Seit Monaten protestieren Hunderttausende Israelis gegen den Plan der ultrarechten Regierung, die Gewaltenteilung abzuschaffen. Der Protest lässt nicht nach, im Gegenteil: Am Samstag waren allein in Tel Aviv rund 300.000 Menschen auf der Straße.

Nun schlägt Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auch aus den eigenen Reihen Widerstand entgegen. Verteidigungsminister Joav Gallant, der schon seit mehreren Wochen intern vor negativen Folgen für Israels Sicherheit warnt, wagte sich Samstagabend aus der Deckung und sprach sich öffentlich für einen Aufschub der sogenannten Justizreform aus – per Rede ans Volk zur besten TV-Sendezeit.

"Bedrohung der Sicherheit"

"Der wachsende Spalt in unserer Gesellschaft zieht sich auch durch die Armee und die Sicherheitskräfte", sagte Gallant, der Netanjahus Likud-Partei angehört. "Das ist eine klare, unmittelbare und spürbare Bedrohung für die Sicherheit unseres Staates", warnte der Verteidigungsminister. "Ich werde das nicht zulassen." Der Minister rief seine Regierung auf, die Gesetzgebung zu stoppen und die Justizreform bis Ende April zu verschieben.

"Bibi zerbricht Israel", befürchten diese Demonstranten in Tel Aviv.
Foto: AFP/Gharabli

Gallant hätte diese Rede eigentlich schon Donnerstagabend halten wollen, war aber von Netanjahu zurückgepfiffen worden. Statt Gallant trat Netanjahu da noch selbst vor die Kamera und erklärte, der geplante Demokratieumbau sei das Beste, was dem Land passieren könne. Er werde höchstpersönlich dafür bürgen, sagte Netanjahu – und machte sich auf den Weg nach Großbritannien, wo er am Freitag in London Premierminister Rishi Sunak traf.

Pathos

Übers Wochenende und in Abwesenheit Netanjahus versicherte sich Gallant dann aber des Rückhalts mehrerer gleichgesinnter Parteikollegen. Bis Sonntagmorgen hatten drei Likud-Abgeordnete erklärt, Gallants Aufruf zu unterstützen.

Gallants Rede war von einem Pathos geprägt, der wohl dazu diente, in der eigenen Basis für Verständnis für sein Ausscheren aus der Parteilinie zu werben. "In meiner Uniform habe ich Dutzende Male mein Leben für den Staat Israel gefährdet", sagte Gallant. "Auch dieses Mal bin ich bereit, unserem Land zuliebe jeden Preis zu zahlen."

Amtsverlust

Damit ist wohl der Verlust seines Amtes gemeint. Und Netanjahu entließ Gallant am Sonntagabend dann auch tatsächlich. Zuvor wurden bereits Rufe nach Gallants Ablöse laut, auch aus der eigenen Partei. Netanjahu, der in der Nacht auf Sonntag aus Großbritannien zurückgekehrt war, nutzte den Sonntag für intensive Gespräche mit den Abtrünnigen. Zum Teil mit Erfolg: Landwirtschaftsminister Avi Dichter, der Gallants Aufruf zunächst unterstützt hatte, erklärte nun plötzlich, er werde "nach Abstimmung mit Netanjahu und (Justizminister Jariv, Anm.) Levin auf jeden Fall für die Reform stimmen". Dichter war schon während der Koalitionsverhandlungen als möglicher Kandidat für das Verteidigungsministerium genannt worden. Sollte Gallant zurücktreten müssen, könnte ihm Dichter nachfolgen. Es ist eine bewährte Strategie Netanjahus, sich Loyalität mit Jobzusagen zu erkaufen – nicht immer werden diese Zusagen dann auch eingelöst.

Sonntagmorgen hatte es noch ganz so ausgesehen, als hätte Gallant genügend Abgeordnete zusammengetrommelt, um die Reform im Parlament zu blockieren.

Abstimmung in der Knesset

Nach Avi Dichter erklärte dann aber auch Likud-Abgeordneter Eli Dellal, er werde trotz geäußerter Bedenken für die Reform stimmen, deren erster Teil diese Woche im Parlament beschlossen werden soll. Bleiben also nur noch zwei Likud-Vertreter, die möglicherweise kontra stimmen: Gallant und der frühere Gesundheitsminister Juli Edelstein. Noch diese Woche soll das Plenum der Knesset das Gesetz in zweiter und dritter Lesung verabschieden.

Was den Ausschlag für Gallants Warnruf gab, darauf deuten Erzählungen aus Armeekreisen hin: Immer mehr interne Berichte hätten den Minister zur Einsicht kommen lassen, dass die aktuelle Krise – Massenproteste, Boykott der Reservisten – schon jetzt negative Folgen für Israels Sicherheit habe. Gallant soll Netanjahu gebeten haben, eine Sondersitzung des Sicherheitskabinetts einzuberufen, um die Lage zu besprechen. Der Premierminister habe das jedoch abgelehnt, berichtet Ynet News. Erst diese Weigerung soll Gallant zu seinem Schritt an die Öffentlichkeit bewegt haben. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 26.3.2023)