Die Vorgänge, die aus dem Wiener AKH bekannt wurden, sollen im Ausnahmefall die Gefährdung von Patientinnen und Patienten verhindern. In einer Notsituation sei das wohl das gelindeste Mittel, hieß es auch vom Patientenanwalt, der das Vorgehen aber aus hygienischen und ethischen Gründen nicht tolerieren könne.

Foto: APA/Georg Hochmuth

Bilder aus dem Inneren des Wiener AKH sorgen für Aufregung: Es sind Fotos, die eine Patientin in einem provisorischen Lager aus zwei Matratzen auf dem Boden eines Spitalsganges zeigen. "Kurier" und "Kronen Zeitung" haben diese Aufnahmen veröffentlicht, die Frau ist nicht die Einzige, die auf dem Gang versorgt wird. Auch andere Patienten in sogenannten Gangbetten sind zu sehen.

Laut den Medienberichten stammen die Aufnahmen aus der Uniklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie von der Nacht auf den 14. Februar. Beim AKH erklärt man die Vorgänge wie folgt: An der Station der Klinischen Abteilung für Unfallchirurgie sei in jener Nacht statt der vorgesehenen 28 Patientinnen und Patienten eine Person mehr zu versorgen gewesen, die Unterbringung in unmittelbarer Nähe des Pflegestützpunkts (also in diesem Fall direkt auf dem Gang) müsse "in Ausnahmefällen an dieser einen unfallchirurgischen Station gesetzt werden", hieß es am Donnerstag in einer Stellungnahme, die dem STANDARD vorliegt. In einem Zimmer sei keine lückenlose Beobachtung durch das Personal möglich.

"Patientinnen und Patienten mit kognitiven Einschränkungen, die auf zwei Matratzen ohne Bett untergebracht werden, können direkt überwacht werden, ohne dass sie sich selbst gefährden und ohne dass freiheitsbeschränkende Maßnahmen erforderlich sind", lautet die Erklärung weiter. Eine Aufnahme in ein Zimmer sei "selbstverständlich zu bevorzugen", wenn dies ohne Gefährdung der Patientinnen und Patienten möglich sei.

Kein Überbelag laut AKH

Die Maßnahmen seien weder wegen Personalmangels noch wegen Überbelags getroffen worden. Sie seien "mit Bedacht zu treffen und werden mit den Angehörigen abgestimmt", hieß es weiter. Es sei sehr wichtig, Patienten und Patientinnen "zumindest eine Nacht zu beobachten, bevor sie nach Hause entlassen werden". Menschen, die ein Unfall aus dem gewohnten Umfeld gerissen habe, würden "vermehrt zur Entwicklung eines akuten Delirs neigen und damit eine Selbstgefährdung durch Stürze aus dem Bett", teilte eine AKH-Sprecherin "in Absprache mit der Pflegedienstleitung" auf STANDARD-Nachfrage mit.

Laut Tochter "beste Lösung"

Die Tochter der Frau bekräftigte im APA-Gespräch, dass dies "die beste Lösung" für ihre Mutter gewesen sei. Die demente Frau habe vergessen, dass die nach einem Bruch nicht aufstehen darf, weshalb die Lagerung am Boden "eine Vorsichtsmaßnahme war". "Meine Mutter lag in der Nähe des Schwesternstützpunktes, sie konnte dort viel besser beobachtet werden als in einem Zimmer, wo die Tür geschlossen ist", sagte die Tochter. Außerdem sei es "nur für eine Nacht gewesen". Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten sich trotz angespannter Personalsituation auch "wahnsinnig bemüht". "Es gab auch eine Sitzwache in der Nacht", betonte die Tochter. Dass Fotos ihrer am Boden liegenden Mutter angefertigt und Medien zugespielt wurden, "finde ich nicht in Ordnung", sagte die Frau.

