Eingriffe in bestehende ORF-Verträge plant die Regierung. Nicht leicht, sagt Verfassungsrechtler Heinz Mayer.

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Wien – Die Regierung will mit dem neuen ORF-Beitrag auch per Gesetz in bestehende Verträge von ORF-Angestellten eingreifen. Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) spricht von "horrenden Abfertigungen" und "sehr ausufernden Sonderprivilegien". Aber sind solche Eingriffe in bestehende Verträge rechtlich möglich? Nicht einfach, vermittelt Verfassungsrechtler Heinz Mayer auf STANDARD-Anfrage.

Nicht einfach wegnehmen

Eingriffe in bestehende Verträge seien Eingriffe in zivile Rechte, ins Eigentum der Betroffenen. "Ich kann nicht jemandem vertragliche Ansprüche wegnehmen, nur weil ich die Idee habe, dass er oder sie übermäßig viel bekommt", sagt Mayer grundsätzlich und ohne im Detail zu wissen, was die Medienministerin vorhat.

Eingriffe müssten im öffentlichen Interesse liegen und zudem verhältnismäßig sein, erklärt der Verfassungsrechtler. Und selbst dann könne man den Betroffenen ihre Ansprüche gemeinhin nicht streichen, sondern nur reduzieren.

Beispiel Nationalbank

Realistisch hält Mayer das etwa für "exorbitant hohe Bezüge" weit jenseits der Üblichkeit. Solche Eingriffe gab es schon – etwa bei Verträgen mit der Nationalbank. Da ging es etwa um sehr großzügige Pensionsregelungen. Die Betroffenen seien mit ihren Klagen gegen Kürzungen abgeblitzt, erinnert sich der Verfassungsrechtler. Er hat deren rechtliche Beratung in der Sache übrigens abgelehnt.

Exorbitant hohe Abfertigungen ließen sich "vielleicht rechtfertigen", wenn Dienstnehmer – etwa durch Konkurrenzklauseln – keine Chance auf vergleichbare Beschäftigung außerhalb des ORF hätten.

Kürzungen bestehender Firmenpensionen hält Mayer für grundsätzlich, wenn auch schwer möglich, wenn sie verhältnismäßig sind. "Eine Pension von 30.000 Euro wird man leichter um zehn Prozent reduzieren können, wenn jemand 7.000 oder 8.000 Euro hat, wohl eher nicht."

Bei der Präsentation des ab 2024 geplanten ORF-Beitrags am Donnerstag kündigten Raab und die grüne Klubchefin Sigrid Maurer gesetzliche Eingriffe in ORF-Verträge an. Maurer sprach von Abfertigungen in Höhe von 25 Monatsgehältern, Raab nannte beispielhaft "Sonderpensionen, Spezialzulagen wie Wohnungszulagen, horrende Abfertigungen".

Fünf Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen – die Spezialitäten

Im ORF gibt es derzeit grob fünf verschiedene, meist im Zeitverlauf für die Arbeitnehmer verschlechterte Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen. Neue Kollektivverträge und Regelungen galten gemeinhin für neu Eintretende, die bisherigen Regelungen wurden nicht verändert.

DER STANDARD greift hier auf Auskünfte langjähriger ORF-Kenner und aus der Personalvertretung zurück:

  • Eine "freie Betriebsvereinbarung" FBV war die erste dieser Regelungen. Sie sah in ihrer ursprünglichen Form die genannten 25 Monatsgehälter Abfertigung vor. Die FBV gilt als Einzelvertrag und ist rechtlich gegen den Willen des oder der Betroffenen noch etwas schwerer zu verändern.

Firmenpensionen insbesondere aus der Betriebsvereinbarung wurden um 2000 von Pensionskassen abgelöst. Ex-General Alexander Wrabetz soll laut Medienberichten noch mit einer Firmenpension rechnen können. Falls die Regierung nicht in die Pensionsregelung des gelernten Juristen eingreifen will – dann wird man einander wohl vor dem Verfassungsgerichtshof wiedersehen. Wrabetz kam 1998 als Finanzdirektor zum ORF, 2007 wurde er ORF-General, die Konditionen der Direktoren änderten sich über die Jahre. Nachfolger Roland Weißmann soll nach Angaben aus dem Stiftungsrat etwa gut zehn Prozent weniger beziehen als Wrabetz in seiner letzten Amtszeit.

