Sanna Marin ist noch immer populär. Ob es für eine weitere Amtszeit reicht, ist fraglich.

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Finnland, die angeblich glücklichste Nation der Welt, hat offenbar eine so egalitäre Gesellschaft, dass es auch kurz vor dem Wahltag am Sonntag keine Favoritin gibt. Denn noch immer liegen die drei umfragestärksten Parteien innerhalb weniger Prozentpunkte. Fachleute lassen sich deshalb auch nur vorsichtig zu Prognosen hinreißen. Veera Luoma-aho, Innenpolitikchefin bei der auflagenstarken Zeitung Helsingin Sanomat, traut sich diese Woche nur folgende Vorhersage zu: Es werde eine "sehr aufregende" Wahl.

Hauchdünn in Führung liegt immer noch die Nationale Sammlungspartei (KOK) mit ihrem Spitzenkandidaten Petteri Orpo. Der 53-jährige Mitte-rechts-Politiker positionierte sich im Wahlkampf vor allem wirtschaftlich als Alternative zu Premierministerin Sanna Marin. Im Gegensatz zu ihr und ihren Sozialdemokraten (SDP) will Orpo Ausgaben kürzen und gleichzeitig die Einkommenssteuer senken.

Petteri Orpo von der Nationalen Sammlungspartei bei einer Wahlkampfveranstaltung in Helsinki.
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Hohe Staatsverschuldung

Vor allem während der Corona-Pandemie stiegen die öffentlichen Ausgaben und mit ihnen die Schulden des Landes. Erhöhte Militärausgaben angesichts der russischen Aggression ließen die finnische Regierung weiter Geld borgen. Die Staatsverschuldung liegt bei etwa 144 Milliarden Euro.

Die KOK befürwortet bereits seit langer Zeit einen finnischen Nato-Beitritt und gilt somit als vertrauenswürdig, wenn es darum geht, dass dieser bald umgesetzt wird. Orpo ist aber in den TV-Duellen der unscheinbarste Kandidat, was ihm zum Teil als Schwäche ausgelegt wird.

Aufgrund der wirtschaftspolitischen Differenzen gilt eine "große" Koalition mit Marins SDP als ausgeschlossen. Konnten sich die beiden doch schon vor vier Jahren nicht auf ein Regierungsübereinkommen einigen.

Sanna Marin hat ihre Stimme bereits abgegeben. Wie viele sie wählen werden, ist noch unklar.
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Große Zustimmung für Marin

Auf Platz zwei der Umfragen – aber eben fast gleichauf mit der KOK – liegt die populäre Premierministerin selbst. Die schwierige Corona-Zeit sowie der finnische Nato-Beitrittsantrag und die Vorwürfe gegen sie, dass sie während der Pandemie auf einer Privatparty getanzt habe, konnten ihren persönlichen Umfragewerten nichts anhaben.

Für die finnische Politikwissenschafterin Jenni Karimäki ist es im Interview mit der BBC "ungewöhnlich, dass die Unterstützung für die Premierministerin gegen Ende der Amtsperiode nicht nachlässt". Das sei eine "Premiere in der finnischen Politik", sagt Karimäki. Denn noch im Dezember fanden 64 Prozent der Befragten in einer Umfrage für die Helsingin Sanomat, dass Marin einen "sehr guten" oder "ziemlich guten" Job mache.

Das Wahlprogramm der Sozialdemokraten fokussiert auf höhere Steuern für Reiche und darauf, dass die Sozialversicherungsbeiträge den Arbeitgebern erstatten werden, sodass diese sie nicht auf die Arbeitnehmerinnen übertragen. Gerade bei Sozialhilfen, Bildung und Gesundheit soll nicht gespart, sondern weiter ausgebaut werden. Das legte die Parteichefin gleich zu Wahlkampfbeginn fest.

Riikka Purra von den "Finnen" setzt auf Polemik gegen Einwanderung.
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Purra von rechts

Ausgeschlossen hat Marin zudem eine Koalition mit der dritten großen Partei, die in den Umfragen vorn liegt: den rechten "Finnen" (PS). Deren Spitzenkandidatin Riikka Purra hat bereits mit der Übernahme der Parteiführung 2021 klargemacht, dass sie niemals Teil einer Regierung sein werde, die nicht die Einwanderungspolitik ändere.

Und so ist es auch das große Thema der PS im jetzigen Wahlkampf: weniger Immigration, mehr Geld für die Finnen selbst. Den Pflegenotstand würde sie eben durch höhere Löhne und mehr Ausbildungsplätze entschärfen – nicht durch gezielte Arbeitsmigration. Petteri Orpo warf ihr daraufhin bei einer aufgeheizten TV-Debatte vor, die Realität zu verweigern. Ohne Einwanderung würde es nicht gehen.

Keine Sicherheitsdebatte

Der ziemlich große Elefant im Raum, der aber de facto kein Thema im Wahlkampf gewesen ist, ist die künftige Sicherheitspolitik des Landes, das eine 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt. Eine Debatte darüber würde sich einfach nicht lohnen, ist sich die finnische Sicherheitsexpertin Iro Särkkä bei einer Veranstaltung des Presseclubs Concordia und der Erste Stiftung im Vorfeld der Wahl sicher. Denn es würde ein viel zu großer Konsens in der Bevölkerung über den Nato-Beitritt und die Hilfe für die Ukraine herrschen. Selbst die rechten Finnen stellen klar, dass sie zwar weniger Ausländer im Land haben wollen – dass das aber natürlich nicht für Ukrainerinnen und Ukrainer gelte.

Wer auch immer am Sonntag das Rennen für sich entscheiden kann, wird komplizierte und langwierige Koalitionsgespräche führen müssen, ist sich Journalistin Veera Luoma-aho sicher. Denn augenscheinlich ist keine Regierungskonstellation. (Bianca Blei, 2.4.2023)