Uneins: Raphael von Bargen als Anwalt (Mitte) und Robert Meyer als Bischof (re.).

Foto: Roland Ferrigato

Die öffentliche Anhörung eines Ethikrates soll darüber Klarheit bringen, unter welchen Bedingungen der 78-jährige Richard Gärtner sterben darf. Er ist kerngesund, aber seit dem Tod seiner Frau vor drei Jahren fehlen ihm der Wille und die Freude zu leben. Schmallippig tritt er zur Befragung an.

Die Söhne sind informiert, das Tötungsmedikament bestellt, aber muss ihm ein Arzt dabei helfen, es einzunehmen? Das ist die Frage. Er könnte sich zwar im Stillen oder im Ausland umbringen, aber er (Herbert Föttinger in Vertretung des vor der Premiere verletzten Johannes Seilern) möchte als Vorkämpfer für den assistierten Suizid die Frage auch stellvertretend für andere geklärt wissen.

Gebrauchsdichter für Ethik

Ferdinand von Schirach ist ein Gebrauchsdichter für ethisch-gesellschaftspolitische Fragen. In Gott sind nun die Zuschauer in den Kammerspielen der Josefstadt aufgerufen, erst ein wahres Pingpong der Argumente zu bezeugen und dann Stellung zu beziehen. In der Pause wird abgestimmt.

Der Sterbewillige, sein Anwalt (Raphael von Bargen) und sein Arzt (Martin Niedermair) sitzen über zwei Stunden lang drei Sachverständigen gegenüber. Das ist durchaus wörtlich gemeint. Denn jeder von ihnen wird vor allem schweigend auf den Ersatzbänken ausharren und dann zehn Minuten lang seinen großen Auftritt haben: Der Verfassungsrechtler (Paul Matić) wird mit Paragrafen unterfüttern, dass der Staat sich nicht in die Freiheit des Menschen über sein Lebensende einzumischen habe. Der Ärztekammervertreter (Alexander Strömer) wird mit Einstecktuch den hippokratischen Eid beschwören, den er selbst nie geschworen hat, und mit den Irrtümern der Antibabypillengegner konfrontiert werden.

Von Bargen ist ein Anwalt, wie man ihn sich wünscht: gefinkelt, scharf, und in der Inszenierung von Julian Pölsler mit einer spitzbübischen Freude am Überraschen ausgestattet. Robert Meyer steht als Bischof auf der Seite des Leidens als Lebenssinn. Diese Ansicht könnte nicht krasser im Widerspruch zum futuristischen Mobiliar stehen.

Bleigraue Statik

Auch wenn Pölsler den Darstellern Funken von Charakter durchgehen lässt, im Grunde dieser pädagogischen Anordnung ist der sterbewillige Gärtner so sehr Heiligenabklatsch wie die Fachvertreter Argumentationsmaschinen. Das Interessante des Abends liegt im buchhalterisch peniblen Anführen und Abwägen von Perspektiven. Der Autor nimmt sein Publikum an der Hand und führt es mittels eines Ratsvorsitzenden (Michael König) und eines Befragers (André Pohl) durch Gesetzestexte und Kirchenlehren. Das ist spannend wie ein Thriller.

Weder die Kostüme (Birgit Hutter) noch die bleigraue Bühne (Walter Vogelweider) wollen der Statik aber etwas entgegensetzen. Das ergibt am Ende acht Männer in grauen Anzügen: Selten aber wurden graue Mäuse so gut auf der Bühne verkörpert. (Michael Wurmitzer, 24.3.2023)