Wenn Medien Auskunft über zugespielte Daten geben müssten, brächte sie das in einen Konflikt mit dem Redaktionsgeheimnis. Mutwillige Auskunftsbegehren könnten zudem Recherchen verschleppen.

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Eine bisher kaum beachtete Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) könnte für die österreichische Medienbranche weitgehende Folgen haben. Im Jänner entschied das Höchstgericht, dass auch Medien von den Verpflichtungen im Datenschutzgesetz erfasst sind. Aus Sicht der Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter ging eine breit formulierte Ausnahme, das sogenannte Medienprivileg, zu weit. Vielmehr müssen auch Zeitungen, Radiosendungen und Fernsehsender im Einzelfall abwägen: Widerspricht die Verwendung von Daten den Rechten betroffener Personen? Oder überwiegt die Pressefreiheit?

Das Parlament hat nun bis Mitte 2024 Zeit, das Gesetz zu überarbeiten und Kriterien für diese Abwägungsfragen festzulegen. Eine "triviale Aufgabe" dürfte das aber nicht werden, führt der Presseclub Concordia in einer Stellungnahme an den STANDARD aus. Es brauche eine Lösung, die "das Recht auf freie Meinungsäußerung angemessen berücksichtigt und dabei die journalistischen Produktionsrealitäten im Blick hat". Andernfalls drohe die "Gefahr der Behinderung journalistischer Arbeit". Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt ein aktueller Fall beim STANDARD, der die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ausgelöst hat.

Heikler Datensatz

Einem Redakteur war Ende 2021 ein brisanter Datensatz zugespielt worden. Im Leak eines großen, bekannten Unternehmens waren tausende Datensätze mit Namen, Wohnort und Geburtsdaten einsehbar. DER STANDARD berichtete über den Fall und bekam wenig später Post: Das Unternehmen und sein ehemaliger Geschäftsführer forderten das Medienunternehmen dazu auf, die Daten zu übermitteln und anschließend zu löschen.

DER STANDARD verweigerte und berief sich auf das Medienprivileg und das Redaktionsgeheimnis. Würde man die Daten weitergeben, wäre unter Umständen ein Rückschluss auf die geschützte Quelle möglich. Zudem müsse die Ausnahme vom Datenschutzgesetz selbst dann noch gelten, wenn der Artikel bereits erschienen ist. Schließlich wäre es möglich, dass sich aus den Daten weitere Recherchen ergeben oder sie später für Beweiszwecke notwendig sind.

In seinem Erkenntnis stellte der Verfassungsgerichtshof nun klar, dass das generelle Medienprivileg zu weit geht, und hob das Gesetz auf. Jetzt liegt der aktuelle Fall wieder bei der Datenschutzbehörde, die in der Angelegenheit entscheiden muss. Für künftige Fälle muss das Parlament im Datenschutzgesetz nachbessern, was heikle Abwägungsfragen aufwirft.

Mehrere Gefahren

Die Rechte von Personen, über die in Presse und Rundfunk berichtet wird, sind im Medienrecht freilich schon jetzt geschützt. Meist muss im Einzelfall abgewogen werden, ob ein öffentliches Interesse besteht, die Namen und Daten bestimmter Personen zu nennen, oder nicht. Dazu hat sich eine ausgeprägte Rechtsprechung entwickelt.

Wären Journalistinnen und Journalisten an das Datenschutzrecht gebunden, ginge diese Pflicht allerdings weiter als das klassische Medienrecht: Die Rechte Betroffener wären dann nicht nur auf der "Vorderseite" geschützt – also in Artikeln oder in TV-Beiträgen, die veröffentlicht werden –, sondern auch auf der "Rückseite", also in Recherchematerialien oder Datenkonvoluten, die Journalistinnen und Journalisten zugespielt werden. Diese Daten unterliegen allerdings dem strengen Redaktionsgeheimnis.

Der Presseclub Concordia sieht deshalb mehrere Gefahren: Personen, über die berichtet wird, könnten etwa versuchen, sich via Auskunftsbegehren über den Stand von Recherchen zu informieren, oder die Löschung des Recherchematerials beantragen. Müssten Medienunternehmen all diese Anträge bearbeiten – mögen sie auch aus der Luft gegriffen sein –, würde das die Berichterstattung verschleppen.

"Sand ins Getriebe"

Damit könnten Ressourcen in Medienhäusern gebunden und so die journalistische Arbeit "systemisch" behindert werden, schreibt der Presseclub. Solche Methoden, die im Zusammenhang mit Slapp-Klagen (Einschüchterungsklagen) hinlänglich bekannt seien, könnten sich auf die Berichterstattung auswirken. Dazu komme, dass Datenschutzverfahren wesentlich günstiger seien als herkömmliche medienrechtliche Verfahren. Die "Gefahr des Missbrauchs" und die Möglichkeit, "Sand ins Getriebe zu streuen", seien deshalb deutlich erhöht.

Neben einer "ausdifferenzierten" Ausgestaltung des Medienprivilegs, das genau festlegt, wann Medien dem Datenschutzrecht unterliegen und wann nicht, schlägt der Presseclub ein Vorprüfungsverfahren vor. So könnten Datenschutzbegehren, die offenkundig missbräuchlich sind, schnell zurückgewiesen werden. Helfen könnten auch abschreckende Strafen bei Missbrauch.

Mit der Entscheidung des VfGH sei klar, dass die generelle Ausnahme für Medien im Datenschutzgesetz "nicht tauglich" war, sagt der Datenschutzverein Epicenter Works. Bei der Neuregelung gehe es nun "um die Abwägung zwischen den zwei sehr sensiblen Grundrechten Datenschutz und Pressefreiheit". Betroffene sollen ihre Rechte nach dem Datenschutzgesetz nicht dazu missbrauchen, um Recherchen zu torpedieren, heißt es in der Stellungnahme. "Gleichzeitig sind aber auch Journalistinnen und Journalisten dazu angehalten, datensparsam vorzugehen und keine Massen an personenbezogenen Daten auf Vorrat zu sammeln." (Jakob Pflügl, 17.4.2023)