Und sie bewegen sich doch: die offiziellen Uhren im Libanon. Zwei Tage lang waren die Libanesen und Libanesinnen der Absurdität einer – vereinfacht gesagt – "christlichen" und einer "muslimischen" Uhrzeit ausgesetzt: Die Regierung von Premier Najib Mikati hatte die Verschiebung der Sommerzeit um einen Monat, bis zum Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan, beschlossen. Die christlichen Kirchen, etliche Medienhäuser und Bildungsinstitutionen waren der Anordnung jedoch nicht gefolgt und hatten ihre Uhren in der Nacht zum Sonntag um eine Stunde vorgestellt. Nach Kopfschütteln international, aber auch von libanesischen Wirtschaftsvertretern lenkte Mikati am Montag ein. Ab Donnerstag zeigen alle Uhren Sommerzeit.

Mit dem Uhrzeit-Fleckerlteppich hat der Libanon geschafft, was dem kleinen Land sonst kaum mehr gelingt: die internationale mediale Öffentlichkeit auf sich zu lenken. Vor Jahrzehnten als "Schweiz des Nahen Ostens" bezeichnet, ging die Bevölkerung des Libanon bei einer Umfrage vor kurzem als die am wenigsten glückliche im gesamten Nahen Osten hervor. Viele Menschen leiden nach einer jahrelangen Wirtschaftskrise inklusive Zusammenbruch der Währung und Superinflation bittere Not. Die im Ramadan übliche Wohltätigkeit, etwa Essensausgaben nach und vor dem Fasten, ist für Arme eine Überlebensfrage.

"Mikati-Berri-Zeit"

Die verlängerte Normalzeit wurde "Mikati-Berri-Zeit" genannt, weil – wie ein geleaktes Video zeigen soll – der sunnitische Premier offenbar auf Einwirken des schiitischen Parlamentspräsidenten, des seit dreißig Jahren im Amt befindlichen 85-jährigen Nabih Berri, die Verschiebung zugunsten der muslimischen Fastenden beschlossen hatte.

In seiner TV-Ansprache am Montag, als er die Revision der Entscheidung bekanntgab, ließ Mikati die Angst vor einer noch tieferen konfessionellen Spaltung im Land anklingen. Er betonte die Opfer, die die sunnitische Gemeinschaft für die Einheit und das Wohl des Libanon gebracht habe. Der Milliardär Mikati ist nur Übergangspremier, nach den Parlamentswahlen Mitte Mai 2022 war keine neue Regierungsbildung möglich.

Großer Andrang bei einem schiitischen Wohlfahrtsverein in Beirut, der im Ramadan Essen ausgibt.
Foto: AFP / Anwar Amro

Der Libanon ist politisch gelähmt, auch zehn Versuche, im Parlament einen neuen Staatspräsidenten zu wählen, sind bereits gescheitert. Das Mandat des vorigen, Michel Aoun, lief Ende Oktober aus. Auch Aouns Amtsantritt 2016 war ein langes präsidentielles Vakuum vorausgegangen, allerdings ist die Lage des Landes noch viel dramatischer als damals. Der Libanon braucht dringend internationale Finanzhilfe, ohne funktionierende Institutionen kann sie nur beschränkt fließen. Die EU, und da speziell Frankreich, droht seit längerem mit Sanktionen gegen jene, die die Wahl blockieren.

Der Präsident ist laut Verfassung ein maronitischer Christ, im Parlament braucht es für die Wahl einen Konsens zwischen den konfessionellen Gruppen. Die vom Iran abhängige schiitische Hisbollah, die auch Michel Aoun ins Amt verholfen hatte, stellt sich hinter einen Kandidaten, Suleiman Frangieh (Marada-Partei), der mangels Unterstützung der anderen christlichen Parteien nicht auf die nötigen Stimmen kommen würde.

Das gelingt aber auch keinem anderen – und die Hisbollah hat zudem nach mehreren Wahlversuchen neue verhindert, indem sie vor der Abstimmung aus dem Parlament auszog. Mit Spannung wird erwartet, ob nicht nur die Sanktionsdrohungen, sondern auch die jüngste iranisch-saudische Annäherung eine Lösung beschleunigen könnte. Saudi-Arabien galt lange als Protektor des sunnitischen Premiers, hatte sich jedoch aus Ärger über die Dominanz der Hisbollah – und damit des Iran – aus der libanesischen Politik zurückgezogen.

Wut auf die Banken

Dem Libanon droht der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung: Es ist schon vorgekommen, dass Sicherheitskräfte, die Banken vor Protestierenden schützen sollten, sich ihnen angeschlossen haben. Vor einigen Tagen versuchten Armeeveteranen, Regierungsgebäude zu stürmen. Tankstellen schließen wegen Spritmangels, in Apotheken gehen die Medikamente aus.

Die Politikerklasse – viele aus politischen Dynastien, die den Libanon seit Jahrzehnten beherrschen – macht weiter, als sei nichts geschehen. Gegen Generalbankgouverneur Riad Salameh (73), seit dreißig Jahren auf diesem Posten, wird wegen Veruntreuung von 300 Millionen US-Dollar und wegen Korruption ermittelt: Dass es etwas bringt, glaubt niemand. Auch dem Untersuchungsrichter in der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut im August 2020 werden immer neue Prügel vor die Beine geworfen. (Gudrun Harrer, 27.3.2023)