Beleuchtet Migration aus feministischer Perspektive: Nil Yalter.

Foto: Günther Kresser

Die größte staatliche Arbeitskräftebeschaffungsaktion der Zweiten Republik hat im offiziellen Gedächtnis Österreichs nicht viel Platz. Dabei haben die Anwerbeabkommen mit der Türkei und dem damaligen Jugoslawien das Land entscheidend mitgeprägt. Einerseits, weil der wirtschaftliche Aufschwung der 1960er- und frühen 1970er-Jahre ohne (billige) Arbeitskräfte aus dem Ausland nicht zu stemmen gewesen wäre.

Andererseits, weil Österreich damit zum Einwanderungsland wurde. Was in der Theorie allerdings ebenso wenig vorgesehen war wie Integrationsmaßnahmen. Ein folgenschweres Versäumnis – und vermutlich auch ein Grund, sich lieber nicht zu erinnern.

Kultur- und Forschungsprojekte haben ab den 1990er-Jahren wichtige Beiträge zu einem Perspektivenwechsel beim Blick auf die sogenannten Gastarbeiter geleistet. Mit der Ausstellung Gurbette Kalmak / Bleiben in der Fremde im Innsbrucker Taxispalais wolle man den Fokus nun vor allem auf künstlerischen Aktivismus und den Kampf um Arbeits- und Bürgerrechte in den 1970er-Jahren legen, sagt Gürsoy Doğtaş, der die Schau gemeinsam mit Taxispalais-Direktorin Nina Tabassomi kuratiert hat.

Ausstellungstrilogie

Sie ist laut Tabassomi Teil eins einer Ausstellungstrilogie, die sich mit Fragen des sozialen Miteinanders auseinandersetzt. Da denkt man unweigerlich auch an die Gegenwart, an Debatten über Arbeitskräftemangel oder auch daran, dass Anwerbesysteme in manchen Bereichen längst auf die privatwirtschaftliche Ebene ausgelagert wurden, etwa an Agenturen, die 24-Stunden-Betreuerinnen anheuern. Erstaunlicherweise wird all das aber konsequent ausgeklammert, die Schau bleibt im Historischen verhaftet. Womöglich dockt die Trilogie ja zu einem späteren Zeitpunkt noch an die Gegenwart an.

In den Siebzigern schlug die Stimmung auf dem Arbeitsmarkt im Gefolge der Ölkrise um, das rechtspopulistische Klima verschärfte sich. In Deutschland wählte Semra Ertan eine drastische Form des Protests gegen den zunehmenden Fremdenhass: Die Tochter türkischer Einwanderer hat sich 1982 im Alter von 25 Jahren in Hamburg öffentlich verbrannt. Erst vor zwei Jahren ist eine deutsche Publikation mit Ertans Gedichten erschienen, mehr als 350 hat sie geschrieben und darin ihre Migrationserfahrungen auch literarisch verarbeitet. Zum Beispiel in Mein Name ist Ausländer und in Unheimlich glücklich, wo es heißt: "Wenn sie sagt, sie sei unheimlich glücklich, heißt es, dass sie heimlich unglücklich ist, weil sie kein Heim hat."

In Vitrinen sind Manuskripte und Archivmaterialien zu sehen, sie dokumentieren auch zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rassismus, die nach Semra Ertans Tod entstanden sind. Cana Bilir-Meier, Absolventin der Wiener Akademie und eine Nichte von Semra Ertan, widmet dieser einen berührenden Videoessay.

Bei Hanefi Yeter, der 1973 als Kunststudent aus Istanbul nach Berlin kam, springen einem aus Stilelementen naiver Malerei die Darstellungen sozialer und politischer Ereignisse entgegen, darunter das Massaker am Taksim-Platz 1977. Die Porträts von Arbeitsmigrantinnen wirken heute wie aus der Zeit gefallen, nicht aber die Zeugnisse bürokratischer Herablassung, mit denen Yeter sie gestempelt hat.

Polyfone Perspektiven

Mit der 1938 in Kairo geborenen und in Istanbul aufgewachsenen Nil Yalter ist hier auch eine Künstlerin vertreten, die migrantische Existenzbedingungen schon früh aus feministischer Perspektive und mit multimedialen Mitteln beleuchtet hat. Interviews arrangiert Yalter zu einem polyfonen Tower of Babel aus Monitoren, über einer Tapete aus Fotos und Zeichnungen von türkischen Einwanderern steht in roter Schrift ein Zitat des Dichters Nâzım Hikmet: "Exil ist harte Arbeit". Daran ließe sich anknüpfen. (Ivona Jelčić, 27.3.2023)