Wie kann die SPÖ es aus der selbstverursachten Krise schaffen? Politikexperte und Neos-Gründungsvorstand Josef Lentsch gibt in seinem Gastkommentar Tipps, wie Veränderung konstruktiv gelingen kann.

Konstruktive Veränderung auf den Weg gebracht? SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig nach dem Präsidium am Montag.
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Die derzeitigen Kommentare zur Lage der SPÖ reichen von "Riesenchance" bis zu Rufen nach einer kompletten Neugründung. Es steht mir nicht zu, das Was zu beurteilen. Wozu ich etwas sagen kann, ist das Wie.

Nikolaus Kowall, der Wiener Bezirksfunktionär, der sich als erster Kandidat neben Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil ins Spiel brachte und der sich nach Andreas Bablers Kandidatur wieder zurückzog, hat bereits gezeigt, wie man die Partei in eine konstruktive Veränderung hebeln kann: ein notwendiger, aber nicht hinreichender Erneuerungsimpuls. Und selbst wenn die derzeitige Vorsitzendenkür ein erfolgreiches Ende findet, steht man damit erst am Anfang.

Aus jahrelanger Beratungspraxis und der Forschung über Reformen etablierter Parteien weiß ich:

Es braucht ein Team

Kein Mensch stemmt die Erneuerung einer etablierten Partei wie der SPÖ allein. Es braucht ein kleines, kompetentes Team von vier oder fünf Personen, die einander tief vertrauen. Von anderen Parteien kennen wir auch die verteilten Rollen, die es braucht: Frontfrau/Frontmann, Problemlöserin/Problemlöser, Kommunikatorin/Kommunikator und Programmexpertin/Programmexperte. Andere Rollen sind optional, diese vier sind unerlässlich. Die Frage ist also nicht nur, wer ist die beste Kandidatin oder der beste Kandidat, sondern: Wer hat das beste Team, um die Partei zu erneuern?

Es braucht eine Machtbasis

Auch wenn die Fantasie immer wieder Fahrt aufnimmt: Der Retter von außen ist in Parteien zur Kreuzigung verurteilt. Zusätzlich zu einer breiten Unterstützung von der Basis braucht die oder der Bundesparteivorsitzende tragfähige innerparteiliche Allianzen. Oft ist das eine Landesorganisation, manchmal eine Teilorganisation, idealerweise eine Kombination davon. Statt jemanden zu suchen, der frei von Zwängen ist, gilt es jemanden zu finden, der vorhandene Zwänge überwinden kann.

Es braucht einen Plan

Was soll sich ändern in der Partei? Wie soll in Zukunft Führung gewährleistet werden? Wie soll die Partei zukünftig aufgebaut sein, und wie will sie ihre Kernprozesse wie Listen- und Programmerstellung organisieren? Ideen dafür gibt es viele; die Führungsaufgabe für den Vorsitz ist, diesen in eine kohärente Strategie zu bringen, die man den eigenen Mitgliedern sowie den Wählerinnen und Wählern in wenigen Worten überzeugend erklären kann.

Es braucht einen Prozess

Um den Plan in die Tat umzusetzen, braucht es ein durchdachtes Prozessdesign: das Gegenteil von "übers Knie brechen". An welchen Stellen werden die Mitglieder wie eingebunden? Wann trifft welches Gremium welche Entscheidung? Was wird gemacht, was nicht? Prozessklarheit ist wichtig, um Selbstbeschäftigung auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren. Idealerweise hat man dies alles vor Beginn des Prozesses festgelegt. Die Partei erfährt gerade schmerzhaft, was es bedeutet, einen Prozess aufzusetzen, der bereits läuft. Aber wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, dann holt man es eben unter Mühen wieder heraus.

Es braucht Geld

Erneuerung gibt’s nicht gratis. Es braucht ein echtes Budget, das für den Erneuerungsprozess hinterlegt wird.

Es braucht Zeit

Historisch gewachsene, größere Parteien brauchen fünf bis zehn Jahre, um sich umfassend zu erneuern. Das geht nur in Wellen. Und das damit verbundene Erwartungsmanagement ist erfolgskritisch.

Es braucht Führung

Dankbarkeit ist keine politische Kategorie: für Erneuerungsarbeit gilt das ganz besonders. Es ist gut möglich, dass die oder der nächste Vorsitzende Bäume pflanzt, unter denen sie oder er nicht mehr sitzen wird. Aber ohne dieses Leadership wird es nicht gehen.

Als Demokrat wünsche ich der SPÖ viel Erfolg bei ihrer Selbsterneuerung. Es ist nie der ideale Zeitpunkt dafür. Warum also nicht jetzt. (Josef Lentsch, 29.3.2023)