Wer keine Affinität zu Wintersport hat, dem begegnet Eis im Alltag häufig in Würfelform. Natürlich ist diese Form nicht, denn eigentlich neigt Eis zur Sechseckform, was sich schön an Schneeflocken beobachten lässt. Verantwortlich dafür ist die sechsteilige Symmetrie, die Wasser beim Gefrieren ausbildet.

Dass Wassereis auch anders aufgebaut sein kann, ist seit längerem bekannt. Zwanzig verschiedene Formen von Eis sind bis heute beschrieben, die meisten, wie die oben schwimmenden Eiswürfel, von geringerer Dichte als Wasser, manche dichter. Erst kürzlich wurde außergewöhnliches Eis mit der gleichen Dichte wie Wasser hergestellt.

Nun gelang einem Team des Physikinstituts der chinesischen Akademie der Wissenschaften die Erzeugung einer neuen Art von Eis, wovon eine neue Studie im Fachjournal "Nature" berichtet. Die Gruppe um Erstautor Xudan Huang stellte Eis mit würfelförmiger Kristallstruktur her und vermaß es mithilfe von Elektronenmikroskopen.

Wer Eiswürfel will, muss Wasser in geeigneten Formen gefrieren lassen. In der Natur bildet Eis sechseckige Formen wie Schneeflocken aus.
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Sechseckige Schneekristalle

Warum Eis zur Sechseckform neigt, erklärte bereits der Astronom, Astrologe und Mathematiker Johannes Kepler. In einer 1611 erschienenen Abhandlung schreibt er über Schneekristalle und spekuliert nicht nur, dass Schneekristalle durch Kondensation von Wasser entstehen, sondern auch, dass kleine Dunstkügelchen darin dicht an dicht gepackt sind. Kepler mutmaßte, dass die Sechseckform dafür am günstigsten ist.

Während die Kepler'sche Vermutung sich in der Mathematik Jahrhunderte später bestätigte, stellte sich im Fall von Eis heraus, dass es auch durchaus Möglichkeiten gibt, Wassermoleküle dichter zu packen. Von deren besonderer Struktur, die für die bekannte "Dichteanomalie" des Wassers und damit für schwimmendes Eis verantwortlich ist, konnte Kepler aber noch nichts wissen.

Schon vor etwa hundert Jahren tauchte die Idee auf, Eis könnte auch würfelförmige Kristalle bilden. Eine 1942 vom deutschen Physiker und bekennenden Nationalsozialisten Hans König entdeckte Form von Eis wurde demnach "kubische Eismodifikation" genannt.

Elektronenmikroskopiebilder des kubischen Eises mit verschiedenen Gitterfehlern. Der Bereich I oben links zeigt Eis ohne Fehler, der Bereich II enthält Stapelfehler.
Foto: Institute of Physics

Allein, der Nachweis, dass es sich tatsächlich um Eis mit kubischer Kristallstruktur handelte, fehlte. Dass er so schwierig ist, liegt auch an den Eigenschaften, die denen des bekannten Eises sehr ähnlich sind. So hat kubisches Eis etwa fast die gleiche Dichte.

Diese Schwierigkeiten führten so weit, dass in den letzten Jahren Zweifel laut wurden, ob kubisches Eis überhaupt existiert. Das meiste des in Experimenten erzeugten "kubischen" Eises gilt heute als Eis mit "Stapelfehlern". Es enthielt bereits kubische Bereiche, aber kein reines kubisches Eis.

Reines kubisches Eis

Bereits 2020 hatten zwei Gruppen mit unterschiedlichen Methoden kubisches Eis erzeugt und mittels Röntgenstrahlen und Neutronenbeschusses untersucht. Nun bereiteten chinesische Forschende den Zweifeln endgültig ein Ende. Bei −171 Grad Celsius ließen sie Wasserdampf auf dem aus Kohlenstoff bestehenden "Wundermaterial" Graphen gefrieren und untersuchten ihn unter anderem mit Transmissions-Elektronenmikroskopie.

Bei dieser Methode werden wie bei einem Lichtmikroskop dünne Materialproben durchleuchtet, allerdings mit Elektronen statt mit Licht durchleuchtet. Das chinesische Forschungsteam betont in seiner Studie, dass mit früheren Methoden nur Mittelwerte gewonnen werden können und keine genaue Information über Details des Kristallgitters.

Der bei kalten Temperaturen manchmal um die Sonne sichtbare Lichthof könnte auf kubisches Eis zurückzuführen sein.
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Mithilfe des neuen Ansatzes zeigten die Forschenden, dass der Großteil des erzeugten Eises reine kubische Kristallstruktur aufwies, gemeinsam mit kleinen Resten von konventionellem Eis mit sechseckiger Struktur. Diese Mischung könnte dafür verantwortlich sein, dass bisherige kristallografische Methoden, die auf der Brechung von Strahlung in größeren Kristallbereichen basieren, erfolglos blieben. (Reinhard Kleindl, 30.3.2023)