Am Sonntag wird in der ukrainischen Hauptstadt die Sperrstunde für die Gastronomie um eine Stunde nach hinten verlagert.

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In den Kiewer Lokalen werden die letzten Bestellungen bald später eingehen, denn ab dem 26. März wird die Ausgangssperre von 23 Uhr auf Mitternacht verlegt. Eine Stunde mehr also für die Gastronomen, die öffentlichen Verkehrsmittel und die Bewohner und Bewohnerinnen der ukrainischen Hauptstadt. "Wir mussten ein Gleichgewicht zwischen der Gewährleistung von Sicherheit und der Entwicklung der Wirtschaft finden", sagt Michail Schamanow, Sprecher der Kiewer Militäradministration. Es sei ein Versuch, langsam wieder zur Normalität zurückzukehren.

Kiew, das im vergangenen Frühjahr fünf Wochen lang von russischen Truppen umzingelt war, sei vor kurzem von der Liste jener Städte und Gebiete genommen worden, in denen möglicherweise erneut Kampfhandlungen stattfinden könnten, erklärt Schamanow. "Einige der militärischen Kontrollpunkte in Kiew sind mittlerweile in den Standby-Modus versetzt worden", so der 47-Jährige. Sollte es eine neue Bedrohung aus dem Norden geben, werden sie wieder aktiviert und die Lockerung der Maßnahmen rückgängig gemacht. Nach wie vor endet die Ausgangssperre um fünf Uhr morgens.

Je näher an der Front, desto strenger die Regeln

Mit Ausrufung des Kriegsrechts vor gut 13 Monaten traten in der ganzen Ukraine Ausgangssperren und Beschränkungen beim Verkauf von Alkohol in Kraft. "Es ging am Anfang vor allem um die Herstellung von Ordnung, den Transport von Technik und den Kampf gegen russische Sabotagegruppen. An das Überleben der Wirtschaft hat damals niemand gedacht", so Schamanow. Wer die Regeln bricht, kann von der Polizei und den Soldaten verhört, mit Geldstrafen belegt und sogar eingezogen werden. Wie streng die Regelungen sind, variiert von Region zu Region und hängt mitunter auch davon ab, wie nah sich ein Ort an der Front befindet.

Im Westen wurden die Maßnahmen schon im vergangenen Jahr gelockert. In der stark umkämpften Oblast Donezk im Osten der Ukraine dagegen darf offiziell noch immer kein Alkohol verkauft werden. "Wir wissen, dass ein Teil der Menschen unter großem Stress zum Alkohol greift. Alkoholkonsum und dadurch bedingtes aggressives Verhalten kann sich negativ auf das Umfeld auswirken: auf die Familie, aber auch auf die Beamten", so Schamanow.

Versuch, die Wirtschaft anzukurbeln

Ganz könne man die Ausgangssperre in Kiew nicht aufheben, da die Hauptstadt noch immer eines der Hauptziele für Russland sei, heißt es von Schamanow. Seit Monaten wird die Hauptstadt mit Drohnen und Raketen angegriffen, oft auch in der Nacht. "Wenn die Ausgangssperre gelockert wird, sind nachts mehr Menschen unterwegs. Das kann dazu führen, dass es durch herabfallende Trümmer mehr Opfer gibt", erklärt Schamanow.

Vertreter, der Kiewer Gastronomie zeigen sich erfreut über die Lockerungen, doch große Hoffnung auf eine baldige Verbesserung der wirtschaftlichen Lage haben sie nicht. "Wir erwarten, dass wir mehr einnehmen, und freuen uns, dass die Gäste länger bleiben können, aber die Lage in der Stadt bleibt angespannt", sagt Ljubow Tsybulska. Die 37-Jährige ist Eigentümerin des Kiewer Szenelokals Zigzag, das zwar noch immer gut besucht sei, aber so wie alle Lokale ein hartes Jahr hinter sich hat. "Viele unserer Kunden und Kundinnen sind geflohen, und ein Teil unserer Belegschaft ist in der Armee", so Tsybulska. "Irgendwie haben wir es trotzdem geschafft zu überleben."

Kurz vor dem Bankrott

Prekär dagegen ist die Lage für den international bekannten Techno-Club Closer, der bisher den Großteil seiner Einnahmen an die Armee und an gemeinnützige Vereine gespendet hat. "Viele unserer Gäste sind im Ausland, und vielen, die in der Stadt geblieben sind, ist nicht zum Feiern zumute", erklärt Klubbesitzer Sergej Jazenko. Miete und Betriebskosten bezahlen die Besitzerinnen und Besitzer zu großen Teilen aus eigener Tasche oder über Spenden. "Den Leuten fehlt das Geld für Unterhaltung. Und wir können die Preissteigerungen bei den Getränken nicht an unsere Besucher weitergeben", sagt der 43-Jährige.

Es bleibt die Hoffnung, dass aufgrund der Jahreszeit wieder mehr Gäste zu den Veranstaltungen kommen, die tagsüber stattfinden. Bisher war der Club freitags geschlossen. "Die Leute arbeiten an Wochentagen bis 18 oder 19 Uhr und gehen dann nicht für zwei Stunden in den Club", so Jazenko. Immerhin das werde sich aufgrund der neuen Lockerungen ändern. Doch wie lange sich Closer noch über Wasser halten kann, sei ungewiss: "Wir sind fast bankrott." (Daniela Prugger, 24.3.2023)