Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) beharrt weiter auf den Verbrennungsmotor. Am Freitag stellte er sich im Ö1-"Morgenjournal" erneut hinter Deutschland, das mit einer wachsenden Allianz aus Mitgliedsstaaten das Aus für Verbrenner-Neuwagen neu aufgerollt hatte. Der Bundeskanzler hatte sich dafür eingesetzt, auch einem "grünen Verbrennungsmotor", betrieben mit synthetischen Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels, eine Chance zu geben. Am Freitagabend kam es schließlich zur Einigung: Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die ausschließlich klimaneutralen Kraftstoffe tanken, können auch nach 2035 neu zugelassen werden.

Auf dem Papier machen diese klimatechnisch eine gute Figur: Denn wenn sie wie geplant aus erneuerbarem Storm hergestellt werden, sind E-Fuels tatsächlich klimaneutral. Doch auf dem Weg vom Solarpaneel zum Verbrennungsmotor geht ein Großteil der Energie verloren – rund 90 Prozent.

Auf diesem Gelände in Sadanha Bay, Südafrika, soll eine Anlage für grünen Wasserstoff entstehen. Global gesehen reichen die geplanten Kapazitäten aber nicht für Europa.
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Energie aus Afrika

Die großen Mengen an Energie, die für die Produktion für E-Fuels benötigt werden, will Nehammer aus dem Ausland beziehen. Ende Februar reiste der Kanzler nach Marokko, er bezeichnete das Königreich "als Hoffnungsträger im Bereich der erneuerbaren Energie, wenn es darum geht, grünen Wasserstoff zu produzieren". In Zukunft sollen diese Länder auch E-Fuels herstellen, sagte Nehammer im Ö1-Interview und kündigte weitere Reisen nach Nordafrika an.

E-Fuels sind derzeit noch in einem sehr frühen Stadium, die Produktion findet bisher erst im kleinen Maßstab statt. Tanken kann man den grünen Sprit noch nirgendwo. Porsche und Siemens Energy haben in Chile Ende 2022 die laut eigenen Angaben erste Anlage zur industriellen Herstellung von E-Fuels eröffnet. Angestrebt werden 130.000 Liter Treibstoff pro Jahr – das sind rund 360 Liter Sprit pro Tag.

Bisher kaum Kapazität

Laut einer am Dienstag vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (Pik) veröffentlichten Analyse wurden bisher etwa 60 neue E-Fuel-Projekte bis 2035 angekündigt. Von der Umsetzung sind diese allerdings noch weit entfernt, denn laut dem Pik gibt es nur für rund ein Prozent der angekündigten Projekte auch eine finale Investitionsentscheidung.

Selbst wenn man annehmen würde, dass sämtliche E-Fuel-Anlagen tatsächlich gebaut werden, könnten diese bis 2035 nur rund zehn Prozent der deutschen Nachfrage in den Bereichen decken, in denen synthetische Kraftstoffe unverzichtbar sind.

Für große Schiffe und Flugzeuge gelten E-Fuels als unverzichtbar – für Pkw hingegen nicht.
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E-Fuels und Wasserstoff werden woanders gebraucht

Dazu zählen etwa der Schiffs- oder Flugverkehr. E-Mobilität ist dort derzeit noch keine Option, da die Akkus zu groß und zu schwer sind. Auch in der Industrie wird Wasserstoff – eine Vorstufe von E-Fuels – für die Dekarbonisierung gebraucht, etwa bei der Produktion von Stahl oder Düngemitteln.

Eine aggressive Förderung für E-Fuels, etwa durch die EU, könnte den Bau neuer Anlagen natürlich beschleunigen. Auch Photovoltaik war bis vor wenigen Jahren noch ein Randphänomen, wuchs dann aber so rasant, dass Solarenergie heute immerhin 3,6 Prozent zur Stromproduktion beiträgt. Laut Internationaler Energieagentur (IEA) wird Photovoltaik im Jahr 2027 sogar Kohle überholen und damit die wichtigste Quelle für Strom werden.

Bedarf bis 2035 kaum zu decken

Doch nicht einmal wenn die E-Fuel-Industrie die gleiche Erfolgsgeschichte durchleben würde wie die Photovoltaikbranche, also 40 bis 65 Prozent jährlich wachsen würde, hätte Europa genügend E-Fuels. Laut der Pik-Studie würde die globale Produktion im Jahr 2035 dann gerade einmal für die Hälfte der unverzichtbaren Bereiche in Deutschland reichen.

Würden Wasserstoff und E-Fuels zunächst dorthin fließen – was effizient wäre –, bliebe kein Tropfen des nachhaltigen Treibstoffs mehr für deutsche Autos übrig, geschweige denn für die gesamte Verbrennerflotte in Europa.

Zwei Euro pro Liter

Für Leichtfahrzeuge, also Pkw und kleinere Lieferwagen, gibt es aber ohnehin eine effizientere Antriebsart: Elektromotoren, gepaart mit Akkus. Weil die vielen Umwandlungsschritte entfallen, geht viel weniger Energie verloren.

Benjamin Pfluger von der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie geht davon aus, dass Elektroautos fünfmal effizienter sind als Verbrennungsmotoren, die mit E-Fuels betrieben werden. Die synthetischen Kraftstoffe dort zu produzieren, wo nachhaltige Energie günstig ist, macht zwar Sinn. "Diesen Faktor fünf kann man aber nicht aufholen – auch nicht, indem man an günstige Standorte geht", sagt Pfluger.

Das schlägt sich auch im Preis nieder: Das International Council on Clean Transportation (ICCT) geht etwa davon aus, dass die Produktionskosten für E-Fuels im Jahr 2035 bei zwei Euro pro Liter Treibstoff liegen werden. Auch andere Studien kommen zum Ergebnis: Elektrisch fährt es sich günstiger.

Kabel statt Tanker?

Der günstige Strom aus der Wüste ließe sich auch ohne vorige Umwandlung in E-Fuels in Europa nutzen. In Marokko ist etwa gerade eine Solar- und Windanlage geplant, das über Seekabel mit dem Vereinigten Königreich verbunden ist. Es soll acht Prozent des britischen Strombedarfs decken.

Ähnliches hat ein griechischer Energiekonzern vor: Ein 950 Kilometer langes Kabel soll Ägypten mit Griechenland verbinden und mit einer Kapazität von drei Gigawatt eines der leistungsstärksten Seekabel der Welt werden. (Philip Pramer, 25.3.2023)