Der Wahlkampf um den roten Vorsitz hat begonnen. Zumindest der Bürgermeister Traiskirchens, Andreas Babler, wirbt bereits um die Stimmen der Basis. Das muss er auch – neben der aktuellen Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und dem burgenländischen Landeschef Hans Peter Doskozil ist Babler der Underdog. "Ich brauche euch jetzt", twittert er und erklärt seinen Followern, wie man ihn auf seinem Weg zum Chefsessel nun unterstützen kann: "Zeigen wir, dass wir viele sind." Und die ersten Unterstützerinnen und Supporter wagen sich bereits aus der Deckung – mit Innsbrucks Stadtparteichef Benjamin Plach erklärte einer der ersten Funktionäre, für Babler zu stimmen.

Wie viele Leute sollen am Parteitag kandidieren?
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Der Bürgermeister kämpft aber nicht nur um Unterstützungserklärungen für seine Kandidatur. Babler braucht Backup und muss bekannter werden. In sozialen Medien teilt er Bilder von sich: inmitten von Menschenmengen, beim Händeschütteln, im Gespräch. In Videos legt er seine Motivation offen, warum er findet, er sei der Richtige, um die Sozialdemokratie an- und in die Nationalratswahl zu führen.

Mit seiner Kandidatur bringt Babler das ganze Prozedere der Vorsitzfindung ins Wanken: Eigentlich hatten sich Rendi-Wagner und Doskozil, als sie noch zu zweit im Ring standen, darauf geeinigt, dass nur der oder die Erste auch auf dem Sonderparteitag kandidiert.

Absolute rückt in die Ferne

Doch je mehr Stimmen Babler gewinnen kann, desto unwahrscheinlicher wird es, dass eine Person mehr als 50 Prozent der Mitglieder, die an der Befragung teilnehmen, überzeugen kann.

Darum wird nun bereits über den nächsten Schritt diskutiert – den anstehenden Sonderparteitag am 3. Juni. Und über die Frage, wie das Mitgliedervotum überhaupt zu bewerten ist: nur als "Stimmungsbild", wie die Genossinnen und Genossen ticken, oder doch als Vorwahl, die von den rund 650 Delegierten lediglich bestätigt werden soll, weil es die Statuten eben so vorsehen.

Babler will eine mögliche Stichwahl nach der Mitgliederbefragung nicht ausschließen. Sollte kein Bewerber die Mehrheit erhalten, sei es für ihn eine "Frage des Respekts" gegenüber den Mitgliedern, sagte der Bürgermeister am Mittwoch in der Ö1-Sendung "Klartext". Doch was spricht dafür, dass man der Entscheidung der Mitgliederbefragung folgt? Was spricht für eine Stichwahl auf dem Parteitag und was dagegen?

Was für eine Stichwahl am Parteitag spricht

Mehr als 70 Kandidatinnen und Kandidaten haben sich um den Vorsitz der SPÖ beworben. Nicht alle werden es tatsächlich auf den Zettel für die Befragung schaffen – 30 Unterstützungserklärungen mag wenig klingen; sie zu sammeln ist aber trotzdem schon einmal eine Hürde für viele einfache Mitglieder.

Doch selbst wenn nur die Hälfte von ihnen im Rennen bleibt, eine so eindeutige Entscheidung, wie sie ursprünglich von der Partei gewünscht war, wird es nicht geben. Dass von den drei überregional bekannten Bewerbungen – Parteichefin Pamela Rendi-Wagner, Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler – keiner die Absolute knackt, ist durch die Fülle an Interessierten sehr wahrscheinlich geworden. Und dann?

Sollte bei der Befragung niemand mehr als 50 Prozent erreichen, will Babler beim Parteitag am 3. Juni antreten, auch wenn er nicht Erster ist. Damit würde die SPÖ der generellen Vorgehensweise dieses Landes folgen – eine Stichwahl gibt es schließlich auch auf den anderen direkt gewählten Ebenen: Jeder Bürgermeisterkandidat, jede Anwärterin für den Posten als Stadtchefin benötigt die Mehrheit der Ortschaft. Kandidieren mehr als zwei Personen und erreicht keine davon die Absolute, gehen zwei in die nächste Runde.

