Als Nothing 2021 auf dem Markt startete, war es kein Handy, mit dem der Chef und Ex-OnePlus-CEO versuchte, es aufs Neue zu beweisen. Drahtlose Ohrhörer im Stil – aber nicht dem Aussehen – der Airpods Pro waren es, mit denen man debütierte. Dem folgten schließlich das Phone 1 und mit dem Ear Stick erneut Höraccessoires.

Ein neues Smartphone ist bereits angekündigt, ein Bluetooth-Lautsprecher wurde angeteasert, doch davor bringt man das erste Produkt in einer zweiten Generation auf den Markt. Seit kurzem sind die Ear 2 erhältlich. Sie steigen um 150 Euro zumindest implizit in den Ring mit den Airpods Pro 2, die allerdings das Doppelte kosten. Immerhin will die junge Firma, so Mitgründer Akis Evangelidis gegenüber dem STANDARD, eine offene Alternative zum Apple-Ökosystem etablieren. Wir haben die neuen Bluetooth-Ohrhörer unter die Lupe genommen.

Selbst bei genauerem Hinschauen sind die neuen Hörer kaum von ihren Vorgängern zu unterscheiden. Sie erben die gleiche teiltransparente Optik, und auch die Ladehüllen wären, gäbe es bei der ersten Generation nicht eine "geriffelte" Einlage, schwer auseinanderzuhalten. Zumindest auf dieser Ebene glückt der Apple-Vergleich, denn auch in Cupertino bleibt man der eigenen Ohrhörer-Ästhetik bekanntermaßen sehr treu.

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Basics

4,5 Gramm wiegt jeder der beiden Ear 2, auf denen man Silikonstöpsel in einer von drei Größen befestigen kann. Ausgewiesen sind sie als staub- und spritzwasserfest gemäß IP 54. Die Ladehülle ist sogar noch resistenter gegenüber Wasser und verfügt über ein IP55-Rating. Beide Teile des Pakets sind damit auch im Regen nutzbar und widerstehen auch Schweiß. Verarbeitet ist das Case, wenngleich großteils aus Kunststoff, sehr robust. Der Deckel wird von einem starken Magneten verschlossen gehalten, und auch die Hörer selbst werden mit derlei Anziehungskraft sicher an ihrem Ladeplatz gehalten. Das Einlegen muss aber ein paar Mal geübt werden, denn die Hörer werden leicht schräg im Case deponiert.

In der Ladehülle findet sich ein 485-mAh-Akku, der die Hörer per magnetischem Anschluss versorgt. Wiederbefüllen lässt er sich per USB-C mit bis zu 4,5 Watt, aber auch per Wireless Charging mit maximal 2,5 Watt Ladeleistung. Auch Reverse Charging, also das Aufladen anderer Geräte, ist damit möglich. Sinn ergibt das aber nur für andere Ohrhörer oder ähnlich geartete Kleinelektronik, denn der Output liegt hier bei maximal 0,75 Watt.

Unter ihrer Außenhaut stecken 11,6-Millimeter-Treiber, die unter anderem für schöne Bässe bürgen sollen. Drei Mikrofone pro Hörer sollen bei aktivierter Geräuschunterdrückung zuverlässige Reduktion des Außenlärms ermöglichen, sowohl für den Träger als auch für Gesprächspartner. Angebunden werden können die Ear 2 via Bluetooth 5.3 an bis zu zwei Geräte gleichzeitig. Dabei werden sowohl Googles Fast Pair als auch Microsofts Swift Pair unterstützt.

Feature-Reichtum

Im Test klappte das auch hervorragend. Der Prozess ist angenehm simpel gehalten. Case auf, Knopf drücken, bis die LED am Gehäuse blinkt. Dann sollte das Smartphone idealerweise schon von selbst die verbindungsbereiten Hörer melden. Wer sie vollumfänglich konfigurieren möchte, muss dafür die Nothing-X-App installieren, die am Nothing Phone 1 mittlerweile eine System-App ist.

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Diese bietet auch Zugriff auf zwei neue Features: adaptive Geräuschunterdrückung sowie personalisierte Geräuschunterdrückung. Die allgemeine Intensität von ANC lässt sich in drei Stufen fest einstellen, im adaptiven Modus wird automatisch basierend auf dem Außenlärm umgeschaltet. "Personalisierter" ANC wiederum erfasst das Lärmprofil der Umgebung und passt anschließend das Filterprofil darauf an.

Die Hörer selbst machen qualitativ ebenfalls einen guten Eindruck und saßen beim Tester mit den mittelgroßen Silikonstöpseln sicher und bequem im Ohr. Per App kann man auch testen, ob die rein physische Abschottung vom Außenlärm gut funktioniert, also der "Sitz" der Überzüge passt. Dazu spielt die App einen Ton ab, den die Mikrofone zu erfassen versuchen. Je weniger oder gar nicht er von ihnen aufgenommen wird, desto besser die Abdichtung.

