Vor dem Louis-Vuitton-Geschäft im ersten Bezirk in Wien sind Menschenschlangen nichts Ungewöhnliches. Doch am Morgen des 10. März wartet nicht nur die übliche kaufkräftige Kundschaft auf Einlass, auch zahlreiche Schaulustige und Neugierige wollen am Security-Personal vorbei in den Laden hinein. Denn das Luxusunternehmen, das bisher in René Benkos Geschäftsviertel Goldenes Quartier in den Tuchlauben zu Hause war, ist ein paar Meter weitergezogen. Es wurde nach aufwendigen Renovierungsarbeiten im Wüstenrot-Haus am Graben Nummer 20 und damit an einer der besten Adressen der Stadt neuerlich eröffnet.

Der neue Flagshipstore von Louis Vuitton ist weithin sichtbar.
Foto: Stephane Merate

Laden, wechsel dich!

Bis Juni 2021 befand sich hier das altehrwürdige Delikatessengeschäft Meinl am Graben. Das Traditionshaus gibt es zwar immer noch, er hat seine Verkaufsfläche aber von 1700 auf 1200 Quadratmeter reduziert. Statt Gourmandisen findet man hier nun High-Class-Mode. Die ikonische Fassade des historischen Gebäudes (Bauzeit: 1898/1899) blieb weitestgehend erhalten, doch das Innere ist kaum wiederzuerkennen.

Der dunkle und enge Eingangsbereich ist passé. Offen, weit und hell hat US-Architekt Peter Marino das Interieur gestaltet, ein Blickfang ist die verchromte Wendeltreppe mit schwebenden Steinstufen, dahinter sind Bilder des Künstlers Erwin Wurm platziert. In den Flagship-Stores des Luxuskonzerns LVMH gehört es zum guten Ton, bei internationalen Künstlern und Künstlerinnen Arbeiten in Auftrag zu geben.

Es ist bei weitem nicht der einzige, aber der prestigeträchtigste Umzug der letzten Monate im Grätzel. Der Mietvertrag der Luxusmarke im Goldenen Quartier war nach zehn Jahren ausgelaufen. Am neuen Standort ist auf vier Stockwerken und rund 1300 Quadratmetern zwar nicht viel mehr Platz als an der alten Adresse, doch die Marke ist nun weithin sichtbar und im Herzen der teuren Einkaufsmeile angekommen. Branchenkenner sind sich einig: Eine solche Fläche kommt nur alle paar Jahre auf den Markt.

Grafik: Der Standard

Die Luxusumzugskisten wurden und werden allerdings auch an anderen Ecken am Graben und Kohlmarkt gepackt (siehe Grafik) – die einen wollen sich vergrößern, die anderen ihren Standort für das jeweilige Publikum optimieren, und wieder andere ergreifen einfach die Gelegenheit in diesem hochpreisigen Bäumchen-wechsel-dich-Spiel, das den ersten Bezirk ergriffen hat, wenn sie sich bietet.

Ein kurzes Best-of: Das Modehaus Saint Laurent wird aus dem Goldenen Quartier in das ehemalige Salamander-Haus auf dem Graben ziehen. Der Nachmieter ist noch nicht fix, er wird aber wie auch Saint Laurent aus dem Kering-Konzern stammen. Giorgio Armani hat seinen Store auf dem Kohlmarkt geschlossen, dafür im Jänner einen Temporary Store an der Ecke Graben und Trattnerhof eröffnet, wo zuvor Versace beheimatet war.

Weitere Rochaden

In den früheren Standort von Armani zieht dafür nun der Pariser Traditionsjuwelier Van Cleef & Arpels, die Arbeiten laufen bereits. Tommy Hilfiger wiederum hat am Kohlmarkt Platz gemacht und sich im früheren Standort von Paul & Shark am Graben niedergelassen, wo – ein vermutlich überzeugendes Argument – deutlich mehr Massenpublikum unterwegs ist. Die Uhrenmarke Hublot baut gerade noch in der Seitzergasse das frühere Geschäft von Church auf 130 Quadratmetern um. Der Juwelier Von Köck ist temporär ins Goldene Quartier gezogen, ebenso Hermès, die Marke wird an den alten, vergrößerten Standort zurückkehren.

