Farbfilme waren stark gefragt bis zum Jahr 2000, dann ging es mit dem Aufkommen von Smartphones steil bergab.

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Geschichten des Scheiterns gibt es zuhauf. Oft erweist sich Größe als Hindernis. J. D. Rockefeller hatte Ende des 19. Jahrhunderts mit Standard Oil einen Konzern geformt, der den nationalen und internationalen Markt dominierte – bis er 1911 zerschlagen wurde. IBM wiederum musste massiv Federn lassen, als agilere Unternehmen wie Apple den Markt aufmischten. Swissair, "die fliegende Bank", wie die Schweizer Fluglinie in Anspielung auf ihre einstige Finanzkraft genannt wurde, konnte die Rechnungen für das Flugbenzin nicht mehr bezahlen; durch zu schnelles Wachstum war irgendwann der Überblick verloren gegangen. Nokia wurde die Fehleinschätzung, tastenlose Mobiltelefone würden nicht gewollt, zum Verhängnis.

Es waren Zeiten, als Fotos noch analog gemacht, entwickelt und in Alben geklebt wurden. Zwei Unternehmen spielten in der ersten Liga: Fujifilm und Kodak. Kein Souvenirstand, an dem nicht die typisch grün-weißen Rollen des japanischen Unternehmens zu kaufen waren oder alternativ die kodakgelben Schachteln der Firma aus Rochester im Bundesstaat New York. Zwei Unternehmen, die mehr oder weniger dieselben Voraussetzungen hatten, um weitere Jahrzehnte zu prosperieren. Es kam anders. Teiichi Goto, CEO von Fujifilm, weiß nachträglich auch, wieso.

Teiichi Goto (64) war lange Zeit Chef des Bereichs Healthcare bei Fujifilm und ist im Sommer 2021 CEO des japanischen Mischkonzerns geworden.
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STANDARD: Was war damals los?

Goto: Nach dem Höhepunkt im Jahr 2000 ist die Nachfrage nach Farbfilmen infolge des Aufkommens zuerst von Digitalkameras, dann von Smartphones dramatisch eingebrochen. Wir machten damals 60 Prozent der Umsätze und 70 Prozent der Gewinne mit Fotografie, mussten also überlegen, wie wir unser Portfolio umgestalten.

STANDARD: Wie sind sie vorgegangen?

Goto: Wir haben zunächst alle Technologien aufgelistet, die wir im Unternehmen hatten, und haben jene ausgewählt, die Wachstum versprachen. Dann haben wir uns gefragt, mit welchen dieser Technologien wir uns von Mitbewerbern abheben und differenzieren können, um zu bestehen. Drittens haben wir geschaut, wie lange der technologische Vorsprung anhalten kann.

STANDARD: Gab es in der Zeit, als die Farbfilm-Nachfrage einbrach, bei ihnen einen Geschäftsbereich, der profitabel war?

Goto: Wir hatten zwei – Electronic Display Material, sprich elektronische Bildgebung, sowie FujiXerox, unser damaliges Joint-Venture mit dem US-Kopiergerätehersteller Xerox. Und wir haben Ausschau gehalten nach neuen, gewinnträchtigen Geschäftsfeldern.


Kodak, der US-Rivale, hat offenbar den richtigen Moment verpasst, sich neu zu erfinden. Das 1880 von George Eastman, einem US-amerikanischen Tüftler und Unternehmer mitgegründete Unternehmen war bekannt für seine bahnbrechende Technologie und das innovative Marketing. "Sie drücken auf den Knopf, und wir machen den Rest", lautete bereits 1888 ein Werbespruch. Bis 1976 entfielen laut einem Bericht des britischen "Economist" 90 Prozent der Film- und 85 Prozent der Kameraverkäufe in Amerika auf Kodak.

Der ewige Rivale von Fujifilm, Kodak aus den USA, reagierte zu spät auf die Veränderungen am Markt, der Fotogigant musste 2012 Konkurs anmelden.
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Bis in die 1990er-Jahre wurde sie regelmäßig zu einer der fünf wertvollsten Marken der Welt gekürt. Dann kamen die 1990er-Jahre, die Digitalkameras und der Niedergang. 2012 ging Kodak pleite. Rochester verfiel.

Fujifilm bzw. dessen damaliges Management ging einen anderen Weg, manche sagen, einen amerikanischen – radikal und entschlossen. Kodak hingegen blieb in einer Kultur der Selbstzufriedenheit gefangen und war, verwöhnt vom Erfolg, zu zögerlich. Die Amerikaner reagierten zu spät auf Marktveränderungen.

Dabei hatten beide Firmen viel gemeinsam. Sie erfreuten sich lukrativer Beinahe-Monopole auf den jeweiligen Heimatmärkten: Kodak verkaufte Filme in Amerika, Fujifilm in Japan. Nur in Drittländern kam man sich in die Quere. Auch Pech spielte eine Rolle. Kodak dachte, die tausenden Chemikalien, die ihre Forscher zur Verwendung in Filmen entwickelt hatten, könnten in Medikamente einfließen. Die pharmazeutischen Aktivitäten von Kodak verpufften aber und wurden in den 1990er-Jahren abgestoßen.

