Die Unterbringung von Flüchtlingen in unbeheizten Zelten war "ungeeignet, unsicher und unmenschlich", kritisiert Amnesty International.

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Es ist keine allzu positive Bilanz, die die Menschenrechtsorganisation Amnesty International über die Entwicklung der Menschenrechte in Österreich zieht. Und tatsächlich gab es im vergangenen Jahr auch hierzulande einige Ereignisse, die ein fragwürdiges Licht auf das Handeln von Behörden und Politik warfen. Als im Herbst etwa der Höchststand bei Asylanträgen erreicht wurde, stellte der Bund wegen Quartiermangels in mehreren Bundesländern Zelte auf, um Asylsuchende – teils schon bei eisigen Temperaturen – dort unterzubringen. Vor allem auf politischen Kundgebungen kam es zu Fällen von unzulässiger Polizeigewalt. Und die internen Ermittlungen dazu verliefen weiterhin wenig transparent.

All diese Punkte und noch einige mehr spricht Amnesty im am Dienstag veröffentlichten Jahresbericht 2022/23 an. Die mangelnde Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern habe dazu geführt, dass Geflüchtete im Oktober des Vorjahres in unbeheizten Zelten untergebracht wurden, was im Bericht als "ungeeignet, unsicher und unmenschlich" kritisiert wird. Sorgen macht der NGO auch, dass 2022 gut 13.100 Minderjährige in Österreich um Asyl ansuchten und im selben Zeitraum 11.600 verschwanden. Viele von ihnen zogen undokumentiert in andere EU-Länder weiter. Man vermutet aber auch eine hohe Dunkelziffer an Kindern und Jugendlichen, die Opfer von Menschenhandel wurden, wie man im Gespräch mit dem STANDARD betont.

Österreich am "Wendepunkt" im Kampf um Menschenrechte

Überhaupt sieht die Organisation Österreich "an einem Wendepunkt" im Kampf um die Menschenrechte. Die Richtung, die man nun einschlage, werde "die nächsten Jahrzehnte bestimmen", sagt Amnesty-Österreich-Geschäftsführerin Annemarie Schlack. "Wenn wir weiterhin Menschen ausgrenzen und ihnen ihre Menschenrechte verweigern, verletzt dies nicht nur ihre Rechte, sondern untergräbt auch den Zusammenhalt unserer Gesellschaft." Die türkis-grüne Bundesregierung fordert die NGO in diesem Zusammenhang auf, "unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen".

Es käme zudem immer häufiger vor, dass Politikerinnen und Politiker Menschenrechte nicht anerkennen und infrage stellen würden. Einige von ihnen würden sich "menschenrechtsfeindlicher Rhetorik" bedienen, um diskriminierende Maßnahmen zu rechtfertigen, womit sie insgesamt zu einer negativen Atmosphäre gegenüber Menschenrechten beitrügen. Das sei besonders besorgniserregend, weil Menschenrechte "als Grundpfeiler einer gerechten Gesellschaft jederzeit geschützt und gefördert werden müssen".

Weiterhin wenige Konsequenzen bei Polizeigewalt

Dass bis Ende 2022 rund 90.000 ukrainische Geflüchtete in Österreich temporären Schutz gemäß der EU-Massenzustrom-Richtlinie erhielten, begrüßt Amnesty zwar. Die Organisation kritisiert aber fehlenden Zugang zur Sozialhilfe, Hürden beim Zugang zum Arbeitsmarkt und das Fehlen einer längerfristigen Aufenthaltsperspektive in Österreich auch für Ukrainerinnen und Ukrainer. Zudem wird mehr finanzielle und organisatorische Unterstützung für private Quartiergeber gefordert, die den Großteil der ukrainischen Geflüchteten aufgenommen haben.

Weiters kritisiert der Bericht, dass Misshandlungsvorwürfe gegen Polizistinnen und Polizisten, die vor allem bei Einsätzen auf Demos immer wieder aufkommen, weiterhin nicht wirksam untersucht würden. Dass es für Beamte, die unzulässige Gewalt ausübten, nur selten zu strafrechtlichen oder anderen schwerwiegenden Konsequenzen kommt, werde auch dadurch verschärft, dass Polizisten bei Einsätzen nach wie vor keine individuelle Kennung tragen, wie von Menschenrechtsorganisationen gefordert.

Einschüchterung von Journalistinnen und Journalisten

Dass die Bundesregierung nach langen Ankündigungen Anfang März den Gesetzesentwurf für eine unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle bei Polizeigewalt präsentierte, sieht Amnesty als Fortschritt. Den Entwurf sieht man dagegen als mangelhaft. Denn angesiedelt werden soll die neue Stelle im Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK). Weil diese dem Innenressort unterstellt ist und damit unter Weisungsbefugnis des Innenministers steht, sieht Amnesty die Unabhängigkeit der Stelle gefährdet. Dies widerspreche zudem völkerrechtlichen Standards.

Die Pressefreiheit gerate unterdessen weiter unter Druck. Einerseits, weil die Polizei die Berichterstattung von Journalistinnen und Journalisten auf Kundgebungen zuletzt häufig einschränkte oder sie nicht ausreichend vor Angriffen durch Demonstrierende schützte. Andererseits, weil Einschüchterungsklagen gegen Journalistinnen und Journalisten immer häufiger würden. Immer öfter würden sie sich zudem nicht nur gegen Medien, sondern auch per Privatanklage gegen einzelne Redakteurinnen und Redakteure oder auch freie Journalisten richten. (Martin Tschiderer, 28.3.2023)