Die seit vier Monaten dahinplätschernde Untersuchungskommission zur Wien Energie steuert auf ihren Höhepunkt zu. Am Freitagvormittag wird in dem stickigen, schmucklosen Raum 24 im Arkadenhof des Rathauses der bisher bisher prominenteste Zeuge erwartet: Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ).

Er muss dem Gremium Rede und Antwort stehen zu den Vorgängen rund um den dramatischen Finanzbedarf der Wien Energie im Sommer. Allen voran zu Ludwigs Notkompetenz als Bürgermeister, mit der er der dem städtischen Energieversorger in Eigenregie Darlehen von in Summe 1,4 Milliarden Euro gewährte. Sein Parteikollege, der für die Wiener Stadtwerke (und damit für die Wien Energie) ressortverantwortliche Stadtrat Peter Hanke, hat dies bereits vor zwei Wochen hinter sich gebracht.

Vor seiner Befragung sorgte dieser für eine kleine Überraschung. Zwar lieferte Hanke nicht, wie von der ÖVP verlangt, seine Handykommunikation. Aber zumindest seine ebenfalls begehrten Kalendereinträge. Sollte Ludwig dies auch tun wollen, hat er dafür bis zur Sitzung Zeit: Er könnte das Material theoretisch persönlich vorbeibringen, im Vorfeld gibt es keine Frist dafür. Und zur Vorlage verpflichtet werden kann er, wie berichtet, nicht.

Michael Ludwig kennt den Raum 24 im Arkadenhof des Rathauses bereits: 2018 musste er dort in der U-Kommission zum Krankenhaus Nord (heute Klinik Floridsdorf) aussagen.
Foto: APA/Herbert Pfarrhofer

Wie der Stadtchef vorgehen wird, will sein Büro nicht beantworten. Ein Sprecher verwies auf den Auftritt am Freitag, bei dem sich Ludwig "allen Fragen stellen wird". Die einzelnen Fraktionen sind bereits dafür gewappnet. Ein Überblick über ihre Strategien.

  • SPÖ: Den Bürgermeister raushalten

Der Ansatz der Stadtroten wurde am Dienstag bei einem Hintergrundgespräch von Fraktionsführer Thomas Reindl deutlich. Der Plan der SPÖ: Die Sache möglichst weit vom Bürgermeister weghalten. "Ich will ja nicht den Partycrasher spielen", sagte Reindl. Er würde aber nicht zu viel von Ludwigs Befragung erwarten. Wenn die U-Kommission ein Highlight aufweise, dann sei das die Aussage von Stadtrat Hanke gewesen. Dieser sei immerhin der höchste Eigentümervertreter – im Unterschied zum Stadtchef, der gar keine "operative Tätigkeit" habe.

Die SPÖ hat laut Reindl insgesamt 80 Fragen an Ludwig vorbereitet. Wobei der Fraktionsführer damit rechnet, dass viele davon ohnehin bereits der Vorsitzende, Richter Martin Pühringer, stellen werde. Reindl erwartet sich von Ludwigs Aussage eine "Bestätigung der bisherigen Linie". Die Reindl augenscheinlich gut eingeübt hat: "Das Handeln war alternativlos, es ist nix passiert, die Situation am Markt war einzigartig", betete er herunter.

  • Neos: Heikler Spagat

Die Neos versuchen einen heiklen Spagat. Auf der einen Seite dürfen sie als kleiner Koalitionspartner in der Stadtregierung die SPÖ nicht zu sehr verärgern. Auf der anderen Seite wollen sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, als selbsternannte Transparenzpartei gegenüber Ludwig zu unkritisch zu agieren.

Für Stefan Gara, den Vertreter der Pinken in der U-Kommission, sind "einige Fragen offen", wie er im Gespräch mit dem STANDARD sagt. "Mir geht es um die konkreten Wahrnehmungen, wie es zur Notkompetenz gekommen ist. Ab welchem Zeitpunkt war Gefahr in Verzug und damit die Notkompetenz begründet? Wie genau war die Informationslage, bevor die erste Tranche geflossen ist?"

