Die Demonstrantinnen rund um das Wiener Hotel Marriott wurden von der Polizei auch mit Pfefferspray in Schach gehalten.

Foto: APA / Tobias Steinmaurer

Millionen von Haushalten und weite Teile der österreichischen Wirtschaft sind von einer stabilen Gasversorgung abhängig – und werden das noch viele Jahre bleiben. Das gilt für die meisten europäischen Staaten. Deshalb ist es legitim, dass sich Vertreter aus verschiedenen Bereichen – Gasproduzenten, Verbraucherinnen und Transporteure und Händlerinnen – alljährlich zu einer Konferenz treffen, um über aktuelle Themen zu sprechen.

Heuer ist die Europäische Gaskonferenz (EGC) des Energy Council, die am Montag im Hotel Marriott an der Wiener Ringstraße begonnen hat, besonders brisant. Schließlich geht es darum, die Abhängigkeit Europas vom russischen Gas rasch zu verringern. Denn sonst kann Wladimir Putin die Staaten, die die Ukraine in ihrem Überlebenskampf unterstützen, weiter erpressen. Es geht um die Erschließung sicherer Alternativen durch Lieferungen von Flüssiggas (LNG) und auch um ein klimapolitisches Ziel: die Umstellung auf grünes Gas, das nichts zur Erderwärmung beiträgt.

Drinnen Pragmatismus, draußen Empörung

Die Männer und wenigen Frauen, die sich auf der Konferenz treffen, sind Manager, Regierungsvertreter oder Fachleute, die spezifische Interessen vertreten oder wichtige Expertise besitzen. Die meisten von ihnen sind keine "Gaslobbyisten", wie ihre Kritiker behaupten – aber sie sind auch keine Klimaaktivisten.

Diese stehen oder liegen auf der Straße rund um den Tagungsort und verfolgten ein anderes Ziel mit einer anderen Perspektive. Der Block-Gas-Bewegung geht es nicht darum, dass die Häuser warm bleiben und die Industrieanlagen weiterlaufen, sondern um einen radikalen Wechsel unserer Energiepolitik, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden. Der technokratische Pragmatismus, der drinnen regiert, ist ihnen zuwider. Sie sehen darin eine akute Gefahr für die Zukunft des Planeten.

Gas ist besser als Kohle, aber nicht gut

Das Komplexe an all den Debatten rund um Energiepolitik und Klimaproteste ist, dass beide Seiten recht haben. Gas ist kurzfristig unverzichtbar und mittelfristig als Brückentechnologie notwendig, bis erneuerbare Energieträger den Energiehunger der Welt stillen können. Gas ist nicht klimaneutral, aber es ist deutlich besser als die Kohle, die wie kein anderer fossiler Brennstoff die Erderwärmung antreibt. Wo immer Gas die Kohle verdrängt, wie etwa in den USA im vergangenen Jahrzehnt, sinken die Treibhausgasemissionen.

Aber jede neue Investition in die Gasproduktion und Gasversorgung durch Pipelines und LNG-Anlagen, egal ob in Europa oder Afrika, droht den Wechsel zu Erneuerbaren oder zu einer energieeffizienteren Wirtschaft zu bremsen und damit das Erreichen der Klimaziele zu erschweren. Klimaschützer haben guten Grund, die Motive der Gasbefürworter zu hinterfragen. Gas ist verfügbar, Gas ist bequem. Gas ist wie ein Beruhigungsmittel, das die Angst vor der Katastrophe nimmt, aber diese nicht abwendet.

Beide Seiten haben recht

Deshalb haben beide recht – die ach so vernünftigen Rednerinnen und Zuhörer bei der Konferenz und die empörten Plakatträger und Kleberinnen auf der Straße. Der Clash zwischen diesen beiden Welten spiegelt die Konflikte wider, in denen sich unsere Gesellschaft und Wirtschaft angesichts der Klimakrise befindet.

Es ist die Aufgabe der Behörden, beide Seiten Raum zu geben, ihre Sichtweise kundzutun. Wenn Proteste den Straßenverkehr zeitweise blockieren, so ist das in einer freien Gesellschaft hinnehmbar. Die Konferenz selbst dürfen sie nicht verhindern.

Und die nationale und europäische Politik steht vor der aller schwierigsten Aufgabe: die Gasversorgung abzusichern und gleichzeitig alle Schritte zu unternehmen, um sich mittelfristig von Gas zu trennen. Was immer sie dabei tut, wird niemanden ganz zufriedenstellen. (Eric Frey, 27.3.2023)