum gewesen. Für sie hätte ich einen Monat zugesperrt.

Komponist Ludwig van Beethoven bezog seine Getränke einst vom Schwarzen Kameel.
Foto: APA/Herbert Neubauer

STANDARD: Wer war Ihr berühmtester Gast?

Friese: Einst war es Beethoven.

STANDARD: Er hat immer seinen Wermut im Kameel bestellt?

Friese: Nicht nur Wermut.

STANDARD: Hat er so viel getrunken?

Friese: Jedenfalls sehr viel eingekauft. (Renate Graber, 26.3.2023)