In vielen französischen Städten kam es zu Protesten, auch in Lyon.

AP/Laurent Cipriani

Sechs Wochen vor seiner Krönung wollte Charles III. Frankreich und Deutschland besuchen – ein wichtiges politisches Signal nach dem Brexit, dem EU-Austritt Großbritanniens. Die Franzosen fühlten sich besonders geehrt, dass ihnen der britische König nach dem Tod seiner Mutter als Erstes die Aufwartung machen wollte. Mit seiner Frau Camilla wollte er in Paris das Grabmal des unbekannten Soldaten beim Triumphbogen besuchen, im französischen Senat auftreten und einem Galadinner in Schloss Versailles beiwohnen. Mit vierzig Dienern im Schlepptau sollte er sodann im TGV-Zug nach Bordeaux reisen, um in dem Weingebiet Biowinzer zu treffen.

Daraus wird nun nichts. Wie das französische Präsidialamt mitteilte, ist der fürstliche Besuch "vertagt". Das hätten Charles und Macron bei einem Telefongespräch am Freitagmorgen beschlossen. In der Nacht zuvor war es in mehreren Städten, darunter namentlich Paris und Bordeaux, zu den bisher schlimmsten Krawallen gegen die Rentenreform gekommen. Vor der alten Pariser Oper lieferten sich vermummte Aktivisten mit mobilen Polizeieinheiten schwere Gefechte; Läden, Bankagenturen und ein McDonald’s-Lokal wurden verwüstet.

Die Polizei zählte im ganzen Land mehr als 900 Brandstiftungen. 457 Gewalttäter wurden verhaftet. Innenminister Gérald Darmanin erklärte, es seien gut 440 Polizisten verletzt worden. Das Video eines Gendarmen, der durch einen Steinwurf niedergestreckt wurde, kursierte im Internet.

Die beiden minderjährigen Österreicher, die am Rande einer Demonstration in Paris am 17. März verhaftet wurden, sind indes wieder auf freiem Fuß. Auf Intervention der Botschaft in Paris wurden sie am nächsten Tag aus der Haft entlassen, wie dem STANDARD am Freitag bestätigt wurde. Die zwei 15-Jährigen sollen sich auf Schulreise befunden haben.

"Arroganter" Staatschef

Die aktuelle Eskalation scheint eine direkte Folge von Macrons TV-Auftritt an diesem Mittwoch zu sein. Der Staatschef bekräftigte dabei sein Festhalten an der Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre. Auch die konservative Soziologin Naïma M’Faddel sagte, Macron habe mit seinem "arroganten" Ton alles nur noch schlimmer gemacht.

Offensichtlich schätzt Macron auch die – letztlich ausschlaggebende – Volksstimmung falsch ein. Vor Journalisten erklärte er, er habe den Thronfolger angerufen und ihn um die Verschiebung der Reise gebeten. "Es wäre nicht seriös, den König inmitten all dieser Demonstrationen willkommen zu heißen", sagte er.

Macrons Hoffnung, dass sich die öffentliche Meinung dadurch von den Protestierenden abwendet, bestätigte sich allerdings kaum. Der politische Kommentator Bruno Jeudy nannte die Absage der königlichen Reise "eine Ohrfeige für Frankreich, eine Ohrfeige für Emmanuel Macron". (Stefan Brändle aus Paris, 24.3.2023)