Manuel Kramer zeigt seinen österreichischen Rekord her.

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Der Weltrekord ist weniger als drei km/h entfernt und weiterhin ein Ziel.

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Sieht und hört man Manuel Kramer im futuristischen Skirennanzug die schnurgerade Piste herunterrasen, wartet man fast schon auf den Überschallknall. Bei der Speedski-WM vergangene Woche in Vars (Frankreich) fuhr der 34-Jährige auf den letzten hundert Metern, auf denen per Lichtschranken die Geschwindigkeit gemessen wird, 252,84 km/h – österreichischer Rekord und Platz drei. Es gewann der Franzose Simon Billy mit dem Weltrekord von 255,5 km/h.

STANDARD: Wie wird man auf Ski 252,84 km/h schnell?

Kramer: Die Bedingungen müssen top passen. Es darf keinen Wind geben, der Schnee muss eine gewisse Konsistenz aufweisen, das heißt, die Schneekristalle dürfen nicht zu scharf sein, es muss ein bisschen auffirnen, die Schneefeuchte darf auch nicht zu hoch sein. Die Strecke in Vars ist 1200 Meter lang, hat 435 Höhenmeter, und auf den letzten hundert Metern wird gemessen. Es geht in dem Sport sehr genau zu.

STANDARD: Wie fühlt es sich an, wenn man so schnell die Piste runterrast?

Kramer: Bis 230 km/h habe ich es relativ gut unter Kontrolle, da bin ich noch Herr über das, was ich mache. Darüber wird’s zach. Der Luftwiderstand wird so enorm, du musst extrem mit Muskelkraft dagegen arbeiten. Entscheidend ist dann die Aerodynamik.

Kramers Rekordfahrt.
ÖSV SpeedSki Austria

STANDARD: Wie trainiert man dafür? Auf öffentlichen Pisten kann man das schwer tun.

Kramer: Genau, für die WM sind wir einfach früher angereist, haben zwei Weltcuprennen mitgenommen und uns dort gut vorbereitet. Das muss dann reichen. Ich bin bis 2014 alpin gefahren, auch Weltcuprennen, ich war Juniorenweltmeister. Ich bringe schon gewisse Grundvoraussetzungen mit.

STANDARD: Die 230 km/h erreicht man ja wahrscheinlich sehr selten.

Kramer: Da müssen eben die Bedingungen passen. Der Weltrekord hat relativ lang gehalten. Ich glaube, ich bin zum letzten Mal 2017 über 230 km/h gefahren.

STANDARD: Hat man da trotzdem das Vertrauen, dass es auch nächstes Mal hinhaut?

Kramer: Ja, absolut.

STANDARD: Wenn es zach wird: Ist die Gefahr eher, die Position aufzumachen und zehn km/h zu verlieren, oder ist es die Sturzgefahr?

Kramer: Das instinktive Skifahren ist meine Versicherung. Wenn etwas daherkommt, weiß ich, wie ich reagieren muss; ich lasse mich nicht einfach fallen, sondern versuche, es zu korrigieren. Wenn es im Helm laut wird, dann weiß ich, ich habe nicht die perfekte Position und es hat mich kurz rausgerissen. Es muss im Helm relativ leise sein.

STANDARD: Leise für Über-200-km/h-Tempo oder auch für normale Verhältnisse?

Kramer: Nein, es ist leise. Man verkriecht sich im Helm und versucht, eine aerodynamische Position einzunehmen. Laut wird es beim Aufstehen, da fährt dann der Wind rein.

STANDARD: Haben Sie schon die perfekte aerodynamische Position und es geht nur um die Umsetzung, oder doktern Sie auch daran herum, ob man noch etwas anders machen sollte?

Kramer: Ich als Fahrer bin am Zenit, aber das Material noch lange nicht. Aber dafür fehlt einfach das Budget.

STANDARD: In jeder Form von Skifahren geht es oft um das Wachs. Auch im Speedski?

Kramer: Natürlich ist es das, aber meine Meinung ist: Es weiß keiner, was bei über 200 km/h abgeht und wie man da am besten wachseln muss. Das kann kein Mensch sagen. Für das müsste man die Reibung messen, Schliffe testen. Wobei: Da fahren wir Testfahrten, machen fünfmal über 240 km/h – und es wird sicher nicht der Ski ausschlaggebend sein, sondern immer die Position. Du kriegst so konstante Fahrten gar nicht hin, das ist unmöglich.

STANDARD: Also präpariert man einfach auf gut Glück?

Kramer: Man wachselt das, was man sich denkt. Man weiß vorher schon, was ein schneller Ski ist, und den nimmt man dann her. Aber die sind jetzt mehr oder weniger kaputt. Wenn du so schnell fährst, verbrennst du den Belag.

Die Weltmeisterfahrt.
drunkskier02

STANDARD: Wie viel Unterschied liegt noch zwischen 252,8 und 255,5 km/h?

Kramer: Das sind umgerechnet 15 Tausendstel oder 104 Zentimeter auf 100 Meter.

STANDARD: 15 Tausendstel klingt nach extrem wenig, 104 Zentimeter nicht.

Kramer: Ich war mit der Fahrt nicht ganz zufrieden, weil ich es in der Zeitnehmung nicht in letzter Konsequenz durchgezogen habe. Ich bin ein bisschen verhalten reingefahren. Ich hätte noch tiefer fliegen können, ich habe meine aerodynamische Position nicht zu hundert Prozent gehalten.

STANDARD: Sie haben angesprochen, es ist nicht wahnsinnig viel Geld im Sport …

Kramer: Gar keines.

STANDARD: War das einmal anders?

Kramer: Ja. Wir waren eine Sparte des ÖSV, der Sport hat sich aber zu wenig weiterentwickelt, weshalb der ÖSV gesagt hat, dass das wenig Sinn für sie macht. Das war eine logische Konsequenz. Der ÖSV legt uns keine Steine in den Weg, wir können das Rennen fahren, werden da auch unterstützt, aber das war es dann auch.

STANDARD: Aber finanziell ist nichts zu holen?

Kramer: Gar nichts. Ich habe eine Medaille gekriegt. Nur Simon Billy ist Profi. Der wohnt in Vars, sein Vater organisiert das alles, der trainiert da. Keine Ahnung, wie viele Fahrten der heuer schon gemacht hat. In Österreich haben wir keine Strecke – wir hätten die Strecken schon, aber nicht den Auslauf. (Interview: Martin Schauhuber, 29.3.2023)

Manuel Kramer ist in seiner Speedski-Karriere noch nie gestürzt. Den frischgebackenen Weltmeister Simon Billy hat es schon gröber erwischt.
Jan Farrell