  • ÖVP: Enttarnung von Widersprüchen

Die Volkspartei hat es sich offensichtlich zum Ziel gemacht, Ludwigs bisherige Aussagen als unwahr zu dekonstruieren. Ausgangspunkt ist eine Äußerung des Bürgermeisters in einer Gemeinderatssitzung im September: Er habe am 15. Juli 2022 erstmals von den Problemen der Wien Energie erfahren, erklärte Ludwig damals in der Fragestunde. Das ist jener Tag, an dem der Bürgermeister auch die erste Kredittranche von 700 Millionen Euro freigab.

Dieser Darstellung widersprechen allerdings Hankes Aussage in der U-Kommission und eine E-Mail der Stadtwerke an die Finanzabteilung im Rathaus, die auch dem STANDARD vorliegt. Demnach gab es bereits am 12. Juli einen ersten Entwurf für die Notkompetenz, in den eine "vom Bürgermeister gewünschte Ergänzung" eingearbeitet werden sollte.

Das hieße, dass Ludwig mindestens drei Tage früher über die Liquiditätsengpässe Bescheid wusste als bisher behauptet. Das ist zwar nicht überbordend viel, für die Argumentation der ÖVP aber wichtig: Sie hält dem Bürgermeister ja vor, die Notkompetenz unrechtmäßig genutzt zu haben – der Faktor Zeit ist hierbei entscheidend.

Für den türkisen Fraktionsführer Markus Wölbitsch steht jedenfalls fest: "Es ist offensichtlich, dass Bürgermeister Ludwig die Unwahrheit gesagt hat." Könne er die Vorwürfe in der Befragung nicht entkräften, sei ein Rücktritt unabdingbar. "Dann werden wir ihm in weiterer Folge im Gemeinderat auch das Misstrauen aussprechen."

  • Grüne: Zeitschiene, Wünsche, Abwesenheit

Ähnlich legen es die Grünen an – wenn auch mit weniger drastischen Worten. "Wir wollen wissen, wann sich der Bürgermeister zum ersten Mal informiert hat zur Wien Energie", sagte Fraktionsführer David Ellensohn am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Niemand habe den Stadtchef daran gehindert, die Öffentlichkeit zu informieren, sobald er die Notkompetenz genutzt habe – und dennoch habe er es nicht getan, kritisierte der Grüne.

Seine Fraktion interessiert sich näher für besagte Mail der Stadtwerke an die Finanzabteilung. Bisher habe niemand sagen können, welche Ergänzung sich Ludwig darin genau gewünscht habe. Nun solle er es eben selbst erklären.

Und noch etwas treibt die Grünen um: wie es zur Abwesenheit der Stadtregierungsspitzen von einem Energiegipfel mit der türkis-grünen Bundesregierung im August kam, nach dem die Probleme der Wien Energie bekannt wurden. "Das ist ein Affront der SPÖ", befand Ellensohn. Diese hat stets beteuert, nicht zu dem Gipfel eingeladen gewesen zu sein.

  • FPÖ: Masterplan aufdecken

Die Freiheitlichen wollen zeigen, dass Ludwig ohnehin nie vorgehabt habe, einen anderen Weg als die Notkompetenz zu wählen. Mehrere Zeugen hätten ausgesagt, dass die Liquiditätsprobleme bereits im Frühjahr 2022 bekannt gewesen seien – auch dem Bürgermeister, sagt der blaue Vertreter Maximilian Krauss. Die Notkompetenz sei den Aussagen zufolge von Beginn an als Ausweg im Gespräch gewesen.

Für Krauss heißt das, dass Ludwig nach derzeitigem Kenntnisstand "nicht einmal versucht hat", einen anderen Weg – also mit breiterer Einbindung von Gremien und anderen Parteien – zu gehen. Gelegenheit für den Gegenbeweis hat er am Freitag. (Stefanie Rachbauer, 29.3.2023)