Wie die Lebensfreude steigern? Gorkis "Sommergäste" (hier: Alexandra Krismer, Oliver Rosskopf und Joseph Lorenz, v. re.) versuchen es.

Foto: Philine Hofmann
Foto: Philine Hofmann

Man ahnt es gleich. Der auf die Paddelboote niedergehende Regen verheißt für diese Sommerfrischler nichts Gutes. Sie haben die Kanus nicht kopfüber gelagert, jetzt sind sie nass. Ach, diesen Leuten fehlt jedes praktische Talent! Man muss sogar sagen: Taugenichtse tummeln sich hier am Seeufer. Maxim Gorki hat seine Sommergäste im gleichnamigen Drama 1904 mit Zuwendung, aber scharf gezeichnet. In Elmar Goerdens Inszenierung am Theater in der Josefstadt driften sie nun entlang einer eigenen Textfassung beeindruckend durch die Gegenwart.

"Wir müssen andere Menschen werden", sagt die bis zur Verzweiflung an ihrer eigenen Fadesse leidende Warwara (Alexandra Krismer). Ein Satz, der der heutigen Wohlstandsgesellschaft in den Ohren klingen mag. Denn was anfangen mit der Saturiertheit in einer kaputten Welt? Was tun, wenn man sich selbst zwar abgesichert hat, darin aber keinen Sinn mehr erkennt? Zumindest aufs Surfbrett steigen?

Lebensfreude steigern

Die Sommergäste machen notgedrungen einfach irgendwie weiter. Es sind Anwälte, Ärztinnen, Literaten und Literatinnen. Und es sind die Frauen, die aus einem gesellschaftlichen Unbehagen und politischen Bewusstsein heraus hier am allermeisten die Ruhe stören.

Schreie der Hilflosigkeit, der Resignation entfahren ihnen. Sie taumeln oder werden aggressiv. Das von Michaela Klamminger als existenzialistischer Grufti-Dichterin performte Poem crasht jede auch noch so harmonische Party. Auch sind die nymphomanischen Attacken der unglücklich verheirateten Ingenieursgattin Julija (Silvia Meisterle) pure Akte der Verzweiflung.

Sie schmoren im eigenen Saft, gehen aber auch einmal schwimmen: Gorkis "Sommergäste".
Foto: Philine Hofmann

Einmal richten alle wie aufgefädelt an der Rampe den Blick in die Zukunft und weinen, jeder bei sich. Dahinter aber gehen die Sommer aktivitäten gleich wieder weiter. Geschäftiges Treiben soll die allseits spürbare Sinnlosigkeit übertünchen. Um ihre Lebensfreude zu steigern, tragen diese Sommergäste extrabunte Kleider, Hosen, Turbane, Umhänge, Decken, Mäntel, Badehauben, Overalls – eine Parade der Verzweiflung. Es ist ein Vergnügen, sie alle zu betrachten (Kostüme: Lydia Kirchleitner). Allen voran wechselt der obendrein unglücklich verliebte Wlas (Claudius von Stolzmann) seine pointierten Sommeroutfits in verzagtem Tempo.

Großes Ensemblestück

Diese Sommergäste haben bisher vor allem eines vollbracht: auf sich selber zu schauen. Und jetzt, nachdem sie ihr Leben auf akzeptable soziale Stufen gehievt, sich verwirklicht, verehelicht haben, stehen sie vor dem großen Ganzen und trauen ihren Augen nicht, die keinen weiteren Weg mehr sehen.

In Goerdens Regie und Fassung, die sich einige kluge Änderungen erlaubt, passen diese Leute hervorragend in unsere Zeit. Wir sehen mit 15 Schauspielenden ein großes Ensemblestück, in dem ständig gestritten wird, um schrecklich ernste Fragen – und doch bleiben die Konflikte lustvoll anzuschauen.

Lose und mit viel geborgter, stimmungsgebender Musik mäandern diese "Szenen", als die sie Gorki im Unterschied zu einem "Drama" selbst benannt hat, ohne sinnfälliges Ende dahin. Dreieinviertel Stunden vergehen, die auch kürzer hätten ausfallen können, auch wenn die Dauer, das Auf und Ab, die immer wieder neuen Runden an Schöpfungsmut genuiner Teil der Unternehmung sind.

Selbstverleugnung

Einen Prototyp des Überspielens und Selbstverleugnens gibt Michael Dangl als Anwalt Sergej im schlurfigen Sportoutfit ab. Susa Meyer und Roman Schmelzer stützen sich als Ehepaar auf ein Leben mit vier Kindern. Der Ärztin Marja (Martina Stilp) wiederum ist es "heutzutage peinlich", ein Privatleben zu haben, an ihre genderfluide Tochter Sonja (Katharina Klar), die sich nun Alex nennt, muss sie sich erst gewöhnen.

Diese Sommergäste hängen die Hoffnungen stets an die anderen. Bei sich selbst anzufangen ist anstrengend und birgt womöglich Ungekanntes. Das vermittelt dieser Abend mit Verve und gekonnt. (Margarete Affenzeller, 30.3.2023)