Helga richtet ihre Arbeitshandschuhe, als sie, zwischen den Wohntürmen stehend, auf das riesige Loch vor ihr blickt und sagt: "Vor zehn Jahren war der See noch voll. Wenn sie ihn im vergangenen Sommer nicht tiefer gebaggert hätten, wäre gar kein Wasser mehr drinnen." Die Rede ist vom Anemonensee in Wiener Neustadt. Ein Grundwassersee mit einem schönen Namen – zu dem man erst mehrere Meter hinabsteigen muss. Die älteren Damen in der Anlage, die wegen der Bademöglichkeit direkt vor der Wohnungstür hergezogen sind, können hier sicher nicht mehr schwimmen gehen, sagt eine Passantin. "Ein paar Kinder vielleicht", ergänzt sie, "sollte im Sommer überhaupt noch ein Wasser da sein."

Der Anemonensee bei Wiener Neustadt ist zu einer Kiesgrube mit ein wenig Wasser in der Mitte verkommen.
Foto: Christian Fischer

Nicht nur wegen des Neusiedler Sees, der seit mehr als einem Jahr historische Tiefstände seit Beginn der Messungen aufweist, sind die Menschen besorgt. Auch die Grundwasserseen in Wiener Neustadt machten schon im vergangenen Sommer wegen ihrer niedrigen Wasserstände Schlagzeilen. Einige sind inzwischen komplett ausgetrocknet. "Das Gebiet um Wiener Neustadt lebt vom Schneeberg und von der Rax", erklärt Herbert Szinovatz, einst Leiter des Hauptreferates Gewässeraufsicht und Gewässerentwicklung im Land Burgenland. "Früher lag auf diesen Bergen bis in den Mai hinein Schnee, der dann die Mitterndorfer Senke mit Wasser versorgte. Jetzt gibt es dort oben aber kaum noch Schnee, und so kommt auch kaum mehr Wasser in die Gegend."

Grundwasserreservoir für Ostösterreich

Die Mitterndorfer Senke ist eines der größten Grundwasservorkommen Europas, rund 40 Kilometer lang und bis zu acht Kilometer breit. Aus ihr stammt das Leitungswasser im Raum Wiener Neustadt bis Mödling und im Nordburgenland. Derzeit sind die Grundwasserpegel in dieser Region unterdurchschnittlich niedrig, in Wiener Neustadt sogar auf einem Tiefststand. Die Fischa, die bei Haschendorf entspringt, ist das erste Mal seit Jahrzehnten trocken. Im Geschriebensteinmassiv wie auch im Leithagebirge ist das Wasser stark zurückgegangen. Für Szinovatz stellt sich die Frage, "wie weit der Wasserleitungsverband Einschränkungen machen muss. In Oberwart muss man bereits das Befüllen von Pools anmelden."

Im Föhrensee staubt es inzwischen beim Treetbootfahren.
Foto: Christian Fischer

Allzu konkret möchte der Technische Betriebsleiter des Wasserleitungsverbandes Nördliches Burgenland (WLV NB), Helmut Herlicska, bei der Frage nach Restriktionen nicht werden: "Der Trinkwasserverbrauch ist gesichert", sagt er. Sparmaßnahmen bei Hygiene oder dem sonstigen Haushaltsverbrauch seien nicht sinnvoll. Doch bei etwaigen Hitzeperioden im Sommer "kann es erforderlich sein, die Gartenbewässerung, Poolfüllungen, Autowaschen oder andere Outdoor-Verbräuche einzuschränken". Man lernt: Die aktuelle Situation ist von historischer Bedeutung.

Grundwassertiefststände

Insbesondere im südlichen Wiener Becken, das für die gesamte Region immens wichtig ist, wurde bereits im Vorjahr ein Hundert-Jahre-Tiefststand erreicht. "Der wird heuer leider noch um rund zwei Meter unterschritten", bestätigt Herlicska. Gleichzeitig beruhigt er: "Wir achten sehr darauf, dass durch unsere Entnahmen keine Übernutzung erfolgt." Insgesamt beträgt die Wasserförderung des WLV NB rund 16 Millionen Kubikmeter Wasser aus 49 Brunnen und Quellen.

Allein die Landwirtschaft entnimmt im Nordburgenland aus etwa 6.000 Feldbrunnen große Mengen. Wie viel genau, kann Herlicska vom Wasserleitungsverband nicht sagen, weil in diesem Fall keine Wasserzähler verwendet werden. Bereits im vergangenen Jahr gab es Unmut in der Bevölkerung, weil im heißen und trockenen Sommer viele Felder im Seewinkel in der Mittagshitze bewässert wurden, während nebenan die Salzlacken austrockneten.