Das gleiche Prozedere gilt für die Präsidentschaftswahl. Hier gebe es einen Aufschrei unter Demokratinnen und Demokraten, wäre es anders. Norbert Hofer wäre mit 35,1 Prozent im Jahr 2016 aus der Wahl als oberster Staatsmann hervorgegangen – vor Alexander Van der Bellen mit 21,3 Prozent. Dass das nicht der Wille der Mehrheit der Bevölkerung war, sah man in der Stichwahl.

Natürlich ist die Wahl der Spitze der SPÖ nicht gleichbedeutend mit der des österreichischen Staatsoberhauptes. Doch selbst bei "normalen" Parteitagen brauchen all jene, die für eine Funktion kandidieren, die Zustimmung von mehr als 50 Prozent der Delegierten.

Will die Partei mit der Wahl tatsächlich den internen Clinch beenden, braucht die Nummer eins eine absolute Mehrheit hinter sich und nicht nur die meisten Stimmen. Im roten Worst Case fühlt sich sonst der Großteil der Partei nicht repräsentiert, und die Querelen gehen weiter. Und das führt wiederum zu taktischen Überlegungen: Soll man das Kreuzerl tatsächlich bei der Favoritin oder dem Lieblingskandidaten machen? Oder lieber das geringere Übel unter den Aussichtsreichsten wählen, um andere zu verhindern? Dadurch könnten Kandidaten mit weniger Bekanntheit gleich einpacken.

Was gegen eine Stichwahl am Parteitag spricht

Gegen eine "Stichwahl" um den SPÖ-Vorsitz spricht vor allem, dass es eine solche aus formalen Gründen gar nicht geben kann – jedenfalls nicht vor dem Parteitag. Denn bei einer Stichwahl wird über die zwei stimmstärksten Kandidatinnen oder Kandidaten einer Wahl abgestimmt – um im zweiten Wahlgang dann eine absolute Mehrheit zu ermitteln. Und das ginge sich frühestens auf dem Bundesparteitag am 3. Juni aus. Denn wie Bundesgeschäftsführer und "Herr über die Statuten" Christian Deutsch seit Tagen betont, handelt es sich bei der Mitgliederbefragung eben um eine Befragung und nicht um eine Abstimmung. Das Kreuzerl für ihren Favoriten können Parteimitglieder folgerichtig auf einem "Befragungszettel", nicht auf einem "Stimmzettel" machen – dieses Wording war Deutsch wichtig.

Hintergrund: Laut geltenden Statuten muss der oder die Vorsitzende der SPÖ eben auf dem Parteitag gewählt werden – von den rund 650 Delegierten aus Ländern, Bezirken und roten Teilorganisationen. Die Mitgliederbefragung ist daher nicht bindend.

Eine zweite Runde einer schriftlichen Mitgliederbefragung durchzuführen, auf deren "Befragungszettel" dann nur die beiden Stimmenstärksten der ersten Runde stehen, ist "nicht vorgesehen", wie es aus der Bundespartei zum STANDARD heißt. Die Fristen im Vorfeld des Parteitages würden das auch gar nicht mehr zulassen.

Und es wird noch komplizierter: Auch auf dem Parteitag selbst ist eine "Stichwahl" zwischen zwei Personen zunächst nicht möglich. Oder anders gesagt: Selbst wenn sich etwa die beiden Stimmenstärksten aus der Mitgliederbefragung darauf einigen würden, auf dem Parteitag gegeneinander anzutreten, wäre ihnen ein "Duell" keineswegs sicher. Bis zum Parteitag könnten nämlich weitere Bewerberinnen und Bewerber für den Chefsessel auftauchen – auch solche, die sich vorher gar nicht der Mitgliederbefragung stellten.

Denn das rote Statut räumt allen Parteimitgliedern ein, sich für die Vorsitzwahl auf dem Parteitag aufstellen zu lassen – mit einer Bewerbung bei der roten Wahlkommission mindestens 21 Tage vor der Wahl. Und selbst wer diese Frist übersieht, kann noch kurz entschlossen auf dem Parteitag kandidieren. Um dann noch auf dem Stimmzettel zu landen, müssen sich allerdings an Ort und Stelle zwei Drittel der Delegierten in geheimer Wahl dafür aussprechen. Sollten letztlich mehr als zwei Personen auf dem Stimmzettel stehen, und sollte keine von ihnen eine absolute Mehrheit unter den Delegierten erreichen – dann, und wirklich nur dann, gibt es tatsächlich eine Stichwahl zwischen den beiden Stimmstärksten. (FÜR & WIDER: Oona Kroisleitner, Martin Tschiderer, 29.3.2023)