Alles immer auf denselben eingefahrenen Bahnen? Das kann ungute Folgen haben – auch für die eigene Gesundheit.

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Zu den mächtigen Steuerleitlinien im Leben gehören Erfahrungen und Routinen. Beide bilden und festigen sich im Lebensverlauf, beide haben unbestreitbar ihren Stellenwert in der Lebensgestaltung. Ebenso unbestreitbar aber auch deren verhaltenskonservierende Eigenschaften. Die Gefahr, sich nur noch von Erfahrungen leiten und das Tun und Lassen von Routinen programmieren zu lassen, sollte nicht unterschätzt werden. Niemand ist davor gefeit.

Und niemand ist vor dem Leidensdruck und auch der Unzufriedenheit sicher, der aus dieser Automatiksteuerung erwachsen kann. Wenn Verhaltensweisen, in denen man sich sicher und zu Hause fühlte, auf einmal in die Sackgasse führen, fühlt man sich plötzlich hilflos und durch das Neue bedroht. Mit der Folge, dass Veränderung nun Befürchtungen und Ängste hervorruft. Und kaum etwas anderes lähmt die Bereitschaft, sich mit dem Neuen auseinanderzusetzen, so wie diese Gefühle.

Für die Pflege der Lebensqualität ist es deshalb (eigentlich) unerlässlich, sich dieser Zusammenhänge bewusst zu sein. Und das Wissen darum mit Fragen an sich selbst zu überprüfen: Wie ausgeprägt ist meine Verhaltenssteuerung durch Erfahrungen und Routinen? Folge ich den beiden blind oder poppen in diese automatisierten Verhaltensweisen auch mal selbstkritische Gedanken auf wie: Moment mal, was tue ich da? Oder: Wie reagiere ich da gerade? Habe ich jetzt meinen Verstand eingeschaltet oder nur den Autopiloten?

Belastung für die anderen

Die Blindheit dem eigenen Verhalten gegenüber kann atemberaubend sein – und für die, die mit Verhaltensblinden zusammenleben- und -arbeiten müssen, sehr belastend. Und weil das eine wie das andere Tatsache ist, machen Therapeuten auch kein Hehl daraus, dass familiäre wie auch Konflikte am Arbeitsplatz nur zu oft weniger in der Sache als in diesem automa tisierten Agieren und Reagieren ihren eigentlichen Ursprung haben. Es ist dieses blinde Tit for Tat, das so atmosphärenvergiftend wirkt. Und gesundheitsabträglich, worauf mit der Burnout-Problematik vertraute Mediziner, aber auch Coaches regelmäßig aufmerksam machen.

Sich ausgebrannt, antriebs-, kraft- und mutlos zu fühlen kann sich aus der Arbeitsbelastung entwickeln. Ebenso gut aber auch aus eingefahrenen Handlungsweisen, die diese Belastung oft erst wirklich belastendend oder noch belastender machen. Ebenso entwickeln sich psychosomatische Krankheitsbilder, also von einer leidenden Seele ausgelöste körperliche Befindlichkeitsstörungen wie beispielsweise Nacken-, Rücken-, Magenschmerzen, Schlaf- oder Libidostörungen, aus verkrusteten Verhaltensweisen. Der in sich gefangene Mensch ist sich selbst sein ärgster Gegenspieler.

Und das gilt auch für Führungsprobleme. In differenzierterer Betrachtung entpuppen sie sich oft als Selbstführungsprobleme, die in Verhaltensverkrustungen wurzeln. Der falsche Umgang mit sich selbst führt zwangsläufig zum falschen Umgang mit anderen.

Alles steckt und stockt

Wer als Vorgesetzter mit zementierten statischen Vorstellungen seine Crew fortlaufend nervt und gegen sich aufbringt, reibt sich selbst auf, treibt andere "in den Wahnsinn" und unterbindet dynamisches, weiterblickendes, kreatives Arbeiten.

Menschenführung fährt nun einmal nur dann Erfolge ein, wenn sie Ermessens- und Handlungsspielräume lässt, wenn sie mit Charakteren und originellen Köpfen umzugehen versteht, wenn sie Autorität nicht mit autoritär verwechselt.

Führungs- und darauf aufbauend der Unternehmenserfolg gründet ja beileibe nicht vorrangig in ständiger Bastelei an der Struktur- und Ablauforganisation. Was Unternehmen fundamental lebendig und stark macht und erhält, ist die betriebsinterne wache Lebendigkeit. Und die entwickelt sich aus dem freiwilligen Antrieb aller, das alltägliche Geschehen mit seinen Vorgaben und Zuständigkeiten und Vorstellungen zu hinterfragen.

Analysiere dich selbst

Faktisch entspricht das einer permanenten persönlichen wie betrieblichen Selbstanalyse. Wenn alle darüber nachdenken und darüber nachdenken dürfen, wie das, was heute getan wird, morgen besser getan werden könnte, wird ein Betrieb lebendig.

Die gefahrenträchtige problematische Seite von Erfahrungen und Routinen nimmt die US-amerikanische Psychologieprofessorin Carol Dweck direkt aufs Korn: "Warum immer nur die ausgetretenen Pfade gehen statt solche, mit denen wir unsere Grenzen überwinden? Die Leidenschaft, Grenzen zu überwinden, auch dann noch, wenn nicht alles nach Plan läuft, ist das Zeichen eines dynamischen Selbstbildes. Diese Grundeinstellung ermöglicht Menschen, sich gerade dann weiterzuentwickeln, wenn sie vor großen Herausforderungen stehen." Und solche Menschen entwickeln dann auch Unternehmen weiter.

Originelle Führung gefragt

Originelle Köpfe wollen originell geführt werden. Die Notwendigkeit dazu ist größer denn je. Die Originalität, die hier und jetzt zum Zuge kommen muss, ist die beherzte Bereitschaft, die im Eingefahrenen feststeckenden, zur Routine gewordenen Denk- und vor allem auch Umgangsweisen aufzubrechen und sie schöpferisch zu zerstören. Unternehmen, die sich im inneren Miteinander auf ein entsprechend verändertes Verhalten einlassen, gewinnen dadurch eine interne Anschubkraft, die der persönlichen und auf diesem Weg der betrieblichen Entwicklung den notwendigen frischen Wind unter die Flügel bringt.

Es ist nicht immer die Konkurrenz, die einem Unternehmen das Wasser abgräbt und es aus dem Markt kegelt. Dazu sind Unternehmen sehr wohl selbst in der Lage – mit all ihren aus Erfahrung und Routinen herrührenden Glaubenssätzen und menschlichen wie sachlichen Verkrustungen. Ein Satz aus Reinhard K. Sprengers Buch Die Entscheidung liegt bei Dir – Wege aus der alltäglichen Unzufriedenheit trifft den Kern der Problematik: "Wir können unser Leben heute nicht mehr entlang alter Gewohnheiten oder vorgegebener Muster leben." (Hartmut Volk, 2.4.2023)