In der Ukraine mag ein heißer Krieg toben, aber in Washington gilt China immer noch als größter Feind. Und dessen gefährlichste Waffe sind 30 Sekunden lange Tanzvideos. Diesen Eindruck erweckten zumindest Kongressabgeordnete aus beiden Parteien bei der stundenlangen Befragung von Tiktok-Chef Shou Chew, der am Donnerstag wie ein Kriegsverbrecher verhört wurde. Gehorsam gegenüber Peking, Datenklau, Spionage, das Verderben der amerikanischen Jugend – alles wurde dem zurückhaltenden Manager aus Singapur vorgeworfen. Dass es die chinesische Regierung war, die Stunden vor dem Hearing den Verkauf von Tiktok ausschloss, nicht der private Mutterkonzern Bytedance, hat das Misstrauen im Bezug auf dessen Unabhängigkeit noch verstärkt.

Wurde im US-Kongress stundenlang befragt: Tiktok-Chef Shou Chew.
Foto: AP/ Alex Brandon

Ob Peking über die populäre Videoplattform tatsächlich an strategisch wertvolle Informationen herankommen könnte, spielt hier kaum noch eine Rolle. Tiktok ist zum Symbol des neuen kalten Krieges zwischen den USA und China geworden.

Aber die Darstellung dieses Kampfes hat so viel Substanz wie ein typisches Tiktok-Video. Weder ist China so mächtig, wie manche behaupten, noch lässt sich ein Masterplan für die globale Vorherrschaft erkennen. Der autoritäre Präsident Xi Jinping ist vor allem für sein Volk ein Problem, dem immer mehr Freiheiten genommen werden, darunter die Nutzung westlicher Onlinedienste. Die Dämonisierung von Tiktok ist die absurdeste Antwort auf die chinesische Herausforderung. (Eric Frey, 24.3.2023)