Es ist eine andere Welt, die sich da im tiefsten Simmering auftut. Die Rappbachgasse schlängelt sich aus dem Westen durch den elften Gemeindebezirk, lässt ein Bewässerungsfachgeschäft links, einen Parkplatz rechts liegen. In der Peripherie der Stadt ist es grüner, die Häuser sind niedriger, langsam, aber stetig verwandelt sich die Stadt in die Vorstadt. Die kurze Unterführung ist spärlich beleuchtet, über sie rattern im Minutentakt Züge.

Danach wird die Rappbachgasse zur Ravelinstraße, ein Stück weiter fühlt es sich plötzlich so an, als hätte man sich unabsichtlich auf die Fernbedienung gesetzt. The Blind Side statt Hundstage, ESPN statt ORF -Wien heute. Das Footballzentrum Ravelin der Vienna Vikings erstreckt sich über 25.600 Quadratmeter, die Tore ragen wie überdimensionale Stimmgabeln in den Himmel, zwischen den Umkleidekabinen und den Feldern wuselt es gewaltig, immer wieder hallen Rufe, ja Motivationsschreie durch die Abenddämmerung. American Football ist ein lauter Sport.

Conni Ettinger und ihre Teamkolleginnen sind in Österreich quasi unantastbar.
Foto: Regine Hendrich

"Wir sind heute auf dem Hauptfeld ganz hinten", sagt Conni Ettinger. Im Footballzentrum finden neben den Trainings die Nachwuchsspiele, die Spiele der Flag Football Teams und die Spiele des Frauenteams der Vienna Vikings statt. Für Ettinger geht es in Kürze ins Training, aktuell ist man in der Vorbereitung auf die Saison. In der "Off-Season" liegt der Schwerpunkt auf Konditionstraining. American Football ist ein körperlicher Sport.

Nonplusultra

Die Vienna Vikings sind österreichischer Rekordmeister, holten bislang 15 Titel. Das Frauenteam der Wikinger gewann im vergangenen Herbst den 20. Titel – in Folge, wohlgemerkt. Sie sind seit 2003 ungeschlagen. Man kann also getrost vom Nonplusultra im American Football hierzulande sprechen. Und dennoch muss man ein wenig relativieren. Die Frauenliga im Tackle-Football besteht aktuell aus drei Teams.

Tackle-Football ist jener Sport, den man als American Football kennt. Namensgebend ist das Tackle, also das Zu-Boden-Bringen durch einen körperlichen Eingriff. Im Vergleich dazu geht es bei der Variante Flag-Football deutlich körperärmer zu. Statt zu tackeln, stoppt die Verteidigung den ballführenden Spieler oder die Spielerin, indem sie ihm oder ihr ein Flagge aus dem Gürtel zieht.

Gemischt

An diesem Abend, in dieser anderen Welt in Simmering, haben sich 13 Spielerinnen zum Training eingefunden. Trainiert wird die Flag-Variante und Tackle. Die meisten Spielerinnen sind in beiden Teams. "In der Vorbereitung ist das ungefähr die durchschnittliche Anzahl", sagt Ettinger. Die 26-Jährige ist eigentlich Tontechnikerin, sie entdeckte vor ein paar Jahren ihre Liebe zum Football. Zuerst passiv, dann aktiv.

Ob Flag- oder Tacklefootball: Der Ball ist oval.
Regine Hendrich

Trotz des 20. Meistertitels in Folge blickt man bei den Wikingerinnen einer etwas lähmenden Gegenwart und einer ungewissen Zukunft entgegen. Denn Tackle-Football der Frauen ist nicht nur auf dem Spielfeld in der Ravelinstraße an den Rand gedrängt.

Wild, brutal, körperlich anspruchsvoll, teuer, männlich: (Tackle-)Football-Klischees gibt es nahezu so viele wie Teams in der NFL, der US-amerikanischen Profiliga. Davon kann man in Österreich nur träumen. Neben den Vikings sind die Salzburg Ducks und die Telfs Patriots Teil der Liga. Das war schon einmal mehr, zeitweise matchten sich bis zu sechs Teams um den Titel. "Mit der Zeit sind immer mehr weggebrochen oder haben sich zu Spielerinnengemeinschaften fusioniert. Während der Pandemie gab es einen weiteren Bruch. Viele haben aufgehört", sagt Ettinger.

Die Brutalität täuscht

Cameron Frickey ist Cheftrainer der Vikings Ladies. Der 48-jährige US-Amerikaner kam 1998 als Spieler zu den Vikings, seit 2005 trainiert er das Frauenteam. Warum ist es so schwierig, Mädchen und junge Frauen für Tackle-Football zu begeistern? "Wenn man im Fernsehen Football sieht, glauben viele, dass es ein brutaler Sport ist. Das stimmt aber nicht. Vor allem bei den Frauen ist das Tempo nicht ganz so hoch, wir spielen dafür mit Köpfchen", sagt er nach dem Training.

Coach Cameron Frickey: "Wir spielen mit Köpfchen."
Regine Hendrich

Durch den Mangel an Spielerinnen mussten die Liga-Verantwortlichen reagieren: Eigentlich stehen beim Football elf pro Team gleichzeitig auf dem Feld. In Österreich hatte man vor Jahren auf neun Spielerinnen reduziert, ab der nächsten Saison sind es gar nur sieben. Für Frickey und die Vikings, die die meisten Spielerinnen im Kader haben, ein Kompromiss, den man zähneknirschend annehmen muss. Die Alternative wäre wohl, die Liga ganz einzustellen.

Aufgelöst

Frickey, der hauptberuflich an einer Volksschule in Favoriten unterrichtet, war auch Cheftrainer des österreichischen Frauen-Nationalteams. War – nicht etwa weil er entlassen wurde, sondern weil es das Nationteam nicht mehr gibt.

Nach schwachen Ergebnissen entschloss man sich beim österreichischen Footballverband (AFBÖ), das Frauen-Nationalteam aufzulösen. Für viele natürlich eine Hiobsbotschaft: "Ein Problem ist vor allem die fehlende Konkurrenz innerhalb des Teams", sagt Frickey.

Seit 2003 sind die Wikingerinnen ungeschlagen.
Regine Hendrich

Beim AFBÖ sieht man das als Momentaufnahme, Frauen-Tackle-Football soll nicht verschwinden: "Wir wollen etwas aufbauen, das dauert", sagt Präsident Michael Eschlböck. Hat man die Entwicklung aus den Augen verloren? Eschlböck ist auch selbstkritisch: "Ja, vielleicht. Auf der anderen Seite haben wir als mittelgroßer Verband nur begrenzte Mittel." Bei den Männern und im Flag-Bereich konnten große Erfolge gefeiert werden. Nun will man mittels eines Wertekatalogs für Athletik, Tempo und Agilität Parameter für Nationalteamspielerinnen schaffen. Laut Eschlböck gehe es darum, ein Grundgerüst für Spitzensport und Erfolg zu schaffen.

In der Ravelinstraße ist das Training zu Ende. Die Spielerinnen packen rasch zusammen, ein Männerteam nimmt Aufstellung. "Natürlich gibt es manchmal abfällige Kommentare", sagt Ettinger. Der Sport sei auch ein Ringen um Akzeptanz und Aufmerksamkeit, die Suche nach Sponsoren und Unterstützung sei schwierig. Die Liebe zum Football bringt die Wikingerinnen aber dennoch dreimal die Woche in die fremde Welt nach Simmering. (Andreas Hagenauer, 29.3.2023)