Das Leben auf dem Bau ist hart, wie man bei einem Körperverletzungsprozess im Landesgericht für Strafsachen Wien erfährt.

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Wien – Eigentlich sei ihr Mandant, der 21-jährige Herr B., in diesem Fall das Opfer, erklärt die Verteidigerin dem Schöffengericht unter Vorsitz von Anna Marchart. Dass der Unbescholtene einen Arbeitskollegen und Mitbewohner bewusstlos geschlagen und auch danach so verprügelt haben soll, dass er einen Milzriss erlitt, wie der Staatsanwalt ihm vorwirft, stimme so nicht. Und überhaupt: "Es gab immer wieder Auseinandersetzungen. Das Opfer hat ihn sekkiert und fast gemobbt", behauptet die Rechtsvertreterin.

Der Bauarbeiter wiederholt das und bekennt sich zur absichtlichen schweren Körperverletzung nur teilschuldig. Auch am 8. Mai des Vorjahres sei das so gewesen. Der angeklagte Rumäne sei mit seinem Landsmann und anderen Arbeitskollegen fort gewesen, erfährt man. Gegen 22 oder 23 Uhr bemerkte er, dass seine Jacke weggewesen sei, die der später Verletzte mitgenommen haben soll. Er konnte den 35-Jährigen stellen, worauf dieser ihn beschimpfte und dem Angeklagten seine Jacke vor die Füße schmiss. Da habe er seinem Kontrahenten eine Ohrfeige gegeben und sei heimgefahren.

"Er wollte mich schlagen. Aber ich war schneller"

Dort warnte B. andere Mitbewohner, dass möglicherweise die Polizei kommen werde, die Schwarzarbeiter sollten besser verschwinden. Er ging mit ihnen vor das Wohnhaus, wo er neuerlich auf seinen Gegner traf. "Er ist mit erhobenen Fäusten auf mich zugekommen. Er wollte mich schlagen. Aber ich war schneller", ist der Angeklagte überzeugt. Er deutet einen Faustschlag gegen die rechte Gesichtshälfte an. Durch diesen sei das Opfer umgekippt und auf den Asphalt geprallt.

Danach schleifte er den Bewusstlosen über die Stiege in die gemeinsame Wohnung und will ihn dort ins Bett gelegt haben. Vorsitzende Marchart will wissen, warum der Verletzte keine Hose anhatte, als er später von anderen bewusstlos im Bett gefunden wurde. B. behauptet, das Opfer habe seine Jeans verloren, als er ihn in die Wohnung brachte. "Hatte der Mann Schuhe an?", fragt Marchart nach. "Ja." – "Wie soll das dann gehen, dass er die Hose verliert?" Der Angeklagte weiß es nicht.

Angeklagter kann sich Verletzungen nicht erklären

B. beteuert jedenfalls, nach dem einen Faustschlag gegen das Gesicht keine weiteren Angriffe gesetzt zu haben. Dass wiederum mag der medizinische Sachverständige Wolfgang Denk nicht recht glauben. Wurden beim Opfer im Spital doch neben der Gehirnerschütterung ein blaues Auge links, eine Rissquetschwunde rechts und eine aufgeplatzte Lippe festgestellt sowie mehrere Prellungen und Abschürfungen. Vor allem: "Woher stammt der Milzriss?", fragt Denk den Angeklagten. "Das weiß ich nicht. Vielleicht, als ich ihn in die Wohnung getragen habe?", lässt B. übersetzen. "Das glaub ich eher nicht", entgegnet der Mediziner, der in seinem Gutachten später erklärt, typischerweise entstehe diese Verletzung durch Einwirkung stumpfer Gewalt, also Schlagen.

Als ein weiterer Mitbewohner heimgekommen sei, habe der Panik gehabt, dass der Verletzte sterben könnte, und daher den Chef angerufen, der wiederum Rettung und Polizei alarmierte. Der Vorgesetzte kam auch selbst vorbei und sprach die Entlassung gegen den Angeklagten aus. "Ich habe dann eine Tasche gepackt und nach einem neuen Job gesucht, aber keinen gefunden. Danach bin ich nach Deutschland gefahren, habe dort aber auch nichts bekommen."