Der japanische Konterpart hat wesentlich erfolgreicher diversifiziert. Mit Zukäufen in vielen Geschäftsfeldern und nicht zuletzt harten Sparmaßnahmen und Stellenabbau hat sich das Unternehmen aus der Krise gekämpft. Heute reicht die Produktpalette von Digitaldruck über Bildschirmmaterialien, Halbleiter und Speichermedien bis hin zu Medizintechnik wie Computertomografen oder Ultraschallgeräte, Pharmaprodukten und Zelllinien. Einst war der Fotofilm das größte Geschäft der Japaner, seit 2021 ist dies der Gesundheitsbereich.

"Haben die Ausgaben nie zurückgefahren, egal, was auch passiert ist." Teiichi Goto, CEO von Fujifilm, bei einem Wien-Aufenthalt.
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STANDARD: Was hat Fujifilm anders gemacht als andere Unternehmen?

Goto: Wir haben konstant viel in Forschung und Entwicklung investiert, haben die Ausgaben nie zurückgefahren, egal, was auch passiert ist. Und wir haben die Digitalisierung antizipiert.

STANDARD: Mit welcher Konsequenz?

Goto: Wir haben zusätzliche Kameras entwickelt, auch wenn wir unser traditionelles Geschäft mit Filmkameras dadurch kannibalisieren. So konnten wir aber digitale Technologien rasch realisieren und Marktanteile gewinnen.


Ein weiterer Punkt auf der Habenseite von Fujifilm sei, "dass das Ganze von unserem Top-Management ausgegangen und auch mitgetragen worden ist", sagte CEO Goto bei einem Wien-Besuch dem STANDARD. Verantwortlich für die damaligen Entscheidungen war noch Shigetaka Komori, der 20 Jahren an der Spitze des Unternehmens gestanden und im Sommer 2021 mit 81 Jahren in den Ruhestand getreten ist. "Komori hat nach außen und innen gut kommuniziert. Er sagte, 'so muss sich unser Unternehmen transformieren, so muss das passieren'", erzählt dessen Nachfolger Goto, der vor seiner Bestellung zum CEO Chef der Gesundheitssparte des Konzerns war. Dort sieht er auch die größten Wachstumschancen.

Früher waren Farbfilme für Analogkameras der Hauptumsatzbringer von Fujifilm. Seit 2021 ist das der Gesundheitsbereich.
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STANDARD: Warum ist Healthcare in Ihren Augen der Überflieger. Hat das mit der alternden Gesellschaft zu tun?

Goto: Fujifilm hatte von Beginn an einen Fuß drinnen. 1934 ist das Unternehmen gegründet worden, schon 1936 wurde mit Röntgenfilmen verkauft. In den 1970er-Jahren kam Endoskopie dazu, in den Achtzigern Computerradiografie. Dass die Menschen älter werden und mehr medizinische Betreuung brauchen, ist Fakt. Es ist aber auch eine Art soziale Gerechtigkeit, dass wir der Gesellschaft etwas Gutes tun können.

STANDARD: Fujifilm ist im Gesundheitsbereich kleiner als Siemens, Philips oder General Electric. Dennoch wildern Sie auf deren Heimmärkten?

Goto: Wir sind zwar im direkten Vergleich kleiner, aber besser aufgestellt und haben Geschäftsfelder, die die anderen nicht haben. Endoskopie beispielsweise. Das ist ein Wachstumsfeld in Zukunft. Wir haben das, die anderen nicht. Wir sind schon jetzt in der Lage, One-Stop-Lösungen für Krankenhäuser anzubieten und wollen das Angebot durch Zukäufe weiter arrondieren.

Teiichi Goto, CEO von Fujifilm, mit Europachef Toshihisa Lida (rechts) und dem Österreich-Verantwortlichen Shinichiro Udono (links).
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In Österreich ist Fujifilm mit einer Verkaufsniederlassung vertreten, rund 30 Mitarbeiter sind hier tätig, in Europa 6.000, weltweit 75.000. Von Österreich aus sollen künftig auch die Länder Slowenien und Kroatien serviciert werden. "Wir sehen das als einen Markt", sagt Goto. Das Geschäft mit Russland sei zurückgefahren worden, dorthin werde nur mehr medizintechnisches Gerät geliefert.

Für das am 31. März beendete Geschäftsjahr 2022/23 liegen keine endgültigen Zahlen, nur Prognosen vor: Demnach dürfte der Gesamtumsatz von Fujifilm auf 2.800 (Vorjahr: 2.526) Milliarden Yen, umgerechnet knapp 20 Milliarden Euro, gestiegen sein. Das operative Ergebnis wird bei 260 (229,7) Milliarden Yen erwartet. (Günther Strobl, 3.4.2023)