Österreich leistet sich die höchste Parteienförderung in Europa. Das Parlament ist zu einer untergeordneten Abstimmungsmaschine für Vorlagen der Regierung verkommen.

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Menschen haben einen zähen Hang zum Stammesdenken. Bis heute ist Samuel Huntingtons oft kritisierter Kampf der Kulturen ein beliebtes politisches Erklärungsmuster. Auch bei der Analyse der Demokratien der westlichen Welt reden wir von "den Amerikanern", "den Österreichern" oder "den Griechen". Natürlich haben Gesellschaften Prägungen. Aber im Allgemeinen vernachlässigen wir, wie wichtig die Struktur politischer Systeme ist.

Die USA und England haben zum Beispiel Majorzwahlen, bei denen diejenige Kandidatin gewinnt, die die meisten Stimmen auf sich vereint, in den meisten Fällen selbst, wenn sie nicht einmal 50 Prozent erreicht.

Dieses System bedingt Zweiparteiensysteme. Die meisten europäischen Länder haben dagegen ein Verhältniswahlrecht, durch das auch kleinere Parteien in Parlamenten vertreten sind; in den Niederlanden ist man zum Beispiel schon mit 0,67 Prozent der Stimmen dabei. In Österreich braucht eine Partei vier Prozent, um den Sprung in den Nationalrat zu schaffen.

Beispiel Schweiz

Die Verteilung der Macht richtet sich nach der Stärke der Parlamente, der Parteien und der Regierung. Parteien sind notwendig, brauchen aber Gegengewichte. In der Schweiz sind Mitglieder des National- und Ständerats in relativ kleinen Wahlkreisen (in Appenzell-Innerrhoden reichen 2.000 Stimmen für einen Sitz im Nationalrat) als Persönlichkeiten verankert. Die Regierungsmitglieder, die sieben Bundesräte, werden von National- und Ständerat gewählt, haben aber eine fixe Amtszeit. Dementsprechend gibt es bei verschiedenen Gesetzen unterschiedliche Ad-hoc-Koalitionen von Räten verschiedener Parteien – und wenig Partei-"Disziplin". Die Regierung kann sich nie sicher sein, dass ihre Vorlagen Mehrheiten erreichen.

"Österreich leistet sich die höchste Parteienförderung in Europa."

Österreich ist anders: Nationalräte werden über von Parteigremien erstellte Listen gewählt; die Umreihung mittels Vorzugsstimmen ist eine hohe Hürde. Die Position der einzelnen Abgeordneten ist schwach, die der Parteien stark – und dementsprechend bedienen sie sich selbst: Österreich leistet sich die höchste Parteienförderung in Europa. Das Parlament ist zu einer untergeordneten Abstimmungsmaschine für Vorlagen der Regierung verkommen.

Unabhängige Geister in den Parlamentsklubs werden mit der impliziten Drohung, das nächste Mal nicht wieder auf der Liste aufzuscheinen, gefügig gemacht. Zu viel Macht hängt in Österreich in den Zentralen der Parteien mit Mehrheit im Parlament, nicht nur in der Regierung, sondern auch vom ORF bis zur Bestellung von Sektionsleitern, Botschaftern und Richtern.

Unser System ist gewachsen, sehr stark verwachsen – aber nicht unveränderlich.

Parlament aufwerten

Der archimedische Punkt der österreichischen Politik, der Hebel der Veränderung, ist ein Zurückstutzen der Parteien: die drastische Reduzierung der Parteienfinanzierung und eine verpflichtende Umreihung der Listen nach Vorzugsstimmen. Das Parlament würde aufgewertet, womit auch besser qualifizierte Nationalräte wahrscheinlicher würden. Die Regierung könnte Gesetze nicht mehr diktieren. Macht wäre mehr aufgeteilt. Das wäre für Österreich ungewohnt, aber schon allein damit würde sich in Österreich viel zum Besseren wenden. Die politische Kultur würde sich ändern. (Veit Dengler, 27.3.2023)