Einbruchsdiebstahl oder Rückholung von Eigentum

Also sei er zurück nach Wien gereist und wollte nach seiner Darstellung seine restliche Habe aus der früheren Wohnung abholen. Dafür sei er durch ein offenes Fenster eingestiegen, habe die Sachen in einen Trolley gepackt und sei wieder gegangen. Dass er damit in Wahrheit Eigentum des Verletzten, der zu diesem Zeitpunkt noch immer im Krankenhaus lag, gestohlen hatte, wie dieser behauptet, stimme auch nicht.

Der bleibt als Zeuge aber dabei: Als er nach neun Tagen aus dem Spital zurückkehrte, sei sein Schrank offen gestanden und Markenkleidung, Kopfhörer, eine Spardose mit 400 Euro Inhalt und ein Parfum hätten gefehlt. Insgesamt sei ihm ein Schaden von 1.500 Euro entstanden, sagt der Zeuge. Der auch verrät, dass er nie Probleme mit B. gehabt habe, geschweige denn ihn gemobbt habe, da er ihn erst eine Woche vor der Tat kennengelernt habe. Auch am fraglichen Abend habe es keinen Streit gegeben.

Vom Vorfall weiß das Opfer nichts mehr – der Sturz hatte nicht nur eine rund 15-minütige Bewusstlosigkeit zur Folge, sondern auch eine Erinnerungslücke. Die offenbar auch das vorangegangene Treffen mit dem Angeklagten inkludiert. "Haben Sie das was getrunken?", will die Vorsitzende vom Zeugen wissen. "Ja, einen Whisky und ein Bier." – "Kann es ein bisschen mehr gewesen sein?" – "Nein." – "Hören Sie, im Spital wurde Ihnen Blut abgenommen, sie hatten bei der Einlieferung 1,57 Promille. Das ist jetzt nicht nix." Der Zeuge bleibt dabei.

Verzicht auf Schmerzengeld

Obwohl ihm laut Sachverständigen Gutachten über 4.500 Euro Schmerzengeld zustehen würden, verzichtet der Mann auf einen Privatbeteiligtenanschluss. "Ich weiß, dass er nichts hat. Ich möchte nur, dass er sich entschuldigt", fordert der Zeuge vom Angeklagten, der diese Forderung erfüllt.

Bei der Aussage des Verletzten bekommt man auch eine Ahnung, wie es ausländischen Arbeitskräften in der Baubranche so geht. In der Wohnung lebten fünf Männer, der Zeuge selbst ging ab Juli zu keinen ärztlichen Kontrollterminen mehr, auch drei Einladungen von Sachverständigem Denk ignorierte der 35-Jährige. "Ich musste arbeiten", entschuldigt er sich. Und verkündet, dass auch der weitere Zimmerkollege, der bei der Polizei noch aussagte, er habe beobachtet, wie der Angeklagte in der Wohnung auf den Bewusstlosen einschlug, nicht kommen werde.

"Er hat mich gestern angerufen und gesagt, dass er nicht kommen könne, da er arbeiten muss." – "Mich hat er nicht angerufen", grollt Marchart. "Wissen Sie, wo er ist?" – "Auf einer Baustelle im zehnten Bezirk", lautet die unspezifische Auskunft. "Können Sie ihn anrufen und fragen, ob er schnell in ein Taxi springen und herkommen kann? Sonst lasse ich ihn das nächste Mal von der Polizei vorführen", droht die Vorsitzende. Der anwesende Zeuge versucht es, doch der fehlende Zeuge hebt nicht ab. Für den Angeklagten B. bedeutet das sechs weitere Tage Untersuchungshaft, da zur neuerlichen Ladung des Mitbewohners auf nächsten Donnerstag vertagt wird. (Michael Möseneder, 25.3.2023)