Russlands Präsident Wladimir Putin hat am Samstag die Stationierung taktischer Atomwaffen in der Ex-Sowjetrepublik Belarus angekündigt. Darauf hätten sich die Führungen in Moskau und Minsk geeinigt, sagte Putin am Samstagabend dem Staatsfernsehen. Russland verstoße damit nicht gegen den internationalen Atomwaffensperrvertrag. Putin verwies darauf, dass auch die USA bei Verbündeten in Europa Atomwaffen stationiert haben. "Wir machen nur das, was sie schon seit Jahrzehnten machen." Nachstehend die wichtigsten Fragen und Antworten zu der neuen Entwicklung.

Frage: Was sind taktische Atomwaffen?

Antwort: Taktische Atomwaffen, etwa Bomben oder Sprengköpfe für Raketen, sind Waffen mit kürzerer Reichweite und weniger Sprengkraft als strategische Atomwaffen. Als strategische Atomwaffen bezeichnet man etwa Interkontinentalraketen mit einer Reichweite von über 5.500 Kilometern. Raketen, die strategischen Bomberflotten, Cruise Missiles – damit bedrohten sich im Kalten Krieg die USA und die Sowjetunion. Ihre Obergrenze ist im New-Start-Vertrag geregelt. Russland hat diesen Vertrag zwar ausgesetzt, man hält sich aber weiterhin an die Obergrenze.

In Belarus sollen nun mit taktischen Atomsprengköpfen bestückbare Iskander-Raketen stationiert werden. Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte an, dass das Training dafür in Belarus am 3. April beginnen werde. Die nötigen Vorrichtungen für die mit atomaren Sprengköpfen bestückbaren Iskander-Raketen sollen am 1. Juli fertiggebaut sein. Aus Minsk gab es dazu zunächst keine Angaben. Die Reichweite dieser taktischen Atomwaffen wird mit mehreren Hundert Kilometern angegeben. Die Sprengwirkung liegt demnach zwischen 1 und 50 Kilotonnen TNT.

Iskander-Raketen haben eine Reichweite von mehreren hundert Kilometern.
Foto: AP/Russian Defense Ministry Press Service

Frage: Sind die Urangranaten, die etwa Großbritannien an die Ukraine liefern will, auch Atomwaffen?

Antwort: Nein, der Kern dieser Granaten besteht aus abgereichertem Uran, das zu für eine Nuklearexplosion zu wenig Radioaktivität enthält. Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt bei der Herstellung von Kernbrennstäben. Uran ist ein sehr schweres Metall, die Geschosse mit abgereichertem Uran haben deshalb eine besondere Durchschlagskraft, etwa um Panzer zu zerstören. Die britische Armee verwendet nach eigenen Angaben seit Jahrzehnten abgereichertes Uran in ihren panzerbrechenden Geschossen. Das Verteidigungsministerium in London warf Putin Falschinformation vor, nachdem er von einer "nuklearen Komponente" gesprochen hatte. Putin wisse, dass dies nichts mit nuklearen Waffen oder Fähigkeiten zu tun habe, hieß es.

Putin warnte hingegen vor dem Einsatz dieser Munition. Uranmunition gehöre "zu den schädlichsten und gefährlichsten für den Menschen", da der Uran-Kern radioaktiven Staub verursache und die Böden verseuche. Auch Russland habe Uranmunition, so Putin. "Wir haben ohne Übertreibung Hunderttausende solcher Geschosse", sagte er. Bisher seien sie aber nicht eingesetzt worden.

In den beiden Irak-Kriegen 1991 und 2003 verschossen US-amerikanische und britische Truppen rund 400.000 Kilogramm Uranmunition. Mit gravierenden Folgen: Heute beträgt etwa im irakischen Basra die Strahlenbelastung das 20fache des Normalwertes, so Experten. Die Zahl der Krebserkrankungen steigt, besonders bei Kindern. Viele Neugeborene kommen mit Missbildungen zur Welt.

Frage: Bedeutet die Stationierung von Atomwaffen in Belarus Säbelrasseln oder eine wirkliche Bedrohung für Westeuropa?