Hacker kritisiert Umgang mit den Bildern

Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) reagierte via Facebook auf die Berichterstattung über die Patientin am Gangboden des AKH: "Bilder lösen Emotionen aus… …aber nicht immer die richtigen", schrieb Hacker da, der Kritik an der Veröffentlichung der Fotos in der Berichterstattung mancher Medien übte. Es sei "in den Standardprozessen der Pflege vorgesehen, dass alles getan werden muss, dass ein/eine Patient:in nach einem Unfall nicht noch einmal aus dem Bett fallen kann. Darum ist die gewählte Vorgangsweise an der Unfallchirurgie mitten in der Nacht gut und verständlich, auch wenn das Bild verstörend sein mag", teilte Hacker weiters mit, der angibt, auch mit der Tochter der Patientin in Kontakt gewesen zu sein, die das Vorgehen des Spitals – wie erwähnt – verteidigt und begründet habe und Hacker um eine klare Stellungnahme gebeten habe.

Kann laut Experte sinnvoll sein

Auch Experten verteidigen das Vorgehen am AKH: Martin Nagl-Cupal, Vorstand des Instituts für Pflegewissenschaft der Universität Wien, sagte im Ö1-"Mittagsjournal", dass es durchaus Situationen gebe, wo eine Lagerung auf dem Boden sinnvoll ist, etwa um einen Oberschenkelhalsbruch durch einen Sturz aus dem Bett zu verhindern. Damit werde eine Einschränkung der persönlichen Freiheit vermieden. Alternativ können Niederflurbetten und Sturzmatratzen verwendet werden. Auch Wolfgang Hofer, Vorsitzender der Personalvertretung im AKH, verwies darauf, dass die Lagerung auf dem Boden "wohl eine Sicherheitsmaßnahme" gewesen und bei psychisch beeinträchtigten Personen ein "nicht unübliches Verfahren" sei.

"Nicht gutheißen"

Der Wiener Patientenanwalt Gerhard Jelinek sagte dem "Kurier", er könne "aus ethischen und hygienischen Gründen eine Lagerung am Gangboden nicht gutheißen". In einer Notsituation sei dies aber wohl das gelindeste Mittel. "Sollten solche Vorfälle gehäuft auftreten, wäre das nicht zu tolerieren", sagte Jelinek. Besser wäre es gewesen, eine Überwachungsperson zu organisieren, betonte der Patientenanwalt. Auf die Nachfrage des STANDARD, wie oft es zu solchen "Ausnahmen" komme, ging das AKH am Donnerstag nicht ein.

Sitzwachen akut nicht einsetzbar

Die von Jelinek beschriebenen "Sitzwachen" gibt es im AKH. Diese Aufsichtspersonen für kognitiv eingeschränkte Patientinnen und Patienten wachen über Nacht am Bett, was Betroffene beruhigt und das Pflegepersonal entlastet. Im Vorjahr wurde am AKH bereits für rund 2.000 Pflegetage – von insgesamt 500.000 – eine Sitzwache angefordert. Der Einsatz von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen wurde dadurch nach Angaben des Spitals um rund 35 Prozent gesenkt. Für die Anforderung einer Aufsichtsperson sei aber "eine gewisse Vorlaufzeit notwendig, die ist bei akuten Aufnahmen in der Nacht leider nicht gegeben", stellte die AKH-Sprecherin auf Nachfrage klar.

ÖVP und FPÖ reagieren empört

Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer forderte angesichts der Bilder aus dem AKH, dass der zuständige Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) "endlich die Verantwortung übernehmen" müsse. "Es kann nicht sein, dass im Wiener Gesundheitsbereich jede Woche eine neue Schreckensmeldung aufschlägt und dies seitens der politischen Verantwortlichen, allen voran von Gesundheitsstadtrat Hacker, schöngeredet wird", erklärte die Gesundheitssprecherin der Wiener Volkspartei, Ingrid Korosec. Der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp forderte nach den "schockierenden Fotos" den sofortigen Rücktritt von Hacker. "Es reicht jetzt endgültig", so Nepp in einer Aussendung. Er verwies unter anderem auf "hunderte Gefährdungsanzeigen" durch Ärzte und Pflegepersonal.

Die Ärztekammer verwies auf einen "Rettungsplan", den sie dem Wiener Gesundheitsverbund Anfang März vorgelegt habe. "Angesichts der Szenen, die sich auf der Unfallchirurgie am Wiener AKH abspielen, kann ich nur hoffen, dass die Gespräche rasch beginnen", kommentiert Stefan Ferenci, Obmann der Kurie angestellte Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien, in einer Aussendung. (APA, spri, 30.3.2023)