  • Eine adaptierte FBV kam 1992. Sie soll die Abfertigungen von 25 auf 16 Monatsgehälter für seither Angestellte reduziert haben. Die fantasievollen Zulagen des ORF sollen aus Zeiten der FBV stammen – etwa eine Wohnzulage, eine Familienzulage, eine Kinderzulage. Diese Zulagen erklären unternehmenshistorisch bewanderte Personalvertreter als eine Art Gehaltserhöhung. Überzahlungen seien damals unüblich gewesen, berichten sie zudem.

  • Der erste Kollektivvertrag des ORF 1996 übernahm im Wesentlichen die Regelungen der FBV in einer neuen KV-Form. Zwei Varianten – A und B – gab es für bisherige und für neu Angestellte.

  • Der Kollektivvertrag 2003 bescherte dem ORF auf Drängen des damaligen Betriebsrats die Anstellung hunderter bisher freier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dennoch gab es weiterhin auch Freie.

  • Der Kollektivvertrag 2014 ist der aktuelle gültige im ORF. Er verschlechterte die Konditionen gegenüber den bisherigen Regelungen neuerlich. Der KV 2014 liegt aber noch über den Bedingungen des zuvor abgeschlossenen Kollektivvertrags für Journalistinnen und Journalisten privater Medienhäuser, der auch die Regelungen für ältere Dienstverhältnisse adaptierte. Im ORF ist das bisher unüblich.

In Tochterfirmen des ORF mit rund 1.000 Beschäftigten werden teils andere, schlechtere Kollektivverträge angewendet als im ORF selbst.

Etwa die Hälfte der rund 3.000 Angestellten im ORF selbst sollen nach dem Kollektivvertrag 2003 angestellt sein. Rund ein Viertel soll den Kollektivvertrag 2014 haben. Und rund ein Viertel soll noch nach der Freien Betriebsvereinbarung beziehungsweise dem vergleichbaren Kollektivvertrag 1996 beschäftigt sein.

In den nächsten Jahren sollen rund 500 ORF-Angestellte in Pension gehen (und laut ORF-Chef Roland Weißmann nur restriktiv nachbesetzt werden). Damit dürfte sich der Anteil der Angestellten nach FBV und Kollektivvertrag 1996 auf rund zehn Prozent der Belegschaft reduzieren, schätzen ORF-Kenner.

"Tabubruch": Gewerkschaft protestiert

Die Gewerkschaft Younion protestierte am Donnerstag per Aussendung gegen "angebliche Privilegien" im ORF. Younion-Vorsitzender Christian Meidlinger sieht einen "gesetzlichen Eingriff in einen Kollektivvertrag. Das ist ein Tabubruch, der nicht hinnehmbar ist."

ORF-Betriebsrat und Younion-Funktionär Gerhard Berti ließ verlauten, die Gewerkschaft könne solche Eingriffe in bestehende Verträge nicht akzeptieren: "Dann kann man sich überhaupt nicht mehr darauf verlassen, was sich Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen ausmachen."

Die ORF-Belegschaft sei sich "der schwierigen finanziellen Lage im ORF bewusst und habe bereits ihren Beitrag geleistet. Die Gehaltserhöhungen in diesem Jahr lagen deutlich unter der Inflation. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass man mit uns reden kann. Eine gesetzliche Entscheidung über unsere Köpfe hinweg ist nicht notwendig."

GPA: "Eingriff in Kollektivverträge ein No-Go"

Ähnlich klingt das auch bei der Gewerkschaft GPA. "Dass die Bundesregierung bei der Frage nach der künftigen Finanzierung des ORF gesetzliche Änderungen im Hinblick auf Arbeitsverhältnisse andenkt, lässt bei uns GewerkschafterInnen die Alarmglocken schrillen", so die Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, Barbara Teiber in einer Aussendung. "Die Belegschaftsvertretung des ORF hat schon wiederholt bewiesen, dass sie verantwortungsvoll und im Sinne des Wohles des gesamten ORF agiert." Einseitige gesetzliche Eingriffe in Kollektivverträge seien ein "No-Go". Teiber: "Sollte das Realität werden, werden wir das gemeinsam mit dem Betriebsrat mit aller Kraft bekämpfen." (fid, 25.3.2023)