Klang

Beim Klang geben sich die für "High-Res Audio" zertifierten Hörer (LHDC 5.0, 24 Bit) wenig Blöße. Bässe klingen mit Standard-Equalizereinstellungen satt, aber nicht übersteuert, wenn auch eine Spur weniger knackig als bei den Ear Stick, die aber auch etwas größere Treiber verwenden. Mitteltöne sind sauber und gut unterscheidbar.

Auch hohe Töne rutschen nicht ins Schrille bzw. Kratzige ab. Hörbares Aliasing (digitale Fehlinterpretation von hochfrequenten Tonsignalen aufgrund sinkender Informationsdichte bei gleicher Samplingrate) ist nicht feststellbar. Auch bei höherer Lautstärke bleibt die Wiedergabequalität hoch, einzig die Klarheit sehr hoher Töne nimmt etwas ab.

Wer gerne noch dickere Bässe, stärker betone Mitteltöne oder ein anderweitiges Klangprofil bevorzugt, kann zwischen mehreren vorkonfigurierten Equalizereinstellungen wählen oder selbst welche gestalten. Angeboten wird weiters ein fünfminütiger Hörtest, der als Grundlage für eine automatische Klangverbesserung dient, mit der Gehördefizite ausgeglichen werden sollen. Das fertige "Hearing ID"-Profil kann in drei Varianten und frei wählbarer Intensität angewandt werden. Subjektiv führt es zu einem subjektiv "volleren" Klangerlebnis, wobei das vor allem für die Optionen "Weicher" und "Empfohlen" gilt. Die dritte Einstellung, "Reicher", sorgt eher für ein Verwaschen des Klangbilds.

Die Geräuschunterdrückung klappt insgesamt recht zuverlässig, wobei Straßenlärm und Belüftungsgeräusche besser gefiltert werden, als etwa in der Nähe spielende Musik. Der adaptive Modus hilft hier nur begrenzt, da er ausschließlich auf Lautstärke zu reagieren scheint und manchmal auch dabei etwas träge reagiert.

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Situationselastischer ANC

Personalisierte Geräuschunterdrückung soll auf nicht näher ausgeführte Weise die Beschaffenheit der eigenen Ohren berücksichtigen, hört aber dabei die Umgebung kurz ab und passt anschließend die Intensität der Filterung präziser an. Damit klappt die Abschottung merklich besser, aber eben nur für die Akustiksituation, in der man sich eben befindet. Dass die Filterung permanent in Echtzeit angepasst wird, scheint noch nicht möglich zu sein. Etwas ärgerlich ist, dass dieses Feature ausschließlich über die App verfügbar ist.

Steuern lassen sich die Hörer sonst weitestgehend mit einem Knopf an ihrem Stielende, ebenfalls eine Änderung zu den Ear 1, die einen Touchsensor nutzten. Während die Funktion für einmal Draufdrücken fix belegt ist, lassen sich alle anderen Gesten – wie zweimal oder dreimal Drücken, Halten oder mehrfach Drücken und Halten – nach eigenem Bedarf belegen. Die personalisierte ANC-Funktion ist hier leider nicht auswählbar. Ansonsten klappt die Steuerung gut, sobald man sich die wichtigsten Befehle eingeprägt hat. Die Ear 2 verfügen auch über Trageerkennung, dank der die Wiedergabe automatisch unterbrochen werden kann, wenn man einen oder beide Hörer aus den Ohren nimmt. Das geht meistens zuverlässig, manchmal aber auch nicht oder nur mit einigen Sekunden Verzögerung.

Praktisch ist die Suchfunktion, sollte man einen oder beide Hörer innerhalb des Bluetooth-Verbindungsbereichs verlegt haben. Diese setzt nicht auf eine Messung der Stärke des Verbindungssignals, gibt also auch keine grobe Richtungsangabe aus. Stattdessen wird über den ausgewählten Hörer ein sehr lautes Signal, das an Grillenzirpen erinnert, wiedergegeben. Im Umkreis von drei bis vier Metern ist dieses relativ gut zu vernehmen, darüber hinaus muss man schon genau hinhören oder ist auf wenig Umgebungslärm angewiesen.

"Low Latency" nur für Phone 1

Die Bluetooth-Anbindung erweist sich außerdem als recht stabil, wobei dieser Aspekt natürlich auch vom Endgerät abhängt, mit dem man die Hörer koppelt. Auch über knapp zehn Meter und zwei Wände, darunter eine tragende, 66 Zentimeter dicke Altbauwand, klappt die Musikwiedergabe. Selten schleichen sich kurze Störgeräusche ein, die die langsam suboptimal werdende Verbindungssituation abbilden. Größere latenzbedingte Synchronisierungsprobleme zwischen Audio und Video können dabei ebenfalls auftreten. Ansonsten sind solche Abweichungen üblicherweise gar nicht oder nur minimal wahrzunehmen.

