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Wie erwartet wird der schottische Gesundheitsminister Humza Yousaf neuer schottischer Ministerpräsident und damit Nachfolger von Nicola Sturgeon. Der 37-Jährige Abkömmling pakistanischer Einwanderer entschied am Montag die Urwahl durch die Mitglieder der schottischen Nationalpartei SNP für sich.

VIDEO: Humza Yousaf ist der erste Muslim, der eine große politische Partei in Großbritannien anführt.
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Allerdings fiel der Sieg des selbsternannten "Kandidaten der Kontinuität" mit 52:48 Prozent gegenüber Finanzministerin Kate Forbes knapp aus. Sein Ziel sei "ein progressives, sozial gerechtes Schottland", sagte der 37-Jährige in seiner kurzen Antrittsrede und versprach: "Wir werden die Generation sein, die uns die Unabhängigkeit beschert."

Wie seine Vorgängerin Sturgeon stammt auch Yousaf aus der Metropole Glasgow, wohin seine Großeltern vor mehr als 60 Jahren aus dem Punjab eingewandert waren. Er wird damit zum ersten muslimischen Regierungschef einer traditionsreichen europäischen Nation – Symbol der schon vor Jahrzehnten vollzogenen Abkehr der SNP vom anderswo üblichen Blut-und-Boden-Nationalismus.

Yousafs Bestätigung als Chef einer neuen SNP-Regierung mit begrenzter Unterstützung der Grünen gilt als ausgemacht. Dem entsprechenden Votum im Edinburgher Parlament am Dienstag folgt am Mittwoch der Amtseid des neuen Mannes, womöglich auch schon die erste Audienz bei König Charles III., ehe dieser zu seinem Staatsbesuch nach Deutschland aufbricht.

"Ethnische und religiöse Vielfalt"

Jenseits politischer Meinungsunterschiede dürfe sich das Land darüber freuen, dass Charles zu seiner Krönung im kommenden Monat "einen Hindu als Premierminister und einen Muslim als schottischer Ministerpräsident" einladen wird: "Ethnische und religiöse Vielfalt stellen die neue Norm britischer Politik dar wie nirgendwo sonst in Europa", analysiert Sunder Katwala vom Thinktank British Future.

Das Land solle "den Beitrag von Migranten stets würdigen", sagte der Politiker in Anspielung auf ein neues Gesetz der konservativen Londoner Regierung unter Premier Rishi Sunak, das bei der Opposition auf heftige Kritik stößt. Yousaf kündigte eine "konstruktive" Zusammenarbeit mit der Zentralregierung an; er werde die bereits bestehenden Zuständigkeiten seiner Regionalregierung "voll ausschöpfen". Ziel bleibe aber die Auflösung der seit 316 Jahren bestehenden Union mit England und Wales.

Auf dem Weg zu diesem Ziel war Sturgeon in acht Amtsjahren keinen Schritt vorangekommen, "trotz der schlechtesten britischen Regierungen seit Menschengedenken", wie die dritte Kandidatin Ash Regan im Wahlkampf gesagt hat. Freilich ließen alle drei Bewerberinnen um die SNP-Krone offen, wie sie eine Meinungsänderung in der Bevölkerung und ein legales Referendum bewerkstelligen wollen.

Die Volksabstimmung von 2014 endete mit 55:45 Prozent klar für die Union; weil damals davon die Rede war, das Ergebnis solle "für eine Generation" gelten, haben alle Tory-Premierminister der vergangenen Jahre dem Vorhaben eines zweiten Referendums eine Absage erteilt.

Vorfreude auf Schlagabtausch

Auch von Labour-Oppositionsführer Keir Starmer darf der neue Ministerpräsident in dieser Frage kein Entgegenkommen erwarten. Dem Vernehmen nach freut sich der regionale Vorsitzende der alten Arbeiterpartei, Anas Sarwar, schon auf den Schlagabtausch im Edinburgher Parlament mit seinem Glaubensbruder Yousaf. Denn der Gesundheitsminister hat aus seiner bisherigen Regierungsverantwortung wenig Erfolge vorzuzeigen.

Zudem dürfte er alle Hände voll damit zu tun haben, seine mittendurch gespaltene Partei zu einigen. Der Wahlvorgang habe vor allem anderen verdeutlicht, "wie gespalten die Partei ist", analysiert der in Edinburgh lehrende deutsche Sozialwissenschafter Jan Eichhorn: "Yousaf wird es sehr schwer finden, die sozial konservativen und progressiven Flügel einigermaßen zusammenzuhalten."

Immerhin kann sich der neue Vorsitzende sein neues Führungsteam frei zusammenstellen: Außer Sturgeon und ihrem Regierungsvize John Swinney haben auch der Parteisprecher und der Generalsekretär ("chief executive") ihre Rücktritte verkündet.

Gegen Generalsekretär Peter Murrell, im Privatleben Sturgeons Ehemann, läuft wegen unebener Parteifinanzen ein Ermittlungsverfahren der Kripo; mitten im Wahlkampf musste der langjährige Strippenzieher zudem einräumen, die wichtigste politische Kraft Schottlands habe binnen anderthalb Jahren mehr als 30.000 Mitglieder verloren. "Die SNP könnte bald in richtigen Schwierigkeiten stecken", glaubt James Kanagasooriam vom Marktforscher Focaldata. (Sebastian Borger, 27.3.2023)