"Ich traue niemandem, der nie verhaftet wurde." John Waters hat einiges erlebt, darüber parliert er kommenden Montag live im Gartenbaukino.

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John Waters (76) ist ein amerikanisches Original. Ein Popstar, der als Regisseur mit Filmen wie Pink Flamingo (1972), Polyester (1981) oder Hairspray (1988) den American Way of Life bis zur Kenntlichkeit entstellte. Zu seinen Lieblingsschauspielern und Freunden zählte Harris Milstead alias Divine, ein Charakterdarsteller, wenn es jemals einen gab, und eine Dragqueen, die für eine Szene in Pink Flamingo tatsächlich Hundesch..., -kot aß. Alles für die Kunst.

Das machte Waters berühmt und berüchtigt, zum "König des Abschaums". Dennoch machte er später in Hollywood Karriere. Er verfasste mehrere launige Bücher wie Carsick: John Waters Hitchhikes Across America oder das jüngste Liarmouth: A Feel-Bad Romance. Er arbeitet als Schauspieler in Serien und tauchte unvermeidlicherweise in den Simpsons auf. Kommenden Montag gastiert er als Spoken-Word-Entertainer im Wiener Gartenbaukino.

STANDARD: Donald Trump könnte dieser Tage festgenommen werden. Was fällt Ihnen dazu ein?

Waters: Ich möchte sofort den Mugshot sehen, das Polizeifoto. Und ich frage mich: Was passiert mit seinem Haar im Gefängnis? Wenn er da duscht, was tut er ohne seine ganzen Schönheitsprodukte? Ich versuche, ihn mir vorzustellen, ohne Make-up und das Haar, das möglicherweise nur einziges Teil ist, tropfnass um den Kopf gewickelt.

STANDARD: Sind Sie jemals festgenommen worden?

Waters: Aber natürlich! Ich traue niemandem, der nie verhaftet wurde. Ich wurde wegen Alkoholkonsums als Minderjähriger arretiert, wegen Verschwörung, unsittlicher Entblößung ... – aber ich wurde nie strafrechtlich verfolgt.

STANDARD: Aber es hätte nicht wenige gegeben, die Sie gerne eingesperrt hätten, Ihre Arbeit galt ja als Angriff auf die guten Sitten.

Waters: Das stimmt auf jeden Fall, aber es hat immer nur meine Filme erwischt, nie mich. Ich verstehe das sogar, wenn du am Montagvormittag in einem Verhandlungssaal Pink Flamingo anschaust, ist er durchaus obszön. Seltsamerweise verleiht man denselben Filmen heute nationale Auszeichnungen, sie werden von honorigen Verleihern wieder gezeigt. Dabei sind die Filme heute ja noch ärger, weil die Leute noch viel angerührter sind als damals, als sie nur in den Schmuddelkinos liefen.

STANDARD: Was ist da los?

Waters: Ich weiß es nicht. Sogar das Branchenblatt Variety ist jetzt zurückgerudert. Als Pink Flamingo erschien, nannten sie den Film den dümmsten, widerlichsten und abstoßendsten Film aller Zeiten. Ich habe das damals aufs Filmplakat drucken lassen, diese Werbung konnte ich mir nicht entgehen lassen. Aber heuer kam Variety und schrieb, sie hätten sich geirrt, es sei einer der besten hundert Filme aller Zeiten. Ich war selbst überrascht, aber was sollte ich tun?

"Pink Flamingo" für John-Waters-Novizen erklärt.
Film Perception

STANDARD: Sie treten im Gartenbaukino mit einem Spoken-Word-Programm auf, das "End of the World" heißt. Der morbide Unterton passt gut zu Wien, worum geht es?

Waters: Ich spreche über Verzweiflung. Über Kunst und Mode, Ferien, politische Korrektheit, Verbrechen, das volle Programm. Über das meiste mache ich mich lustig. Dabei bin ich natürlich selbst politisch korrekt, aber ich mag keine Selbstgerechtigkeit oder Selbstherrlichkeit. Das ist mein Problem damit. Wir verlaufen uns da, das hilft am Ende nur Figuren wie Trump, der liebt das. Und es geht in dem Programm um meinen unheilbaren Optimismus.

STANDARD: Was nährt diesen denn?

