Belippt, aber darum nicht weniger schrecklich: der T. rex in einer künstlerischen Rekonstruktion.
Bild: Mark Witton

Unser Wissen über Dinosaurier beruht fast zur Gänze auf Knochenfunden. Nur wenige außergewöhnliche Funde enthalten auch konservierte Haut oder Abdrücke von Federn. Dass es immer wieder zu neuen Erkenntnissen über das weiche Gewebe der Urzeittiere kommt, ist daher keine große Überraschung.

Bereits in der Vergangenheit war das Aussehen des vielleicht bekanntesten Dinosauriers, des Tyrannosaurus rex oder T. rex, revidiert worden. Zwischenzeitlich war davon die Rede, der T. rex habe ein Federkleid gehabt. Forschende forderten vergeblich, Filme wie "Jurassic World" mögen die neuen Erkenntnisse berücksichtigen. Doch diese Vorstellung wird heute wieder infrage gestellt. Derzeit wird der T. rex wieder ohne Federn, mit schuppiger Haut dargestellt.

Die Form des Mauls war bisher eher nicht umstritten. Man nahm an, dass sie jener von Krokodilen ähnelte, bei denen die Zähne von außen sichtbar sind. Nun erlebt der T. rex ein Facelift. Wie ein internationales Team in einer Studie im Fachjournal "Science" darlegt, dürften er und einer seiner Verwandten ihre Zähne hinter Lippen verborgen haben.

Ähnlichkeit mit Eidechsen

Das schließt das Team aus der Analyse von Zahnstruktur, Abnutzungsmustern und Kiefermorphologie von lippenlosen und mit Lippen ausgestatteten Reptiliengruppen. Dabei stellten die Forschenden fest, dass der Kiefer des T. rex und anderer urzeitlicher Fleischfresser eher den Eidechsen und dem Tuatara, einer in Neuseeland beheimateten Echse, ähnelt.

Mehrere Rekonstruktionen eines T.-rex-Kopfes. In der Mitte sind die beiden konkurrierenden Theorien zum Vergleich abgebildet.
Foto: Mark Witton

Die Abnutzungen von Zähnen, die hinter Lippen liegen, seien völlig anders als bei denen ohne ohne Lippen, berichtet das Team. Der Speichel mache einen großen Unterschied. "Wie Ihnen jeder Zahnarzt sagen wird, ist Speichel wichtig für die Gesundheit Ihrer Zähne. Zähne, die nicht von den Lippen bedeckt sind, laufen Gefahr auszutrocknen und können beim Fressen oder Kämpfen stärker beschädigt werden", sagt Studienautorin Kristin Brink. Das sehe man bei Krokodilen, aber nicht bei den untersuchten Dinosauriern. Auch der Zahnschmelz deute eher auf Zähne hin, die von Speichel geschützt werden.

Zweifel an der Lippentheorie habe es bisher wegen der Größe der Zähne des T. rex gegeben. Doch das Team weist darauf hin, dass die Zähne des T. rex im Verhältnis zum Kopf nicht größer seien als bei Eidechsen.

Tuatara, auch Brückenechse genannt, ist eine seltene Echse in Neuseeland. Ihre Lippenform könnte der des T. rex ähneln.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Ein Kussmund war mit den T.-rex-Lippen übrigens nicht möglich. Die Lippen verfügten vermutlich nicht über Muskulatur wie bei Säugetieren, sondern waren unbeweglich wie bei anderen Reptilien.

Dinosaurierdarstellung mit Tradition

Brinks Kollege und Studienautor Derek Larson zeigt Verständnis für die bisherige Interpretation: "Paläontologen vergleichen ausgestorbene Tiere gerne mit ihren nächsten lebenden Verwandten, aber im Fall der Dinosaurier haben sich ihre nächsten Verwandten seit hunderten Millionen Jahren evolutionär unterschieden und sind heute unglaublich spezialisiert."

Doch die Ähnlichkeit des Kiefers zu jenem von Eidechsen sei augenscheinlich. "Vom kleinsten Zwergwaran bis zum Komodowaran funktionieren die Zähne auf die gleiche Weise. Aufgrund dieser Funktionsähnlichkeit lassen sich Warane gut mit ausgestorbenen Tieren wie den theropoden Dinosauriern vergleichen, auch wenn sie nicht eng verwandt sind", betont Larson. Das Team versichert allerdings, dass die neuen Erkenntnisse nicht für alle Dinosaurier gelten.

Dieser T.-rex-Schädel kam 2022 unter den Hammer. Eine Mitarbeiterin des Auktionshauses dient als Größenvergleich.
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Die Darstellung von Dinosauriern habe eine lange Tradition, sagt sein Kollege Mark Witton. Bereits im 19. Jahrhundert habe es Darstellungen von Dinosauriern mit Lippen gegeben. "Die lippenlosen Dinosaurier wurden in den 1980er- und 1990er-Jahren immer bekannter. Durch Filme und Dokumentationen – etwa 'Jurassic Park' und seine Fortsetzungen – waren sie schließlich tief in der Populärkultur verwurzelt", sagt Witton. Verblüffend sei aber, dass diese Frage nie ausführlich untersucht wurde.

Manche Fachleute sind noch nicht vollständig überzeugt. Die Paläoneurologin Ashley Morhard macht etwa gegenüber dem Fachjournal "Science" darauf aufmerksam, dass für die Studie nur ein Dinosaurierzahn und ein Krokodilzahn verwendet wurden. "Ich befürchte, wir brauchen mehr Daten, um es mit Sicherheit sagen zu können", sagt Morhard.

"Manche sind der Meinung, dass wir abgesehen von grundlegenden Merkmalen wie der Anzahl der Finger und Zehen nichts über das Aussehen der Dinosaurier sagen könnten", sagt Witton. "Aber unsere Studie und andere ähnliche Studien zeigen, dass wir viele Aspekte des Aussehens von Dinosauriern immer besser im Griff haben."

Wer selbst einen T. rex zu Hause haben möchte, hat in Kürze die seltene Gelegenheit, bei einer umstrittenen Auktion ein Skelett aus drei Einzeltieren zu erwerben – ohne die Lippen, versteht sich. (Reinhard Kleindl, 1.4.2023)