Künstliche Intelligenz ist das "wahrscheinlich mächtigste Werkzeug" der Menschheit, sagt Ars-Electronica-Chef Gerfried Stocker in seinem Gastkommentar. Zu kurz komme jedoch, welche Kompetenzen wir im verantwortungsvollen Umgang damit benötigen.

Was eine KI so zeichnet, wenn man ihr zum Beispiel Folgendes vorgibt: "Nimm die Szene eines futuristischen Klassenzimmers auf, in dem Roboter neben menschlichen Schülern lernen."
Foto: Midjourney / Stefan Mey

Noch einen Kommentar zu künstlicher Intelligenz (KI) schreiben, wirklich? Natürlich bin ich versucht, meiner Begeisterung darüber Ausdruck zu verleihen, was wir Menschen mittlerweile mit digitaler Technologie geschafft haben. Ich könnte auch davon schreiben, wie viele unzählige Stunden ich schon mit all den Versionen von GPT, als Bildgenerator, als Chatbot, als Co-Autor, als Kompositionstool verbracht habe und welche faszinierenden Wege neuer Kreativität ich dabei aufspüren konnte.

Und weil die Erörterung der ausgeklügelten technischen Finessen hinter den erfolgreichen Transformermodellen meine Kompetenzen und wahrscheinlich auch die vieler Leserinnen und Leser übersteigt, würde ich auf die üblichen Formeln zurückfallen, dass KI natürlich enorm leistungsfähig, aber auch gefährlich ist. Stimmt ja auch, aber sind das nicht die Allgemeinpositionen und Klischees, mit denen wir bloß einen falschen Mythos von Technologie beschwören?

Kostengünstiger Ersatz

Statt mit den vielen Möglichkeiten unserer heute schon nutzbaren Technologie an den Veränderungen zu arbeiten, die wir dringend benötigen, werfen wir unsere Hoffnungen auf Zukunftstechnologien wie Kernfusion, Quantencomputer, Super-AI, die dann schon unsere Probleme lösen werden. Statt Arbeitssituationen für Menschen im Pflege- und Gesundheitswesen vernünftig zu gestalten, hoffen wir auf Roboter und KI als kostengünstigen Ersatz. Wir investieren in die Entwicklung von KI, ohne auch in die Entwicklung unserer Kompetenzen und Verantwortungsfähigkeit für den Umgang damit zu investieren. Doch wie sagt ein schönes Sprichwort des 21. Jahrhunderts: "Wer glaubt, dass Technologie unsere Probleme lösen kann, hat weder die Technologie noch die Probleme verstanden."

"Zum ersten Mal ist die Software selbst zum Gegenstand der Massenhysterie geworden."

Bisher war das Objekt der Begierde noch immer Hardware, der leistungsfähigste Laptop, das neueste Smartphone, der smarteste digitale Assistent, die coolste VR-Brille – you name it. Doch seit dem Erfolg von AlphaGo und der erfolgreichen Rehabilitation des Marketingbegriffs "Künstliche Intelligenz" ist zum ersten Mal die Software selbst, also das immaterielle Innenleben der Computer, zum Gegenstand der Massenhysterie geworden.

Mit maschinellem Lernen, also dem, das wir so vorschnell schon als künstliche Intelligenz bezeichnen, beginnt ein Paradigmenwechsel von der Automatisation. Nämlich der vom vorherrschenden Prinzip der industriellen Revolution, das zu erstaunlichen Effekten in der Rationalisierung und Effizienzsteigerung in allen denkbaren Bereichen geführt hat, zur Autonomisierung, in der wir digitalen Systemen nicht bloß die Aufgabe übertragen, Arbeit für uns zu erledigen, sondern an unserer Stelle Entscheidungen zu treffen. Ein Paradigmenwechsel, der in seiner grundlegenden Bedeutung kaum unterschätzt werden kann.

"Nun geht es vor allem darum, mit den Resultaten dieses neuen Universalwerkzeugs umzugehen."

Bisher war es vor allem notwendig, die Tools, die Werkzeuge, zu verstehen, sie einsetzen zu können und zu meistern – egal ob es dabei um gute, alte handwerkliche Fähigkeiten ging oder um das Know-how, Computer zu programmieren. Doch nun geht es vor allem darum, mit den Resultaten dieses neuen Universalwerkzeugs umzugehen, sie hinterfragen zu können, zu verifizieren und zu kontextualisieren und aus der sofortigen und völlig aufwandslosen Verfügbarkeit von Antworten und Resultaten neue Potenziale schöpfen zu können, einen Mehrwert generieren zu können.

Wenn wir ChatGPT so richtig auf den Zahn fühlen, merken wir trotz aller berechtigten Begeisterung sehr schnell, dass reines Trainieren mit vorhandenem Wissen nur zu einem sehr bescheidenen Verständnis für unser wirkliches Leben führt. Dass es eine Sache ist, angelerntes Wissen zu reproduzieren, und eine ganz andere Sache, daraus Sinn zu machen, daraus neues Denken entstehen zu lassen. Warum aber sind unsere Schulen dann so, wie sie sind, warum trainieren wir unsere Kinder darauf, möglichst effizient Multiple-Choice-Tests auszufüllen, warum zwingen wir unsere Studierenden in ein enges Zeitkorsett, in dem sie ihre Studien absolvieren sollen, als wären Universitäten Fabriken für Fachkräfte?

Mächtiges Werkzeug

Was glauben wir denn, welche Kompetenzen notwendig sein werden, um das wahrscheinlich mächtigste Werkzeug, das die Menschheit bislang entwickelt hat, verantwortungsvoll einzusetzen?

Wenn wir uns nicht durch KI ersetzen lassen, sondern in der Lage sein wollen, KI sinnvoll einzusetzen, dann müssen wir vor allem … vor allem was? Wer darauf eine Antwort hat, möge sich melden, aber so viel scheint mir klar: Ein Schul- beziehungsweise Universitätssystem aus den Zeiten von Maria Theresia, das zwar redlich seine Themen aktualisiert, aber nicht und nicht bereit ist, über die Veränderung der Methoden nachzudenken, wird uns nicht allzu viel dabei helfen. Was also sollten wir durch KI ersetzen? (Gerfried Stocker, 28.3.2023)