Tsai Ing-wen winkt ihren Landsleuten zum Abschied am Flughafen Taoyuan bei Taipeh. Am Mittwochabend sollte sie zum ersten Zwischenstopp in den USA eintreffen.

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Mit den Zielen Guatemala und Belize trat Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen am Mittwoch ihre Reise Richtung Lateinamerika an. Die zwei Länder gehören zu jenen 13 Staaten, die noch offizielle diplomatische Kontakte mit Taipeh pflegen. Gerade erst wieder musste Taiwan seine Beziehungen mit Honduras abbrechen: In Tegucigalpa hatte man sich dazu entschlossen, lieber die Diplomatie mit Peking zu suchen als mit der umstrittenen Insel in Südostasien. Für Tsai heißt es daher auf ihrer Reise: sicherstellen, dass nicht noch mehr Verbündete Taiwan den Rücken kehren.

Doch dass das nur ein Punkt auf ihrer Agenda ist, macht schon der Reiseplan deutlich. Von den insgesamt zehn Tagen wird Tsai sechs in den USA verbringen – im Transit, wie es offiziell heißt. Auf dem Hinweg wird sie einen Zwischenstopp in New York einlegen, wo sie den Thinktank Hudson Institute besucht und eine öffentliche Rede halten soll.

Und auf dem Rückweg, also in rund einer Woche, wird sie in Kalifornien haltmachen, wo der wohl brisanteste Teil der Reise über die Bühne gehen soll: Tsai soll mit dem Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, zusammentreffen, dem dritthöchsten US-Vertreter. Offiziell bestätigt ist das von Taiwans Präsidialamt noch nicht, doch McCarthy gab bereits Anfang März bekannt, dass ein solches Treffen stattfinden werde.

Drohgebärden aus Peking

Aus Peking kamen im Vorfeld bereits scharfe Drohgebärden. Der "sogenannte US-Transit" sei "eine Provokation zur Unabhängigkeitsbestrebung mit der Unterstützung der USA", ließ Zhu Fenglian, Sprecherin von Chinas Büro für Taiwan-Angelegenheiten, wissen. Wenn es tatsächlich zu dem Treffen mit McCarthy komme, werde man "definitiv Maßnahmen ergreifen, um entschlossen zurückzuschlagen".

China hält am "Ein-China-Prinzip" fest, das Taiwan als abtrünniges Territorium der Volksrepublik sieht, das ans Festland angegliedert werden müsse. In Taiwan selbst und vor allem bei dessen wichtigstem Verbündeten und Sicherheitsgaranten USA sieht man das anders. Washington beruft sich auf seine "Ein-China-Politik", die die Situation schlicht als ungelöst einstuft. Chinas Position wird dabei zur Kenntnis genommen, Washington erkennt aber nicht die Souveränität Pekings über Taiwan an.

Die USA unterhalten zwar seit Ende der 1970er-Jahre keine offiziellen Beziehungen zu Taipeh mehr, haben sich aber dazu verpflichtet, Taiwan militärisch auszurüsten. So praktizieren die USA und Taiwan seit Jahren eine eigenwillige Form der De-facto-Diplomatie, mit Verbindungsbüros und inoffiziellen Treffen, die in vielen Aspekten offiziellen Beziehungen ähneln, aber namentlich keine sind.

Gerade wenn die Beziehungen zwischen Peking und Washington dann so unterkühlt sind wie aktuell, beobachtet Peking das Treiben zwischen Taiwan und den USA besonders genau. Der Besuch von Nancy Pelosi, also McCarthys Vorgängerin, in Taiwan im vergangenen Sommer löste die größten chinesischen Militärübungen um die Insel aus.

USA beschwichtigen

Washington versucht zu beschwichtigen: Tsais Transit sei eine Routineangelegenheit. Seit Tsais Amtsantritt 2016 sei die Präsidentin bereits sechsmal in derartiger Weise durch die USA gereist. Schon zuvor habe sie dabei etwa Kongressabgeordnete getroffen.

Tsai selbst machte bei ihrem Abflug vom Flughafen Taoyuan nahe der Hauptstadt Taipeh deutlich, dass sie sich ihre Reisen nicht von China diktieren lassen will: "Externer Druck wird unsere Entschlossenheit nicht beeinträchtigen, uns in der Welt zu engagieren." Taiwan werde "weder nachgeben noch provozieren", fügte sie hinzu – und fasste damit die Herausforderung zusammen, vor der Taiwan seit dem zunehmenden Erstarken Chinas steht.

Wie diese Gratwanderung zu schaffen ist, darüber herrscht in Taiwan selbst Uneinigkeit. Tsai gehört der Demokratischen Fortschrittspartei an, die in einem engen Verhältnis zu den USA den besten Weg für Stabilität sieht. Die Oppositionspartei Kuomintang (KMT) setzt dafür aber auf bessere Beziehungen zur Volksrepublik.

Während Tsai in Amerika reist, befindet sich der ehemalige KMT-Präsident Ma Ying-jeou auf einer Reise durch China. Er ist damit der erste ehemalige taiwanische Staatschef, der China betritt, seitdem der Gründer der Republik Chinas, wie Taiwan offiziell heißt, vom Festland China fliehen musste. "Wir sind alle Chinesen", sagte Ma dabei am Dienstag und gab somit einen Vorgeschmack auf den Präsidentschaftswahlkampf in Taiwan im nächsten Jänner. Anna Sawerthal, 29.3.2023)