Oktoberfest hinter Schiebewänden: Kasimir (Felix Rech, re.) und Karoline (Marie-Luise Stockinger).

Matthias Horn

Schürzinger (Jonas Hackmann) und Karoline (Marie-Luise Stockinger) reden in den Kloanlagen Tacheles.

Foto: Matthias Horn

Finden nach den Turbulenzen Trost beieinander: Erna (Mavie Hörbiger) und Kasimir (Felix Rech).

Mathias Horn

Vom Meister der Stille, als der der Dramatiker Ödön von Horváth (1901–1938) grundsätzlich gilt, ist in der jüngsten Inszenierung seines All-time-Favorites Kasimir und Karoline am Burgtheater nichts zu spüren. Okay, wir sind am Oktoberfest, da kann es – abseits der Toilettenanlage – schon einmal laut werden. Regisseurin Mateja Koležnik setzt aber noch eins drauf. Sie platziert das vom Verwertungsgedanken der Liebe handelnde Volksstück aus dem Jahr 1932 unmittelbar neben einer Notfallambulanz: Sirenengeheul, Lautsprecherdurchsagen, hektisches Tragbahrenaufkommen.

Dieses blutige Treiben bringt gewisse Stefanie-Sargnagel-Schwingungen ins Spiel, hat die Wiener Autorin mit ihrem Stück Am Wiesnrand 2020 der apoaklyptischen Münchner Menschengaudi dahingehend doch ein recherchebasiertes Denkmal gesetzt. Koležnik macht dieses konkret: Alkoholleichen, Schlägereien, Vergewaltigung, Tobsucht, Prahlerei – wie sollen da zwei Verlobte unbeschadet durchkommen? Zumal Kasimir soeben arbeitslos geworden ist und Karoline panisch den erträumten gesellschaftlichen Aufstieg für sich hergestellt sehen möchte.

Wäre diese Idee eines alles ertränkenden Vergnügungschaos' auch reizvoll, so bleibt sie in der Umsetzung trotz einiger guter Szenen auf der Strecke. Denn als würde das Ensemble nicht für das Publikum, sondern eher für sich spielen und dann auch noch die Schiebetüren zuziehen, rückt vieles dieses kleinteiligen Getümmels in einem zweigeschoßigen Guckkastenarrangement vom Parkett weg. Zwischen den zwei Etagen (Bühne: Raimund Orfeo Voigt) wechseln die Oktoberfestleute hin und her, auf der Suche nach neuen Bekanntschaften, die sie in ein besseres Leben (oder zumindest in Sex) ummünzen könnten.

Trinken und urinieren

Die Wirtschaftskrise hat sichtlich jede Romantik aus den Beziehungen vertrieben. Oben drängen sich, durch milchige Glaswände kaum einsehbar, die allfälligen Passanten um zwei Zapfsäulen – Sanitäter, Kellnerinnen, Blasmusikkapelle (Musiker von Federspiel) –, unten in den krankenhausgrünen Kloanlagen wird an den gleichen Waschbecken gierig getrunken, in die bei Gelegenheit auch hineinuriniert wird.

Hier unten zwirbeln sich die Kellnerinnen (Lili Winderlich und Maresi Riegner) auf, hier unterwirft sich der Merkel Franz (Christoph Luser) gewaltsam "seine" Erna (Mavie Hörbiger), die widerwillig irgendwie mittut, damit es keinen Ärger gibt. Am Beckenrand werden Linien gezogen, an die Wand Erbrochenes gespuckt, und Transvestitin Juanita (Olivier Blau) tröstet sich mit mitgebrachter Radiomusik.

Am Schaukeldelphin

Ihre Präferenz für ein verschachteltes Korridor-Theater hat Regisseurin Koležnik in Österreich mehrfach bewiesen. Was für Kammerspiele stets geeignet schien – zuletzt im Akademietheater bei Fräulein Julie 2021 –, gerät hier aber an seine Grenzen. Besonders die eingehauste Oberetage entzieht sich jeder Inspektion und bleibt in ihrer inwendigen Optik (Holzvertäfelung) auch unlogisch.

Das Boomer-Duo Speer und Rauch (Markus Hering und Markus Meyer) ist dem Publikum meist nur mit dem Rücken zugewandt. Dafür einmal auf geniale Weise in der Hippodrom-Szene, in der im Original unter die fliegenden Röcke der Damen gespäht wird, hier aber die schon betrunkene Karoline, flankiert von Speer und Rauch, auf einem Schaukeldelphin schlapp einem Hochgefühl entgegenwackelt.

Dieser Karoline verleiht Marie-Luise Stockinger eine naiv-drängende Energie, sogar mit Hast schleckt sie an ihrem Stieleis, mit jener panischen Verzweiflung, mit der sie endlich ein abgesichertes und angesehenes Leben erringen will – für das es einen Mann mit Pensionsanspruch braucht. Sie erfüllt das Klischee einer Frau, die in schwierigen Zeiten – von der Kriegslust im antisemitischen Europas wird anfangs gemunkelt –, letztlich doch auf das Bankkonto eines potenziellen Gefährten schielt und so die Angst der Männer bestätigt, nur des Geldes wegen wertvoll zu sein.

Netter Schürzinger

Dagegen steigt einer wie Kasimir, den Felix Rech als wehleidigen, aber grundkorrekten Halbstarken spielt, deutlich besser aus. Er leiht sich dafür Sätze aus dem Horváth-Roman Der ewige Spießer: "Die Frauenfrage interessiert mich nicht, mich interessiert nur die Frau". Sympathie zeigt die Regie auch für seinen Kontrahenten Schürzinger (Jonas Hackmann), der hier entgegen seines Namens die solideste Existenz von allen aufweist, und obendrein noch nett, ehrlich und hilfsbereit ist.

Pech für Karoline also, wenn sie dies im Taumel nicht erkennt und stattdessen mit dem Cabrioletfahrer auf dem Boden der Tatsachen landet. Sämtlichen Frauenfiguren kann man an diesem Abend nur das Beileid ausdrücken, das ergibt wenig Spielraum und lässt die Inszenierung auch altbackener wirken als sie sein möchte. Unter den Schlussapplaus haben sich dann auch vereinzelte Buhs gemischt. (Margarete Affenzeller, 25.3.2023)