Als Gegenspielerin darf diesmal Lilith herhalten, die Dämonen-Tochter von Mephisto, dem Herren des Hasses.

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Es ist eine Bilderbuchkarriere, die der Kanadier Rod Fergusson in der Videospielbranche erleben durfte. Vor 27 Jahren startete er bei Microsoft als Produzent. Sein erstes Projekt war der "Microsoft Train Simulator", danach war er bei Epic Games unter anderem für die blutrünstige "Gears of War"-Reihe mitverantwortlich, die später an seinen ehemaligen Arbeitgeber verkauft wurde. Mittlerweile hatte der robust gebaute Mann mit gut gepflegtem Bart den Ruf in der Branche, schwierige Projekte zu einem Ende zu bringen. Ein "Closer" sei er, war immer wieder zu lesen.

Wohl auch dieses Talent verschaffte ihm seine aktuelle Position. Im März 2020 landete er beim damals von diversen Krisen gebeutelten Games-Riesen Activision Blizzard und übernahm dort die schwierige Rolle, die für den Publisher so wichtige "Diablo"-Franchise wieder auf Schiene zu bringen. Nachdem der Smartphone-Ableger "Immortal" sehr von Microtransactions zerfressen war, warten nun alle auf den vielleicht größten Release 2023: "Diablo IV".

Nachdem DER STANDARD in die Beta bereits reinspielen durfte, fand am Donnerstag auch ein ergänzendes Interview mit ebenjenem Rod Fergusson statt. An seiner Seite: Joe Shely, der aktuell als Game Director hauptverantwortlich für die Qualität des Produkts ist.

Die Zusammenstellung der eigenen Rüstung wird wieder viel Zeit in Anspruch nehmen, sollte sie doch den ausgewählten Talenten entgegenkommen.
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Große Erwartungen

"Dunkel, Gothic, Hack and Slash Dungeon Crawler", so antwortet Fergusson auf die Frage, wie man die Franchise "Diablo" einem Nichtkenner erklären könnte. Ob ich damit meine Chefredaktion für diesen Artikel oder das Spiel begeistern könnte, weiß ich nicht, dennoch gebe ich mich mit der Aussage zufrieden. Der Game-Verantwortliche Shely ergänzt, dass man sich naturgemäß der Herausforderung stellen muss, sowohl neue Leute ansprechen zu wollen als auch Menschen – er meint mich, die vor Interviews ihre "Diablo 2"-Verpackung in die Kamera halten. Das sei "nicht einfach", wie Shely zugibt.

Vor allem die umfangreichen Ausbaumöglichkeiten der fünf spielbaren Figuren und das generell tiefer gehende Gameplay sollen Veteranen motivieren, neue Spielerinnen aber nicht abschrecken.

Meine Wenigkeit hat Teil zwei verehrt, während ich Teil drei eher aus Gewohnheit gespielt habe, um mit Freunden im Chat abzuhängen. Nach "World of Warcraft" schien mir "Diablo III" leer und mit zu wenig Tiefgang. Auch der Grafikstil mit all seiner Buntheit war eher abschreckend als anziehend. Gegenüber Shely und Fergusson muss ich zugeben, dass die Aufmachung vom neuesten Teil alles hat, was ein Blockbuster braucht. Die Grafik geizt nicht mit Details, ist stimmungsvoll und der Soundtrack hat mich sogar darüber hinweggetröstet, dass das Gameplay sehr "gewohnt" bei mir ankommt, wie ich auch den Blizzard-Mitarbeitern gegenüber erwähne.

Man klickt sich mit seinen ersten Angriffen mühsam durch Horden an Gegner, wie das auch früher der Fall war. Wer in den berühmten "Flow" kommt und sich an regelmäßig fallen gelassenen Gegenständen erfreut, die in zunehmend attraktiveren Farben blinkend auf dem Boden landen, der wird sich schnell wohlfühlen. "Es ist ein fu*** 'Diablo'", wie schon der Streamer und Youtuber Asmongold in seinen zahlreichen "Diablo IV"-Videos feststellt.

