Herzen nach dem knappen Sieg gegen Estland, auch Ralf Rangnick und David Alaba leben die Erleichterung aus.

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Alles paletti. Den widrigen Umständen getrotzt, mehr als sechs Punkte aus zwei Fußballspielen geht nicht, nur so sollte man in eine EM-Qualifikation starten. Der Wille kann ja Berge versetzen, wobei der Pöstlingberg nach wie vor in Linz aufragt.

Österreichs Teamchef Ralf Rangnick schätzte das mühsame 2:1 gegen Estland "als sehr hoch ein". Er saß am Montagabend kurz vor Mitternacht im Pressezentrum des Linzer Stadions, der Deutsche war gewohnt souverän, verzichtete auf Plattitüden, "der Ball ist rund", hat er zum Beispiel nicht gesagt. Drei Tage zuvor, nach dem lockeren 4:1 gegen Aserbaidschan, hatte er an gleicher Stelle die spielerische Leistung hervorgehoben, diesmal schwärmte er von der "extremen Willensleistung". Zur Erinnerung: Estland führte aus nahezu unerklärlichen Gründen 1:0, Joker Florian Kainz und Michael Gregoritsch drehten die Partie, stellten gegen die Nummer 109 die Hackordnung wieder her. Gregoritsch hatte in der 17. Minute einen Elfer verschossen und später weitere Hochkaräter vergeben, zwei Minuten vor Abpfiff traf der Freiburg-Legionär endlich, der Ball wurde abgefälscht. "Ich hätte mich davor am liebsten eingegraben. Jetzt bin ich ausgelaugt, aber überglücklich." Gregoritsch wird die Kollegen zu einem Essen einladen, in ein tolles Restaurant, nicht zum Würstelstand.

Wert des Willens

Rangnick hätte den 28-jährigen Stürmer durchaus austauschen können, keiner der 16.500 Zuschauer wäre gekränkt gewesen. Rangnick hat aber nicht, bewies G’spür. Von einer Heiligsprechung ist freilich (noch) abzusehen, die Quali steckt in den Kinderschuhen. Zumal Aserbaidschan (Nummer 121) und Estland keine Giganten sind. Rangnick beherrscht rhetorische Tricks. Er sagt, er sei kein Trainer, der sich über Ausfälle beklagt. Nächster Satz: "Jeden Morgen, wenn ich zum Frühstück gekommen bin, hab ich gehofft, dass der Doktor nicht wieder zu mir an den Tisch kommt und mir vom nächsten Ausfall berichtet. Unter diesem Aspekt muss man den Sieg noch höher einstufen."

So fehlte gegen Estland Marcel Sabitzer, der gegen Aserbaidschan mit zwei Toren den großen Unterschied vergrößerte. Er hatte einen Schlag gegen das Knie erlitten, Rangnick verzichtete auf einen Einsatz auch aus Rücksicht auf Sabitzers Arbeitgeber Manchester United. "Es geht ja um seine Karriere. Im Rückblick kann man sagen: Wir haben alles richtig gemacht."

Kollektiver Ehrgeiz

Sicher nicht falsch war, dass David Alaba zur zweiten Halbzeit eingewechselt wurde. Geplant wäre die 60. Minute gewesen, das war mit Real Madrid so ausgemacht. Alaba war einen Monat lang außer Gefecht (Muskelverletzung). Die dreckigen Siege sind laut Rangnick wichtiger als die einfachen. "Es gab Phasen, wo es richtig nervig war. Es war keine Selbstverständlichkeit, das Ding zu drehen. Deswegen glaube ich, dass uns das zusätzlich zusammenschweißt, Kraft und Energie gibt." Alaba sah es ähnlich: "Der Sieg hat gezeigt, welchen Charakter, Ehrgeiz und Willen wir haben."

Eine Stärke von Rangnick ist es, Systeme spontan zu ändern. Aus einem 4-3-3 wurde ein 4-1-3-2, das hat die Esten möglicherweise irritiert. "Goldrichtig" habe sich Linz als Standort erwiesen. "Zweimal ausverkauft, die Fans waren immer da." Der Rasen sei "besser gewesen, als ich es befürchtet hatte. Nicht Wembley, aber gut genug für unseren Fußball, den wir spielen wollen."

Und weiter

Die nächste Station auf der Reise zur EM-Endrunde 2024 in Deutschland ist am 17. Juni Brüssel, Gruppenfavorit Belgien lechzt schon. Drei Tage später kommt Schweden nach Wien.

Die Vorbereitung findet erneut in Windischgarsten statt. Übrigens ohne Tormanntrainer Robert Almer (39), der sich anders orientieren will. Ein Nachfolger wird gesucht. Rangnick mag die oberösterreichische Bergluft, die Beschaulichkeit. Obwohl die Gasthäuser mehr Ruhe- als Betriebstage haben, die Bäckerei um zwölf Uhr schließt. Über mögliche Ausfälle wird sich der Teamchef nicht beklagen. Wobei der Doktor den Frühstückstisch meiden sollte. (Christian Hackl, 28.3.2023)