"Vera", die preisgekrönte Dokufiktion von Tizza Covi und Rainer Frimmel handelt von einem leicht täuschbaren "Nepo-Baby"

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Der Tod und ein Pferd: Thomas Schubert und Marlene Hauser im Kurzfilmgewinner "Cornetto im Gras" von David Lapuch

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"Souls of a River", der Gewinner des Dokumentarfilmpreises.

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Spoiler-Alert! Auf der Diagonale wurde jetzt schon die Gewinnerin des Eurovision Song Contest bekanntgegeben. "Die Wiener Sängerin, Künstlerin und Peer-Beraterin Iris Kopera hat, zehn Jahre nach Conchita Wurst, mit ihrem Song Lachgezwitscher gewonnen." So zumindest verkündet es die Nachrichtensprecherin im Diagonale-Preisträgerfilm für innovatives Kino C-TV (Wenn ich Dir sage, ich habe Dich gern …) von Eva Egermann und Cordula Thym.

Eine TV-Show zum Verlieben: "C-TV (Wenn ich Dir sage, ich habe Dich gern …)" von Eva Egermann und Cordula Thym.
Foto: Eva-EgermannCordula-Thym

Ein Zufall ist es nicht, dass hier ein Film gewonnen hat, dessen Produktion weiblich dominiert ist und der einen kultigen Fernsehsender abseits der heteronormativen Gesellschaft imaginiert. Innovatives Kino war immer schon Experimentierfeld für marginalisierte Perspektiven, und gerade diese sind es, die sich durch das Programm und die Diskussionen der diesjährigen Diagonale gezogen haben.

Hauptpreis an "Vera" von Covi & Frimmel

Vera, der den mit 21.000 Euro dotierten Großen Diagonale-Preis für den besten Spielfilm erhielt, schlägt ebenfalls in diese Kerbe. Das Regie-Duo Tizza Covi und Rainer Frimmel porträtiert darin eine andere Art des oft verhöhnten Nepo-Babys, des Kindes reicher, erfolgreicher Eltern. Vera Gemma ist die Tochter des Italo-Filmstars Giuliano Gemma. Zeitlebens befand sie sich im Schatten ihres Vaters, nicht nur hinsichtlich seines Erfolgs, sondern auch angesichts seiner Schönheit. Ein liebevoll-tragischer, wenn auch kein überraschender Gewinnerfilm – Vera hat bereits am Filmfestival von Venedig zwei Preise gewonnen.

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Daumen rauf, Daumen runter?

Der Auftrag der Diagonale, einen möglichst repräsentativen Querschnitt durch das österreichische Filmschaffen abzubilden, zeigt sich am deutlichsten im Spielfilmwettbewerb. Fixstarter waren, trotz kontroverser Debatten, Sparta von Ulrich Seidl und Marie Kreutzers Corsage. Beide Filme wurden auch von ihnen massiv hinterfragt, so Peter Schernhuber, ein Teil der scheidenden Diagonale-Intendanz. Doch schlussendlich habe man sich gegen das "Daumen rauf, Daumen runter‘-Prinzip" und "die österreichische Tradition des Verdrängens" gestellt.

Schablonenhaft wirkten einige der Spielfilmdebüts des Wettbewerbs. Jüngeres Kino, das fiel auf, ist nicht automatisch experimentierfreudig. Auch das haben Sebastian Höglinger und Schernhuber, die 2016 vom Jugendfestival Youki kommend die Diagonale-Leitung übernahmen, innerhalb ihrer achtjährigen Intendanz feststellen müssen.

Die Preisträger der Hauptwettbewerbe sind denn auch allesamt seit Jahren beim Film. Chris Krikellis, Jahrgang 1965, bestätigt diese Beobachtung. In seinem kontemplativen Dokumentarfilm Souls of a River, der als beste Doku prämiert wurde, gibt er jenen eine Stimme, die am Grenzfluss Evros zwischen der Türkei und Griechenland verlorengegangen sind.

Wer bleibt außenvor?

Kardinal Kino alias der "Razzennest"-Regisseur Johannes Grenzfurthner fordert Geld vom Land Niederösterreich.
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Von sozialen Anliegen ist Diversität nicht zu trennen. Deshalb war es nicht überraschend, dass auf dieser Diagonale oft von Geld die Rede war. Vor allem dann, wenn es fehlte.

Der Filmemacher Johannes Grenzfurthner etwa feiert mit seinen nerdigen Horrorfilmen international Erfolge, in Österreich findet er jedoch weder Förderung noch Verleih. Selbstironisch mit seiner Außenseiterrolle spielend stellte er im Pontifex-Kostüm seinen Neuling Razzennest vor – die lange Reihe der Förderinstitutionen im Filmvorspann entsprang komplett der Fantasie.

Wie war das mit der Mietpreisbremse?

Auch bei Sebastian Brauneis’ Filmpremiere von Die Vermieterin ging es ums (fehlende) Geld. Trotz Mangelwirtschaft kommt der Film aber sehr professionell daher. Die tolle Besetzung, darunter die Trägerin des Diagonale-Schauspielpreises Margarethe Tiesel als ruchlose Vermieterin, trägt das ihrige dazu bei.

Nur scheinbar auf Kuschelkurs – die Eigentümerin und ihre Mieterin in Sebastian Brauneis' kultverdächtigem "Die Vermieterin".
Foto: Sebastian-Brauneis

Angesichts der guten Stimmung im Kinosaal und des überaus relevanten Themas (Mietpreisdeckel?) hätte Brauneis auch den Publikumspreis gewinnen können. Den aber bekam, völlig verdient, Katharina Mücksteins Feminism WTF, der kommende Woche in den Kinos anläuft. Feminism WTF bringt denn auch die heurige Diagonale auf den Punkt: mehr Inklusion, mehr Perspektiven und mehr Feminismus!

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Was also bleibt von der Ära Höglinger und Schernhuber? In jedem Fall die Erkenntnis, dass das "Paradoxon des dreibeinigen Spagats", also die Schwierigkeit, Publikum, Film und Branche gleichermaßen zu befrieden, dann gelingen kann, wenn man sich nahbar und gesprächsbereit zeigt. (Valerie Dirk, 26.3.2023)