Rod Fergusson ist ein Branchenveteran und seit über 25 Jahren als Produzent tätig.
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Innovation aus der Hölle

Wir haben allerdings 2023, die Spielelandschaft ist gut gefüllt mit Zeitfressern jeglicher Art, und auch der österreichische Videospielentwickler Thomas Maler, der mit den "Ori"-Spielen Weltruhm erlangte, bemerkte mehrfach, dass das Action-Rollenspiel-Genre seit Jahrzehnten keine Innovation mehr gesehen hat.

Shely meint dazu, dass vor allem die Open World dazu beitragen würde, dass sich jede Spielerin selbst einen Weg durch "Diablo IV" suchen könne. Das war in der Beta bisher nicht zu erleben, da hier nur ein Gebiet freigeschalten war. Danach sucht er schon händeringend nach Argumenten, was das Spiel so neu macht. Man könne auch Nebenmissionen absolvieren oder Freunde jederzeit einladen – gut, aber keine Revolution. Das ist auch den Entwicklern in diesem Moment klar.

Der Profi Fergusson schreitet allerdings gekonnt ein, um nochmal zu betonen, dass die Freiheiten – etwa mit Akt drei beginnen zu können – im Genre nicht selbstverständlich sind. Auch die Qualität der Geschichtenerzählung setze laut dem Producer "neue Maßstäbe" im Genre. Neidlos muss man anerkennen, dass er hier nicht unrecht hat. In den ersten Stunden im Spiel wird das Gehaue und Gestochere immer wieder durch Zwischensequenzen in Spielegrafik unterbrochen, die mehr über die Geschichte verraten.

Man blickt in diesen Cutscenes wie auf eine Puppenkiste, die verschiedene Figuren rund um unsere tanzen lässt und der Welt und ihren Einwohnern mehr Tiefe verleiht. Speziell die Sprecherinnen und Sprecher geben ihr Bestes, um überzeugend zu wirken. Eine Qualität, die man von der Serie kennt und die auch diesmal ohne Einbußen erreicht wird.

Joe Shely verantwortet "Diablo IV" als Game Director. Im Gespräch mit dem STANDARD wirkte er entspannt, obwohl es nur noch wenige Wochen bis zum Release sind.
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Service-Gedanke

Ein schönes Feature ist in diesem Spiel, dass man plattformübergreifend spielen kann. Der beste Freund hat keinen PC und spielt im Gegensatz zu den anderen Spielgenossen lieber auf der Playstation? Kein Problem, man kann trotzdem miteinander spielen. Genauso kann man Spielfortschritt von einer Plattform zur nächsten übernehmen, wenn man beispielsweise in einem Jahr entdeckt, dass man vom Konsolenspieler zum PC konvertiert ist.

Nicht nur um künftig technische Probleme zu vermeiden, sondern auch, um laufend neue Inhalte anbieten zu können, wurde das Team in den letzten Jahren verdreifacht, sagt Fergusson. Das solle deutlich machen, wie sehr man an die Langlebigkeit des Produkts glaube. Als Autor diverser Geschichten zu unbezahlten Überstunden, also dem in der Branche verbreiteten "Crunch", muss ich in diesem Zusammenhang fragen, wie man denn aktuell vermeidet, dass in den kommenden Monaten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Gamesmagazine herantreten und von unmenschlichen Arbeitsbedingungen erzählen.

"Ich vergleiche die Entwicklung eines Spiels gern mit einem Marathon", sagt Fergusson. Wenn Läuferinnen und Läufer nach einem Marathon die letzten hundert Meter sprinten, dann fragt man, warum macht ihr das? "Die Antwort ist dann, weil ich die Zielgerade sehe und die für mich beste Zeit schaffen möchte". Ähnlich verhalte es sich mit den letzten Wochen in der Produktion eines Spiels. Jeder würde das Bestmögliche schaffen wollen, vor allem wenn der Release-Tag so greifbar scheint.