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Für den Fall der Fälle, weil man etwa beim Spielen ans Latenzminimum gehen möchte, gibt es auch einen dedizierten "Low Latency"-Modus, der allerdings aus nicht ausgeführten Gründen der Nutzung mit dem Phone 1 vorbehalten ist. Im Gegenzug zu leichten Einbußen (minimale Rauscheffekte in bestimmten Situationen wie leisem Gesang, etwas Unschärfe bei Mitteltönen) kommt es damit selbst mit LHDC effektiv zu gar keinen Synchronisierungsabweichungen oberhalb der Wahrnehmungsschwelle mehr.

Mittelprächtige Akkulaufzeit

Ein Manko ist dann doch zu nennen: Die Features, insbesondere ANC, haben ihren Preis, wenn es um die Akkulaufzeit geht. Ohne Geräuschunterdrückung nennt Nothing eine Laufzeit von sechs Stunden mit einer Aufladung. Diese Angabe gilt freilich für einen Labortest mit 50 Prozent Lautstärke und dem sparsamen AAC-Codec und ist unter diesen Bedingungen auch realistisch.

Wer allerdings lauter hört – was vielfach der Fall sein wird, da 50 Prozent Lautstärke in vielen Situationen nicht ausreichen – oder das wesentlich bandbreitenhungrigere LHDC nutzt, muss Abstriche von einer Stunde oder mehr machen. Das gilt auch bei Verwendung mit aktiviertem ANC. Hier spricht Nothing von bis zu vier Stunden, in der Praxis ist mit etwa 75 Prozent Lautstärke und LHDC bei knapp drei Stunden Schluss.

Immerhin sollen die Hörer nach zehn Minuten in der Ladehülle wieder bis zu 1,25 Stunden mit ANC oder 1,8 Stunden ohne Geräuschunterdrückung durchhalten. Auch hier sind bei der realen Verwendung Abzüge zu machen. Mit voll aufgeladener Hülle werden insgesamt bis zu 36 Stunden Nutzung versprochen.

Telefonie

Womit abschließend noch ein letzter Blick auf die Akustik bleibt. Nämlich jene bei der Telefonie. Und hier liefern die Ear 2 abermals eine starke Performance. Man versteht den Gesprächspartner gut und wird vor allem auch selbst klar und verständlich wahrgenommen.

Auch lauter Lärm direkt an einer zur Rushhour befahrenen Hauptverkehrsstraße in Wien konnte daran nicht viel ändern. Die vorbeirollende, von gelegentlichem Hupen und Musik begleitete Blechlawine war am anderen Ende nur als leises Hintergrundbrummen wahrzunehmen, während die Stimme akustisch nur leicht verzerrt wurde. Verständnisprobleme erzeugte das nicht.

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Fazit

Mit den Ear 2 legt Nothing abermals ein starkes Audioprodukt vor, das sich vor den Konkurrenzprodukten länger etablierter Marken nicht zu verstecken braucht. Die gut verarbeiteten Hörer bieten eine Reihe von Features, bei denen die anpassbare Gestensteuerung sowie die auf die jeweilige Situation abstimmbare Geräuschunterdrückung hervorzuheben sind. Menschen mit höherem audiophilem Anspruch dürfen sich auch über LHDC-5.0-Support freuen.

Das Funktionspaket, so man es ausnutzt, bezahlt man allerdings mit einer Akkulaufzeit, die bei aktivem ANC und LHDC sowie überdurchschnittlicher Lautstärke unter drei Stunden liegt. Dieses Manko kann per Schnellladung aber immerhin gelindert werden. Auf der Beschwerdeliste stehen auch noch ein fallweise träge reagierender adaptiver ANC-Modus und die ebenfalls immer wieder zögerlich reagierende Trageerkennung. In der Praxis sind die letzten beiden Punkte kein Beinbruch, zumal hier per Firmwareupdate nachgebessert werden könnte.

Dem gegenüber stehen eine stabile Verbindung und vor allem sehr gute, konkurrenzfähige Klangqualität. Diese darf man nicht nur beim Anhören von Musik und Ansehen von Videos als Plus verbuchen, sondern auch bei der in vielen Tests wenig beachteten Telefonie. Selbst unter widrigen akustischen Umständen sorgen die Ear 2 für problemloses Verständnis.

Mit 150 Euro Nennpreis sollte eine Anschaffung natürlich gut überlegt sein, auf die rund doppelt so teuren Airpods Pro fehlt abseits deren besserer Akkulaufzeit und des 3D-Sound-Features aber kaum etwas. (Georg Pichler, 1.4.2023)