2019 war Charles bei seinem Deutschland-Besuch noch Thronfolger, Steinmeier war schon Bundespräsident.

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Wie gut, dass in Deutschland sogar Streiks gesittet und in geordneten Bahnen verlaufen. Mag dem Land in Europas Mitte und seiner Politik in britischen Augen auch stets ein wenig Langeweile anhaften – als Besuchsziel eignet sich sogar die notorisch dysfunktionale Hauptstadt Berlin nun einmal besser als die Barrikadenmetropole Paris, wo es Blaublüter bei der Erinnerung an prominente Guillotine-Opfer leicht einmal gruselt.

Der Besuch von König Charles III. und seiner Frau Camilla beim Nachbarn Frankreich musste am Wochenende in letzter Minute abgesagt werden, weil die französischen Sicherheitsbehörden um die Unversehrtheit der hohen Gäste bangten. Was des Präsidenten Emmanuel Macrons Leid (und Peinlichkeit) ist, wird Deutschland zur Freude: Denn so kommt das Land seiner Vorväter und -mütter von Mittwoch an in den Genuss des ersten Staatsbesuchs im Ausland, den der 74-Jährige seit seiner Amtsübernahme im September absolviert.

Charles will Beziehungen stärken

Beim offiziellen Staatsbankett zu Ehren des britischen Königs hat Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die historisch gewachsene enge Partnerschaft zwischen Großbritannien und Deutschland nach zwei Weltkriegen gewürdigt. "Wie tief unsere Verbindung ist, spüren wir gerade in diesen Zeiten", sagte Steinmeier am Mittwoch laut Redetext unter Verweis auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Seither stünden die Demokratien innerhalb der Nato sowie die EU und Großbritannien "enger zusammen denn je" und unterstützten die Ukraine.

Charles hat sich zum Ausbau der Zusammenarbeit mit Deutschland bekannt. Ihm seien die Beziehungen zwischen beiden Ländern überaus wichtig. "ich bin mehr denn je von ihrem bleibenden Wert für uns alle überzeugt", sagte er am Mittwochabend in seiner Tischrede.

Sunaks Wunsch

Dass das Königspaar im Pensionistenalter die ursprünglich als Doppelpack geplante Ehre den beiden etwa gleich großen Nachbarn auf dem Kontinent zuteilwerden lassen wollte, hat nichts mit Europabegeisterung zu tun. Vielmehr spiegelt es die Priorität der konservativen Regierung von Premierminister Rishi Sunak wider. Der will die chaotischen Brexit-Jahre seit der verhängnisvollen Referendumsentscheidung vom Juni 2016 hinter sich lassen. Nach dem Chaos seiner unmittelbaren Vorgänger Boris Johnson und Liz Truss setzt der neue Mann in der Downing Street, immerhin schon der zweite Regierungschef Seiner Majestät, erkennbar auf ruhige Regierungsarbeit und eine Annäherung an die EU. Als deren wichtigste Mitglieder gelten nun einmal Frankreich und Deutschland.

Sunak selbst hat zu Monatsbeginn in Paris für gut Wetter gesorgt. Unter anderem sollen britische Millionen dafür sorgen, dass Frankreich energischer gegen jene Migranten vorgeht, die in Schlauchbooten über den Ärmelkanal setzen. Dass Deutschland in der Bekämpfung organisierter Schlepperbanden nicht immer so viel Einsatz zeigt wie in London erhofft, stellt das einzige Wölkchen am sonst völlig ungetrübten Himmel der Beziehungen zu Berlin dar.

Fünf Besuche der Queen

So dürften die Tage in der Bundesrepublik für den König so etwas wie ein Heimspiel werden. Von der "engen und herzlichen Freundschaft zwischen unseren Ländern und unseren Bürgerinnen und Bürgern" schwärmte schon vorab Steinmeier. Die "Stärke unseres bilateralen Verhältnisses" sowie das "dauerhafte Vermächtnis von Zusammenarbeit und Aussöhnung" besingt die Pressestelle des Buckingham-Palasts.

Zu beidem haben gewiss jene fünf Staatsbesuche beigetragen, die Charles' Mutter Elizabeth II. im Lauf ihrer langen Amtszeit beim einstigen Kriegsgegner und späteren engen Verbündeten absolvierte. Dabei und bei den Gegenbesuchen begegnete sie den meisten der mittlerweile zwölf Präsidenten, die der Bundesrepublik seit 1949 als Staatsoberhaupt dienten. Vor allem aber wurde sie immer wieder begeistert von der Bevölkerung empfangen.

Das nahm manchmal ein bisschen beängstigende Ausmaße an, beispielsweise während der elftägigen Reise – nie zuvor und nie wieder danach opferte die Queen einem europäischen Land so viel Zeit – im Mai 1965. Die Westberliner skandierten damals "E-li-sa-beth, E-li-sa-beth", was die derart Hofierte "allzu sehr an das Nazi-Geschrei erinnerte", wie der damalige Außenminister Michael Stewart später schrieb. Zuletzt, im Juni 2015, war der Empfang nicht weniger herzlich, aber zurückhaltender und voller Respekt vor der Lebensleistung der Dame, die im September 96-jährig nach 70 Jahren auf dem Thron verstorben ist.

Deutsche Familienbande

Der Langlebigkeit seiner Mutter wegen war Charles der am längsten amtierende Thronfolger in der langen britisch-englischen Monarchiegeschichte. Kein Wunder, dass diese Woche schon sein 29. offizieller Besuch in Deutschland steigt. Immer wieder weilte Charles über die Jahre in jenem Land, aus dem nicht nur der einflussreiche Vorfahr Albert von Sachsen-Coburg-Gotha stammte, Prinzgemahl von Queen Viktoria (1837–1901) und wichtiger Förderer der "modernen" konstitutionellen Monarchie auf der Insel. Auch Charles' Urgroßmutter Mary von Teck sowie sein Vater Philip aus dem Hause Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg verlebten ihre prägenden Kindheitsjahre in Deutschland und sprachen dessen Sprache hervorragend.

Wie gut Charles‘ Deutschkenntnisse sind, wird sich am Donnerstag nachprüfen lassen. Da spricht der Besucher wie schon anlässlich des Volkstrauertags 2020 im Bundestag. "Wir werden immer Freunde, Partner und Verbündete sein", sagte der Redner damals; etwa die Hälfte seiner Ansprache trug er in flüssigem Deutsch vor. Dennoch markiert der Anlass ein Novum: Zum ersten Mal tritt ein amtierender britischer Monarch ans Rednerpult des deutschen Parlaments. Die Queen hatte es bei den üblichen Reden auf Staatsbanketten belassen.

Solidarität mit der Ukraine

Am Donnerstag will Charles einer Brückenbau-Demonstration durch britische und deutsche Pioniere in Brandenburg zuschauen – subtile Erinnerung an seine Rolle als (nomineller) Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte, aber auch Zeichen der anhaltenden Solidarität mit der Ukraine. Einige nach Deutschland geflüchtete Bürger des von Russland überfallenen Landes wollen dem Monarchen über ihre Situation berichten.

Am Freitag erhält der Öko-Pionier eine Einweisung in die neueste umweltfreundliche Technik im Hamburger Hafen. Zuvor werden Charles und Camilla gemeinsam mit Präsident Steinmeier und dessen Frau Elke Büdenbender Kränze am ausgebrannten Turm der alten Nikolaikirche niederlegen. Das Gotteshaus war 1943 dem Feuersturm der Royal Air Force zum Opfer gefallen. (Sebastian Borger aus London, red, APA, 29.3.2023)