Die Leute ausbrennen zu lassen würde aber nichts bringen, weil man nach dem Release ja konstant weiterarbeiten müsse. An neuen Inhalten, Service-Updates und vielem mehr. Deshalb habe man das Team aufgestockt und Prozesse angepasst, um die gewünschte Qualität erreichen zu können.

Die über allem schwebende Akquisition des Studios durch Microsoft hätte man in den Büros nicht bemerkt, sagt Fergusson. Man sei zu fokussiert auf die Arbeit, um sich darum kümmern zu können.

Der Charakter-Editor liegt den Entwicklern sehr am Herzen. Erstmals muss man nicht mit vorgefertigten Heldinnen und Helden in den Kampf ziehen.
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Unpolitische Hölle

Auf die Frage, ob man die politischen Diskussionen rund um "Atomic Heart" oder "Hogwarts Legacy" mitbekommen hat und ein wenig froh sei, dass man ein Fantasy-Spiel abseits jeglicher gesellschaftspolitischer Diskussion entwickeln könne, schmunzeln beide Gesprächspartner. "Ich möchte darauf eine ernste Antwort geben", sagt Shely, und man sieht ihm an, dass die folgenden Sätze sehr wichtig für ihn sind.

"Wir wollen mit 'Diablo IV' möglichst vielen Spielern ermöglichen, sich selbst darstellen zu können." Der Charakter-Editor, der sich erstmals in der Serie findet, sei deshalb mit viel Liebe entwickelt worden. Wenn man es möchte, soll der Barbar aussehen wie man selbst, sagt Shely. Fergusson ergänzt, dass diese Themen immer eine "Reise" sein werden, nie ein "Zielort". Man wolle "Diablo IV" möglichst vielen Spielerinnen zur Verfügung stellen, und deshalb seien Dinge wie Accessibility unglaublich wichtig. Man werde wohl nie schaffen, hier hundert Prozent alles richtigzumachen, aber man arbeite daran.

Fazit

"Diablo IV" wird der größte Titel 2023, da bin ich mir sicher. "Starfield", sollte es wirklich erscheinen, wird schwer vergleichbar, erscheint es doch kostenlos im Gamepass. "Final Fantasy 16", "Zelda: Tears of the Kingdom" und ein mögliches "Spider-Man 2" werden wohl knapp dahinter landen. Schon jetzt ist der Hype um das Action-Rollenspiel riesengroß – der Vorgänger knackte den Rekord des meistvorbestellten Spiels aller Zeiten, die closed Beta am vergangenen Wochenende spielten knapp eine Millionen Menschen – verrückt. An diesem Wochenende findet die Open Beta statt, das heißt jeder kann sich einloggen, der sich eben jene Beta aus dem jeweiligen Store herunterlädt.

Die Branche braucht Hypes, und ein Open-World-"Diablo" eignet sich dafür sehr gut. Die fehlende Linearität macht das mehrfache Durchspielen weniger monoton als in den vorigen Teilen, die Talentbäume scheinen viel Flexibilität zuzulassen, wie man einen Charakter spielen möchte, und technisch ist das Game ohnehin mehr als sauber.

Auch wenn es spielerisch nicht die Welt verändern wird, "Diablo IV" wird viele Menschen erreichen und voraussichtlich sehr glücklich machen. Vor allem das gemeinsame Spiel mit Freundinnen, die neuen Weltbosse und im Idealfall ein paar Überraschungen, von denen wir noch nichts wissen, werden ausreichend Gesprächs- und Spielstoff für Monate bieten.

Einziges Fragezeichen ist und bleibt der eingebaute Shop, der sicher mit zahlreichen, teuren Verlockungen auf Spieler warten wird. Hier hält sich Blizzard noch sehr bedeckt. Mit Sicherheit wissen Menschen wie Fergusson aber, dass man hier mit falschen Entscheidungen sehr schnell sehr viel kaputt machen kann. Ein Fehler zu viel und das Millionenpublikum wendet sich dem nächsten Spiel zu.

Drücken wir für das Team und die Spielerschaft die Daumen, dass man sich dessen auch im Management von Blizzard bewusst ist. (Alexander Amon, 26.3.2024)