Waters: Es ist einfach mein Naturell. Die Dinge werden sich zum Positiven verändern. Daran habe ich immer geglaubt, darum bin ich mit 76 immer noch unterwegs und arbeite, bin nie verbittert. Ich hatte ein tolles Leben, immer ein Publikum, meine Hollywood-Jahre waren gut – bis auf die Testscreenings. Die sind eine Heimsuchung! Man zeigt Filme seinen Freunden, aber nicht einem Testpublikum. Wenn du ein Haus kaufst, dann brauchst du Tests, nicht für einen Film.

Jeffrey M. Anderson

STANDARD: Ihre Filme waren immer auf sehr ehrliche Art überdeutlich, dabei stets humorvoll.

Waters: Ja, selbst meine Sexszenen waren lustig, niemand hat sich einfach nur so einen runtergeholt. Dann wäre man in echten Schwierigkeiten.

STANDARD: Heute gäbe es für Ihre Filme Warnhinweise ohne Ende.

Waters: Das stimmt, andererseits spielen sie die Filme mittlerweile sogar im amerikanischen Fernsehen. Können Sie sich das vorstellen? Pink Flamingo im Fernsehen, wer hätte das je gedacht? Ich stelle mir eine Familie vor, nach dem Essen, wie sie durch die Kanäle zappt und über die Szene mit dem Anus stolpert, der ein Lied singt, und wie sie versuchen, sich das zu erklären.

STANDARD: Apropos Amerika: Sie haben vor ein paar Jahren das Land per Autostopp durchquert. Ein Wunder, dass Sie jemand mitgenommen hat.

Waters: Ja, ich war einmal in einem Auto, da hat das Kind seinen Vater gefragt: "Daddy, warum ist dieser Mann in unserem Wagen?" Es kannte Fahren per Anhalter nicht. Man sieht das heute gar nicht mehr. Und wenn, dann würde man die Typen nie mitnehmen.

STANDARD: Weil sie aussehen wie Serienmörder, Perverse oder John Waters?

Waters: Es sind Perverse und Serienmörder – oder eben ich.

STANDARD: Dabei galt es als romantisch, mit dem Daumen im Wind durchs Land zu fahren, schauen, wo es einen hinverschlägt ...

Waters: Mit jemandem durchs Land zu fahren, in den man verliebt ist, das ist romantisch. Aber sonst ist es nicht sehr romantisch. In den 1960ern haben sie angehalten, weil du lange Haare hattest, und haben dich dann vermöbelt, heute verhauen sie einen, weil man eine FFP2-Maske trägt.

Trailer Chan

STANDARD: Sie gelten als der Gottseibeiuns der Spießer. Was ist das Konservativste, dessen Sie schuldig sind?

Waters: Hm. Ich weiß nicht, aber gibt es wirklich Leute, die darüber erstaunt sind, dass sich die Konservativen darüber aufregen, wenn man im Kindergarten Dragqueen-Stunden einführt? Ich bin total dafür, aber ich kann verstehen, dass sich manche darüber aufregen. So konservativ bin ich.

STANDARD: Sie wurden "Godfather of Punk" genannt, "Prince of Filth" und Ähnliches. Wie schwer ist es, solchen Zuschreibungen zu entsprechen?

Waters: William Burroughs nannte mich den "Pope of Trash", damit hat das begonnen, aber es waren immer liebevolle Zuschreibungen. "The People’s Pervert" – den mag ich am liebsten. Ob ich ihnen entspreche, wen kümmert’s? Aber ich bin auf jeden Titel ein wenig stolz.

STANDARD: So etwas wie Sex- und Body-Positivity nahmen Sie in Ihren Filmen auf drastische Art vorweg ...

Waters: Das stimmt, Divine war der Welt fünf Jahrzehnte voraus. Und Lizzo! Divine war die Ur-Lizzo.

STANDARD: Apropos Musik: Sie waren immer ein Fan von Little Richard ...

Waters: Oh ja! Ich mochte sein theatralisches Auftreten, und seit 1969 trage ich einen Bart wie er. Ich hoffe, den kriegen sie gut hin, wenn sie mich begraben. Die Musik war so herrlich verrückt, sie erschreckte meine Großmutter und brachte die Teller zum Klappern, als wäre ein Alien im Wohnzimmer gelandet.

STANDARD: Und wie erging es Ihnen mit Elvis?

Waters: Dasselbe. Als ich ihn das erste Mal sah, wusste ich, ich bin schwul. Der frühe Elvis war heiß, nicht der späte. Im letzten Elvis-Film von Baz Luhrmann durfte er ja nicht einmal mehr fett gezeigt werden. "F" stand früher für "fuck" und war verboten. Heute steht es für "fat" – und das ist ebenso verboten. (Karl Fluch, 30.3.2023)