
Kanzler Nehammer auf seiner Bulgarien-Reise im Jänner mit dem bulgarischen Präsidenten Rumen Radew und schwer bewaffneten Grenzpolizisten.
Es war eine Reise, die viel Aufmerksamkeit erregte. Denn als Kanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) am 23. Jänner für einen Tag nach Bulgarien flogen, um Grenzsoldaten die Hand zu schütteln, im Militärhelikopter an die Schwelle zur Türkei zu fliegen und aus der Luft den Zaun an der EU-Außengrenze zu besichtigen, war nicht irgendein 23. Jänner. Es war der 23. Jänner vor der Landtagswahl in Niederösterreich. Sie fand genau eine Woche nach dem Kurztrip statt – und die türkise Parteikollegin und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hatte viel zu verlieren. Einen Absturz um zehn Prozent prophezeiten die Umfragen. Und das ausgerechnet im ÖVP-Kernland.
Eine martialische Grenzschutz-Inszenierung in Bulgarien – und Österreichs türkiser Kanzler und Innenminister mittendrin? Nur wenige Tage vor dem für die Volkspartei so entscheidenden Wahlgang? Das Urteil der Medien war weitgehend gnadenlos. Die Vermutung, dass der eigentliche Zweck der Reise eine Art transnationale Wahlkampftour war, stand in praktisch allen Blättern. Kanzleramt wie Innenministerium dementierten zwar vehement jeden Zusammenhang. So ganz wollten die Vertreterinnen und Vertreter der Medien das aber trotzdem nicht glauben.
Kosten und CO2-Ausstoß
Zwar hatte Bulgariens Präsident Rumen Radew die beiden Österreicher zur Visite geladen; derartige Reisen werden üblicherweise mit einiger Vorlaufzeit geplant; und ein Bulgarien-Besuch eines Kanzlers und Ministers ausschließlich wegen einer Landtagswahl ist eher schwer vorstellbar. Aber: Abträglich konnten die Bilder zweier führender ÖVP-Politiker vor Grenzern mit Militärhelmen und Radpanzern jedenfalls auch dem Wahlkampf kaum sein. Schon gar nicht, wenn der größte politische Konkurrent FPÖ heißt – und mit einem scharfen Rechtskurs auch in Niederösterreich nach oben strebt. Und so luden Kanzleramt und Innenministerium alle großen heimischen Medien – auch DER STANDARD war darunter – ein, die Reise zu begleiten.
Inzwischen ist bekannt, dass auch der Bulgarien-Trip Nehammers und Karners die ÖVP nicht vor dem Absturz bewahren konnte. Was seit wenigen Tagen ebenfalls offenliegt: Der Trip nach Bulgarien war für einen Tagesausflug ziemlich teuer. Jedenfalls der des Kanzlers. Denn während Innenminister Karner und die Journalistendelegation bereits am Vorabend per Linienflug der AUA Richtung Sofia aufbrachen, reiste der Bundeskanzler erst recht kurzfristig am nächsten Tag an – per Bedarfsflieger. Heißt: per gechartertem Privatflugzeug, das Politiker heutzutage deutlich seltener verwenden als noch vor einigen Jahren – zu groß ist der öffentliche Druck wegen der höheren Kosten und des verhältnismäßig weitaus größeren CO2-Ausstoßes im "Privatjet".
Zehnmal höherer Preis als Linienflug
Auch im konkreten Fall fielen die Kosten entsprechend aus: 22.222,24 Euro wurden im Kanzleramt für die Chartermaschine für einen Tag fällig. Das ergab eine parlamentarische Anfrage der SPÖ-Abgeordneten Julia Herr an den Bundeskanzler. Auch ans Innenministerium erging eine ähnliche SPÖ-Anfrage zu den Flugkosten. Laut Beantwortung durch Karner, der mit seiner Delegation per Linienflug nach Bulgarien gereist war, fielen im Innenressort nur 2.566,39 Euro an Transportkosten an. Der Flug des Kanzlers und seines Teams per Zwölfsitzer-Privatjet war also rund zehnmal so teuer wie der Linienflug des Innenministers und seiner engsten Mitarbeiter. Die Begründung Nehammers in seiner Beantwortung der Anfrage: Die "Nutzung alternativer Transportmittel" sei "aus terminlichen Gründen nicht möglich" gewesen.
Als Mandatarin einer Oppositionspartei sieht Anfragestellerin Herr die Reise des Kanzlers naturgemäß kritisch: Die ÖVP versuche immer wieder, das Thema Migration wahltaktisch zu missbrauchen, sagt sie zum STANDARD. Dass die eintägige Reise den Steuerzahler mehr als 20.000 Euro gekostet habe, hält sie für "unerhört". Es gehe um "Spesen auf Republikskosten für eine Reise, die der Republik keinerlei sichtbaren Nutzen gebracht hat, sondern nur der Wahlkampfunterstützung der ÖVP-Landeshauptfrau von Niederösterreich dienen sollte".
"Wahrung von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit"
Auf STANDARD-Nachfrage im Kanzleramt klingt das – ebenso naturgemäß – deutlich anders: Die Reise sei politisch äußerst erfolgreich gewesen. Ein Zusammenhang mit der Niederösterreich-Wahl wird neuerlich dementiert. Alternative Flugmöglichkeiten seien zudem geprüft worden. Und wie bei jeder Reise sei die Entscheidung "unter Wahrung der entsprechenden Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit" getroffen worden. Aus terminlichen Gründen sei ein Bedarfsflieger in diesem Fall nötig gewesen – der Terminkalender eines Kanzlers sei schließlich grundsätzlich eng.
Fest steht: Einzelne Flüge mit Bedarfsfliegern machen weder im Budget des Kanzleramts, noch in Bezug auf Österreichs CO2-Ausstoß einen besonders großen Anteil aus. Die aktuelle Anfrage wirft aber auch allgemeinere Fragen auf; solche, die angesichts vermehrter Transparenzforderungen an die Politik und in Zeiten von Klimazielen und Klimastreiks zunehmend lauter gestellt werden: Wie viel soll, wie viel darf der internationale Austausch mit Amtskollegen, mit Ministern, mit Staats- und Regierungschefinnen kosten – an Geld und an CO2?
Videokonferenz statt Eintagesflugreise?
Denn dass bilaterale Gespräche mit Politikern anderer EU-Länder sinnvoll sind, ist weitgehend unbestritten. Schon eher stellt sich die Frage: Muss es wirklich immer ein persönliches Treffen sein? Erfüllen in vielen Fällen nicht eine Videokonferenz oder ein Telefonat den Zweck genauso gut? Wann rechtfertigt der zusätzliche Erkenntnisgewinn, das persönliche Gespräch von Angesicht zu Angesicht die höheren Kosten für die Steuerzahler?
Regelmäßige persönliche Gespräche seien politisch wichtig, heißt es aus dem Kanzleramt. Und im internationalen Vergleich seien Bedarfsflieger deutlich üblicher als in Österreich. In vielen Ländern gebe es auch eigene Regierungsmaschinen. Bei den Reisen des Bundeskanzlers werde dagegen stets im Einzelfall geprüft, welche Strecken sinnvoll per Linienflug absolviert werden könnten und wofür es eine Chartermaschine brauche. Häufig hänge das auch von den Destinationen ab. Es werde jedenfalls in allen Fällen genau abgewogen, welches Transportmittel gewählt werde, heißt es. (Martin Tschiderer, 29.3.2023)