Antwort: Zunächst ist die Stationierung von Atomwaffen unmittelbar an der Grenze zur Ukraine ein starkes Signal an den Westen und die Nato. Dass Russland diese Waffen auch einsetzt, das ist unwahrscheinlich. Einen möglichen Ersteinsatz von Atomwaffen hat Russlands Präsident Wladimir Putin bislang stets dementiert. Die Bedrohungslage für Westeuropa wird sich durch die Stationierung nicht ändern. Zu diesem Schluss kommt auch das Institut für Kriegsstudien (ISW): "Die Ankündigung der Stationierung taktischer Nuklearwaffen in Belarus ist irrelevant für das Risiko einer Eskalation zu einem Atomkrieg, das nach wie vor äußerst gering ist." Die ISW-Experten halten Putins Ankündigung eher für eine "weitere Informationsoperation".

Frage: Steht Putin mit dem Rücken zur Wand?

Antwort: Ganz im Gegenteil. Nach dem Staatsbesuch von Xi Jinping vergangene Woche in Moskau handelt Präsident Putin aus einer Position der Stärke heraus. Gas und Öl will man nach China exportieren, von dort sollen verstärkt Konsumgüter nach Russland kommen. Damit würden die Sanktionen des Westens möglicherweise verpuffen. Auch "militärisch-technisch" will Russland mit China zusammenarbeiten. Über offizielle Waffenlieferungen ist nichts bekannt. Wenn dem aber so wäre, dann kann Putin seine "Spezialoperation" in der Ukraine noch lange weiterführen. Und bei Bedarf auch ausdehnen.

Russland will seine Rüstungsproduktion hochfahren. In einem Interview im russischen Staatsfernsehen sagte Putin: "Die Gesamtzahl der Panzer der russischen Armee wird die der ukrainischen um das Dreifache übertreffen, sogar um mehr als das Dreifache." Während die Ukraine aus dem Westen 420 bis 440 Panzer bekomme, werde Russland 1.600 neue Panzer bauen oder vorhandene Panzer modernisieren. Die Experten des ISW bezweifeln, dass Russlands Rüstungsindustrie dazu in der Lage ist. Außerdem fehlen Mikrochips und High-Tech-Bauteile. Diese könnte allerdings jetzt China liefern.

Frage: Ist Belarus jetzt Kriegsteilnehmer?

Antwort: Schon seit Beginn der "Spezialoperation" dient Belarus den russischen Truppen als Aufmarschgebiet. Über Belarus kommt Nachschub, Soldaten werden dort ausgebildet. Belarus und dessen Machthaber Alexander Lukaschenko gehören zu Moskaus engsten Verbündeten. Das Land ist politisch und wirtschaftlich vollständig von Russland abhängig. Lukaschenko habe immer wieder um die Stationierung der taktischen Atomraketen gebeten, so Putin. Russland habe Belarus zuletzt schon beim Umbau von Flugzeugen geholfen, von denen nun zehn so ausgerüstet seien, dass sie ebenfalls taktische Nuklearwaffen abschießen könnten.

Allerdings ist die Zustimmung zu Putins "Spezialoperation" in der belarussischen Bevölkerung nicht allzu hoch. Und im Land wächst der Widerstand gegen Belarus als Aufmarschgebiet russischer Truppen. Selbst ernannte "Cyber-Partisanen" setzten durch Hacker-Angriffe die Infrastruktur der Eisenbahn, etwa Signalanlagen und Relaisschränke, außer Betrieb. Militärzüge mussten von Hand gesteuert werden und kamen nur langsam voran. Das belarussische Innenministerium sprach von Terrorakten, die Opposition nannte es "Schienenkrieg", in Anlehnung an den Partisanenmythos des Zweiten Weltkrieges. Damals sprengten sowjetische Partisanen im Kampf gegen die deutsche Wehrmacht Schienenstränge im Hinterland.

Frage: Haben auch die USA taktische Atomwaffen außerhalb des Landes stationiert?

Antwort: Ja, die USA haben im Zuge der atomaren Abschreckung der Nato Atomwaffen in mehreren europäischen Ländern stationiert. Offizielle Angaben dazu gibt nicht, es sollen aber in den Niederlanden, Belgien, Italien und in Deutschland US-Atomwaffen lagern – außerdem im asiatischen Teil der Türkei.

In Deutschland, auf dem Fliegerhorst Büchel in der rheinland-pfälzischen Eifel, sollen noch bis zu 20 US-Atombomben lagern, die im Ernstfall mit Tornado-Kampfjets der Bundeswehr eingesetzt werden könnten. Die in Büchel stationierten Tornados sollen ab 2027 durch moderne Kampfjets aus US-amerikanischer Produktion vom Typ F35 ersetzt werden. (Jo Angerer aus Moskau, 26.3.2023)