Kürzere Öffnungszeiten, temporär geschlossene Geschäfte: Österreichs Handel kämpft zusehends mit Personalengpässen.

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Der Mangel an Arbeitskräften in Österreichs Handel spitzt sich zu und droht zur größten Bremse für einen Aufschwung des Konsums zu werden. Fast zwei Drittel aller Handelsbetriebe leiden unter fehlendem Personal. Sechs Prozent sahen sich im vergangenen halben Jahr dazu gezwungen, deswegen einzelne Geschäfte temporär zu schließen. Bei 14 Prozent der Unternehmen lässt der Mangel an Beschäftigten derzeit nur eingeschränkten Betrieb zu, erhob der Handelsverband.

Allein beim AMS sind für den gesamten Handel aktuell 21.800 offene Stellen gemeldet. Mehr als 2700 Lehrstellen bleiben unbesetzt.

Für Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will führt an einer Arbeitsmarktreform, die mehr Anreize für Beschäftigung schafft, kein Weg vorbei. Neben einer flächendeckenden Kinderbetreuung brauche es mehr Netto vom Brutto. In kaum einem anderen Land der EU zahlten Arbeitgeber so viel an die Angestellten, ohne dass es diesen bleibe, wie in Österreich, kritisiert Will. Und in kaum einem anderen Land Europas sei es finanziell unattraktiver, seine Arbeitszeiten auszuweiten.

"Generation geringfügig"

"Für viele zahlt es sich nicht aus, arbeiten zu gehen", ist sich Will sicher und spricht von einer "Generation geringfügig". Aufgabe der Regierung sei es, die Bevölkerung über die negativen Folgen von Teilzeitarbeit für die Pension aufzuklären.

Eine deutliche Zunahme an Krankenständen verschärfe die ohnehin schon angespannte personelle Situation zusätzlich, sagt Will. Die Möglichkeit, sich bei Ärztinnen und Ärzten telefonisch krankzumelden, habe die Zahl kurzer Krankenstände zwischen einem und drei Tagen um bis zu 50 Prozent explodieren lassen.

Die während der Pandemie eingeführte Regelung sei missbrauchsanfällig und erhöhe den Druck auf jene Arbeitnehmer, die tatsächlich krank seien, klagt der Handelsexperte. "Das gehört endlich abgestellt." Ein entsprechender Appell an das Gesundheitsministerium sei erfolgt.

Feiern Beschäftigte krank?

Feiern Beschäftigte des Einzelhandels zusehends krank? Gewerkschafterin Helga Fichtinger sieht darin einen Generalverdacht und weist diesen scharf zurück. Das Gegenteil sei der Fall, sagt sie: Belastung und Druck am Arbeitsplatz seien seit Corona enorm gestiegen. "Viele gehen auch krank arbeiten. Jeder überlegt es sich dreimal, ob man Kolleginnen und Kollegen im Stich lässt."

Auch die Gesundheitskasse bestätigt die Annahme der Händler auf Anfrage des STANDARD nicht. Die Kurzzeitkrankenstände seien in Österreich im Vergleich zur Zeit vor Corona anteilsmäßig nicht gestiegen, sondern gesunken: von 38,5 auf 36,10 Prozent.

Derzeit gilt: Telefonisches Krankmelden ist nur bei Corona-Symptomen erlaubt. Kontrollieren lässt sich die praktische Handhabe freilich schwer. Fichtinger spielt den Ball an die Arbeitgeber zurück: Es sei deren Job, Stress, der zu mehr Krankenständen führe, zu reduzieren.

Versäumnisse des Handels

Dass der Einzelhandel auf massiven Personalmangel zusteuere, habe sich schon vor Jahren ablesen lassen, betont Fichtinger und erinnert an zahlreiche Stellschrauben, an denen zu drehen die Branche selbst in der Lage sei. Fünf- statt Sechstagewochen würden den Job im Verkauf etwa deutlich attraktiver machen.

Dringend nötig sei bessere Planbarkeit der Arbeit. Einstiegsgehälter müssten auf mehr als 2000 Euro im Monat steigen. Längst überfällig sei die sechste Urlaubswoche. Und reduzierten Einkaufszentren die Öffnungszeiten, kämen Geschäfte auch mit weniger Angestellten aus.

Will sieht den Handel in keiner Bringschuld. Er führt Überzahlungen ins Treffen. Auch habe der Kollektivvertrag vor allem für jüngere Beschäftigte an Reiz gewonnen.

Für 74 Prozent der Händler nicht finanzierbar seien jedoch Viertagewochen bei vollem Lohnausgleich. Derzeit schreibe ein Drittel der Betriebe offene Stellen aufgrund hoher Kostenbelastungen als Teilzeit aus – obwohl sie Vollzeit bevorzugten.

Dass Vollzeitjobs im Handel bei Arbeitnehmern auf wenig Gegenliebe stoßen, wie Will betont, kann Fichtinger nicht bestätigen. "Viele wollen Stunden aufstocken, bekommen sie aber nicht, da sich mit Teilzeitkräften besser jonglieren lässt." (Verena Kainrath, 29.3.2023)