2018 ist das UN-Welternährungsprogramm (World Food Programme, WFP) eigentlich aus der Ukraine abgezogen. Es gab keinen Bedarf mehr. Das Land war – bis auf die umkämpften Regionen im Donbass im Osten – von keinerlei Hungersnot betroffen. Aber die großangelegte Invasion hat neben Gewalt, Tod und Angst eben auch den Hunger zurück in die Ukraine gebracht. Viele Menschen, die alles verloren haben, geben ihr Erspartes für ein Dach über dem Kopf aus. Teils fehlt auch schlichtweg das Geld, um eine ausreichende Ernährung zu garantieren.

"Also sind wir wieder zurückgekommen", sagt Marianne Ward, die stellvertretende Direktorin für die Ukraine bei der UN-Organisation. Eine Lagerhalle rund 40 Minuten nördlich von Kiew in der Stadt Browary ist seit Kriegsbeginn einer ihrer Arbeitsplätze in dem Land. Es habe geholfen, dass man schon einmal hier war, Logistikpartner kannte und hatte. Anfang März des letzten Jahres, nur wenige Tage nach Beginn der Krise, rollten dadurch bereits die ersten Trucks, vollbeladen mit Lebensmitteln, aus Polen über die Grenze in die Ukraine.

Weizenmehl von und für die Ukraine.
Foto: European Union/Oleksandr Ratushniak

Das Tragische, das Absurde an der Situation sei, "dass vor dem Krieg die Ukraine quasi unser Supermarkt war", sagt Ward. Man habe Lebensmittel aus der Ukraine in die ganze Welt exportiert und sich von dort Getreide für andere Krisen der Welt exportiert. Zum Teil ist dies durch den von der Türkei ausverhandelten Getreidedeal auch wieder möglich. Vor allem aber versucht man nun auch, dass sich die Ukraine bestmöglich selbst versorgen kann. Indem man etwa von kleinen und mittelgroßen Bauern einkauft, deren Geschäft fördert.

Von den mehr als 200.000 Tonnen an Lebensmitteln, die seit vergangenem Jahr die Lagerhallen der Organisation verlassen haben, wurden mehr als 85 Prozent in der Ukraine angebaut. Nur das Salz holt man aus externen Märkten. Man versucht, die lokale Wirtschaft zu stärken und Abhängigkeiten zu vermeiden. 700 Millionen Euro konnten so bereits in die ukrainische Wirtschaft gepumpt werden.

Hafer statt Reis

Weizenmehl, Nudeln, Bohnen, Dosenfleisch, Haferflocken, Sonnenblumenöl, Salz und Zucker mit einem Gesamtgewicht von rund 13 Kilogramm enthält eine Kiste der Hilfslieferungen. Sie soll eine Person für einen Monat versorgen. Reis ist nicht länger dabei. "Wir haben bemerkt, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer Reis einfach nicht so gern mögen." Teils sei er deshalb auf Online-Plattformen verkauft worden. Das ist zwar nicht verboten, aber nicht Sinn der Übung – außerdem fehlten Abnehmer, weil der Reis eben unbeliebt ist. Stattdessen gebe es nun eben mehr Haferflocken, die im Rest der Welt in Krisensituationen kaum nachgefragt werden, erklärt die US-Italienerin Ward.

Die Arbeiterinnen sind teils selbst aus dem Osten der Ukraine geflohen.
Foto: European Union/Oleksandr Ratushniak

In der Lagerhalle herrscht eifriges Gewusel. Mehrmals hupt ein Gabelstaplerfahrer auch den STANDARD an oder schaut eine Einpackerin streng, wenn die Journalistinnen und Journalisten wieder im Weg herumstehen. Nicht weil man hier nach Leistung bezahlt wird, sondern weil man die Landsleute möglichst rasch mit Essen versorgen will, die Moral hochhalten will. "Es ist unser Weg, unser Land zu unterstützen", sagt Katia, die gerade Lebensmittel in die Kisten packt.

Inklusive Anfahrt arbeiten sie von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends in der Halle. Die Arbeit ist anstrengend. Maschinen einzukaufen wäre aber nicht nur zu teuer, es wäre auch fehleranfällig, wenn etwa wieder einmal der Strom ausfällt. Doch die Hände funktionieren immer. Außerdem will man als WFP ja möglichst schnell wieder aus der Ukraine raus, und dann wären die Maschinen wieder ungenützt.

15.000 Kisten verlassen die Fabrik täglich.
Foto: European Union/Oleksandr Ratushniak

Acht Fertigungsbahnen schaffen hier im Norden Kiews rund 15.000 Boxen täglich. 15 Lkws bringen sie anschließend in die Nähe der Front, wo sie unter geregelten Umständen in lokalen Verteilerzentren, in Schulen oder Gemeinden, an die Bevölkerung ausgehändigt werden. Bezahlt werden die Fahrer erst, wenn die Lieferung ankommt. Bisher gab es keinerlei Probleme mit abgezweigten Kisten, berichtet Ward.

Russisches Njet

Was den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des UN-Welternährungsprogramms jedoch Sorgen bereitet, ist die Versorgung direkt an der Front sowie dahinter. Aufgrund des Dauerbeschusses können Hilfslieferungen dort teils nicht verantwortet werden. Es bestehe zu große Gefahr, dass die Fahrer unter Beschuss geraten, egal, wie deutlich die Fahrzeuge gekennzeichnet sind.

Noch schwieriger sei jedoch die Situation hinter der Front. Wiederholt habe die Uno um Zugang gebeten, um die Menschen dort mit Hilfsgütern zu versorgen. Wiederholt kam das russische Njet.

Schwierig auch die Situation auf den Feldern. Die Äcker der Kornkammer der Welt sind großflächig vermint. Die Entminung muss möglichst schnell Fahrt aufnehmen, wollen die Bauern und Bäuerinnen nicht riskieren, beim Einholen der Ernte in die Luft zu fliegen.

Marianne Ward wünscht sich, die Ukraine möglichst schnell wieder verlassen zu können. Dann wäre ihr Job getan.
Foto: European Union/Oleksandr Ratushniak

Allen Widrigkeiten zum Trotz erreichte das WFP bisher mehr als zehn Millionen Menschen in der Ukraine. 60 Millionen Euro steuerte die EU aus ihren humanitären Hilfstöpfen direkt bei. 400 Millionen Euro in bar konnten den Menschen zusätzlich von der Organisation zur Verfügung gestellt werden. "Wo Märkte funktionieren, wollen wir nicht reinpfuschen, keine Leute bevormunden", sagt Ward. Damit nach Ende des Kriegs möglichst schnell wieder eine gewisse Normalität einkehrt und die UN-Organisation das Land wieder verlassen kann. (Fabian Sommavilla aus Browary, 3.4.2023)