Neslihan Turan-Berger arbeitet seit 27 Jahren für den sozialen Wohnbau.
Foto: Georgia Sever

Im Gastblog erzählen Sonja Gruber und Amila Širbegović aus einem Gespräch mit der Stadtplanerin Neslihan Turan-Berger über deren Wohnbauprojekt, bei dem Menschen aus mehr als zwanzig Ländern zusammenleben.

Wien genießt weltweit Anerkennung für den sozialen Wohnbau, der, beginnend mit dem kommunalen Wohnbauprogramm des Roten Wien in den 1930er-Jahren, bis heute höchste Standards und Wohnqualitäten erzeugt. Daran arbeiten täglich zahlreiche Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen an vielen Orten in dieser Stadt. Eine der Institutionen, wo leistbarer Wohnraum durch Neubau und Sanierung entwickelt und gefördert wird, ist der Wohnfonds Wien. Neslihan Turan-Berger ist seit 27 Jahren als Raumplanerin hier tätig.

Begonnen hat sie Ende 1995 im Bereich der Blocksanierung im damaligen WBSF (Wiener Bodenbereitsstellungs- und Stadterneuerungsfonds, heute Wohnfonds Wien), hat dann lange in der Koordination und zuletzt in der Unternehmenskommunikation gearbeitet. Neslihan ist in der Türkei geboren und aufgewachsen und hat dort in Ankara ein vierjähriges Bachelorstudium für Stadt- und Regionalplanung und dann ihr Diplom in Raumplanung und Raumordnung an der TU Wien abgeschlossen. Nach dem Studium war die Arbeitssuche nicht einfach, da sie damals als noch türkische Staatsbürgerin trotz akademischen Abschlusses in Österreich eine Beschäftigungsbewilligung brauchte. Sie fand dann den Job beim WBSF, wo nicht nur ihre Planungserfahrung, sondern auch ihre Migrationsexpertise gefragt waren. Die offene Stelle war für ein von der EU kofinanziertes Stadtteilrevitalisierungsprojekt vorgesehen, dessen Intention die gesamtheitliche Aufwertung eines migrationsgeprägten Stadtteils in Gürtelnähe war.

Wohnmodell interethnische Nachbarschaft

Im Rahmen ihrer Doktorarbeit hat sich Turan-Berger mit den Lösungsansätzen zur Integration von ethnischen Minderheiten im Städtebau und Wohnbau in Wien beschäftigt. Gemeinsam mit ihrem Dissertationsbetreuer Ernst Gehmacher und der Sozialbau gelang es ihr, ein Team aus Expertinnen und Experten aufzustellen, um Integration im Wohnbau als Projekt umzusetzen. Daraus ist "W.i.e.N: Wohnmodell interethnische Nachbarschaft – Der globale Hof"² im 23. Bezirk entstanden, mittlerweile international bekannt und mit dem ersten Wiener Wohnbaupreis 2009 ausgezeichnet. "Es war ein Projekt, das seiner Zeit weit voraus war", erzählt sie, wenn sie an diese Zeit zurückdenkt.

In dem Projekt von Neslihan Turan-Berger können sich Personen mit verschiedensten kulturellen Hintergründen und Biografien auf Augenhöhe begegnen.
Foto: Georgia Sever

Seit 2000 leben dort circa 300 Menschen aus rund 20 Ländern der Welt. Die Idee war, mit einem Verteilungsschlüssel von 50:50 (Mieterinnen und Mieter ohne und mit Migrationsgeschichte) den Menschen auf freiwilliger Basis die Möglichkeit zu geben, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Es wurden unterschiedliche Begegnungsräume geschaffen, die dies ermöglichten: Gemeinschaftsgärten auf dem Dach, Waschküchen im Erdgeschoß neben Kinderspielräumen, hochqualitativer Freiraum, kleine Geschäftslokale mit ethnischen³ Ökonomien. Flexibilität der Grundrisse für sich verändernde Lebensumstände, aber auch die Leistbarkeit standen im Vordergrund. Und das alles mehr als zehn Jahre bevor Konzepte der sozialen Nachhaltigkeit ein Qualitätskriterium bei Bauträgerwettbewerben wurden.

Die in dem Projekt berücksichtigten Aspekte sind auch heute noch aktuell: Wien ist in den letzten 30 Jahren schnell gewachsen und kratzt gerade an der Zwei-Millionen-Marke. Mehr als ein Drittel aller Wienerinnen und Wiener hat keinen österreichischen Pass. Schätzungsweise haben weitere 20 Prozent der hier lebenden Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft eine sogenannte "ausländische Herkunft".¹ Somit hat die Hälfte der Wiener Bevölkerung eine persönliche oder familiäre Migrationsgeschichte.

Soziale Nachhaltigkeit als relevanter Faktor

"Ich glaube schon, dass wir mit diesem Projekt zur Bewusstseinsbildung beigetragen haben, die vierte Säule 'Soziale Nachhaltigkeit' einzuführen", erzählt Neslihan Turan-Berger stolz. Bei den Bauträgerwettbewerben, die vom Wohnfonds Wien ausgelobt werden, gibt es in Wien als Qualitätskriterien vier Säulen der Nachhaltigkeit: Architektur, Ökonomie, Ökologie und seit 2009 die soziale Nachhaltigkeit.

In den letzten 13 Jahren wurden zahlreiche Konzepte zur sozialen Nachhaltigkeit von verschiedenen Expertinnen und Experten entwickelt und umgesetzt. Um das anzustoßen, brauchte es mutige Menschen wie Neslihan Turan-Berger, ohne die es weder Vergangenheit noch Zukunft in dieser Stadt gäbe. (Sonja Gruber, Amila Širbegović, Neslihan Turan-Berger, 28.3.2023)