Über weitere Rochaden im teuersten Grätzel des Landes, die heuer oder nächstes Jahr über die Bühne gehen könnten, wird zumindest im Innenstadtlokal Schwarzen Kameel bereits bei Beef Tartar und Prosecco getuschelt. Dem Vernehmen nach spechteln etwa auch Automarken oder Onlinehändler auf Showrooms in bester Lage.

Aber Diskretion ist die wichtigste Regel in einer Branche, in der frei werdende Geschäftslokale niemals mit Aushang im Schaufenster, sondern "off market" beworben werden. Das heißt, dass nur auserwählte Maklerinnen und Makler erlesenen Kundinnen und Kunden hinter vorgehaltener Hand davon erzählen. "Die Nachfrage ist sehr rege gerade", sagt Anthony Crow, Retailexperte beim Maklerunternehmen Otto Immobilien. Auch weil nach der Corona-Pandemie spendierfreudige Touristinnen und Touristen wieder in den ersten Bezirk zurückgekehrt sind.

Zwei Jahre Wartezeit

Bis zu 600 Euro werden am Graben und am Kohlmarkt – abhängig natürlich von der genauen Lage und der Größe der Fläche – pro Quadratmeter und Monat verlangt. Das macht das Grätzel zur teuersten Einkaufsstraße des Landes: "Die großen, internationalen Marken haben nur den Kohlmarkt im Kopf", sagt Mario Schwaiger, Retailexperte beim Maklerunternehmen EHL.

Der Kohlmarkt ist ein Hotspot für Touristinnen und Touristen.
Foto: AP/Theresa Wey

Der Experte kennt Marken, die auf die perfekte Ladenfläche warten – und dabei mitunter ordentlich Geduld an den Tag legen müssen: Manche warten bereits seit zwei oder drei Jahren. Die nahegelegene Kärntner Straße sei bestimmten Marken nicht exklusiv genug, weil zu massentouristisch.

Die Herrengasse sei wiederum vielen schon zu weit weg vom Luxusgeschehen, sagt Immobilienmakler Schwaiger. Der Graben sei dann häufig ein Kompromiss, "aber auch da gibt es strenge Vorgaben" – je näher das Geschäft am Kohlmarkt liege, desto besser. Besonders begehrt sind Eckhäuser, insgesamt gehe der Trend weg von zweistöckigen hin zu reinen Erdgeschoßflächen.

Der Bauzaun steht schon

Es wird also noch dauern, bis wieder Ruhe auf dem teuren Pflaster einkehrt und die Umzugskisten ausgepackt sind. Auch im neuen Louis-Vuitton-Laden ist noch nicht alles fixfertig. Man habe während des Umzugs keinen einzigen Tag zugesperrt, heißt es vonseiten des Shop-Personals. Hinter die Kulissen dürfe man aber nicht blicken, da herrsche noch ein bisschen Chaos. Doch davon merkt die Kundschaft auf der Verkaufsfläche selbstverständlich nichts.

Vor dem ehemaligen Flagshipstore von Louis Vuitton im Goldenen Quartier wurde indes ein Sichtschutz mit dem Hinweis auf den neuen, nahen Standort aufgestellt. Bauarbeiter mit schweren Geräten passen nicht in die Luxuswelt. Leer stehen werden die Flächen freilich nicht. Demnächst schon wird das Logo des neuen Mieters am Sichtschutz angebracht: Dior – so wie die Marke Louis Vuitton Teil des LVMH-Konzerns – wird den Standort mit 1200 Quadratmetern übernehmen und hier, so heißt es in Medienberichten, eine Maison Dior nach Pariser Vorbild errichten.

Und nein, das war’s für LVMH noch nicht mit dem Kistenpacken. Die Marke Fendi soll den bisherigen deutlich kleineren Dior-Standort auf dem Kohlmarkt übernehmen. Celine wiederum den Fendi-Standort. Und so weiter, und so fort. (Franziska Zoidl, Michael Steingruber, Anne Feldkamp, 28.3.2023)