Auch beim Neusiedler See ist der Wasserstand aktuell so niedrig wie noch nie um diese Zeit seit 1965. Die Pegel liegen aber deutlich über jenen vom vergangenen Sommer.
Foto: Christian Fischer

Schon damals kündigte der dafür zuständige burgenländische Landesrat Heinrich Dorner (SPÖ) an, dass man dieser Praxis einen Riegel vorschieben werde. "Bestehende Bescheide um Wasserrechte werden überarbeitet", sagt er. "Schon zu Beginn des heurigen Jahres ist festgelegt worden, dass es nicht mehr zu jeder Tageszeit zur Wasserentnahme kommen darf." Aktuell gebe es noch Gespräche mit der Landwirtschaftskammer, die die Maßnahmen unterstütze, beteuert Dorner. Aber er fordert auch, dass sich Landwirte anpassen müssen, statt mit Sprinkler zu beregnen, auf Tröpfchenbewässerung setzen und weniger wasserintensive Kulturen anbauen sollen.

Um den sorgsamen Umgang mit der Ressource Wasser der Landwirtschaft zu behandeln, könnte man mehr als ein eigenes Buch schreiben, sagt Andreas Pfaller, Referatsleiter für Pflanzenbau der Landwirtschaftskammer Österreich. Es passiere gerade sehr viel in diesem Bereich. Anbauverfahren würden geändert, um "die Verdunstung nach der Ernte so gering wie möglich zu halten". Man errichte mehr Windschutzanlagen, um die Verdunstung durch Wind zu reduzieren, und man setze vermehrt auf Tröpfchenbewässerung. Auch was die angebauten Pflanzen betrifft, wird umgedacht. Die Körnererbse ist aus Ostösterreichs Kulturlandschaft so gut wie verschwunden, ebenso Raps. Zu den "Gewinnern" zählen Sojabohne, Mais und Zuckerrübe. Vor allem Letztere habe im Vorjahr im Trockengebiet sehr gut gezeigt, was sie könne. Die Rübe stellt in der größten Hitze ihr Wachstum nahezu ein und wächst weiter, sobald es wieder kühler wird. Der Nachteil: Rübe, Mais und Soja benötigen sehr viel Wasser.

West-Ost-Gefälle

Die Lage ist wegen geringerer Niederschlagsmengen im Osten dramatischer als im Westen Österreichs. Die Salzburger Landesverwaltung sieht kein Problem in der Wasserversorgung. Die Trinkwasserpegel liegen im leicht unterdurchschnittlichen Bereich. Insgesamt liefern in Salzburg 4.376 Quellen sowie 557 Brunnen Trinkwasser an die Bevölkerung.

Probleme mit dem Trinkwasser gibt es hingegen in höheren Lagen. Schneearme Winter und hohe Temperaturen bedrohen die Wasserversorgung auf Berghütten. Im Vorjahr musste die Neue Prager Hütte im Nationalpark Hohe Tauern frühzeitig zusperren, weil kein Trinkwasser mehr verfügbar war.

Der Föhrensee ist fast ausgetrocknet, die Immobilienpreise fallen.
Foto: Christian Fischer

Im vergangenen August sind die Wasserpegel der Salzburger Seen wegen des ausbleibenden Regens und der anhaltenden Trockenheit merklich abgesunken. Der Wolfgangsee etwa lag knapp unter dem minimalen Tagesmittel seit 1990. Auch Fuschlsee, Mattsee, Wallersee und Zeller See lagen mit ihren Pegelständen klar unter dem Durchschnitt. Jene des Grundwassers waren vor allem im Flachgau am unteren Ende. Die Wasserversorgung in den Gemeinden war aber im Vorjahr noch gesichert.

In Tirol ist man, wie im Rest des Landes, um Beruhigung bemüht. Wasserknappheit ist "derzeit nicht in Sicht", berichtete das Land jüngst am Weltwassertag. In Tirol gibt es laut dem "Atlas des Tiroler Trinkwassers" 10.800 Quellen. Eine davon ist die Mühlauer Quelle.

Innsbruck braucht bald mehr

Sie liefert 90 Prozent des Trinkwassers für rund 150.000 Personen in der Landeshauptstadt. Doch Innsbruck wächst. In den nächsten 50 Jahren wird ein Anstieg des Wasserverbrauchs von über 30 Prozent vorhergesagt. Ende April 2022 nahm die Stadt deshalb rund 26 Millionen Euro in die Hand und baute die Mühlauer Quelle aus. Prognosen sagen, dass der Bedarf an Trinkwasser bis 2050 überall in Tirol steigen wird. Gleichzeitig geht der Wasserschatz um bis zu 20 bis 30 Prozent zurück.

In Wien indes ging seit den 1970ern der Wasserverbrauch zurück – obwohl die Bevölkerungszahl stieg. Ein Grund dafür ist unter anderem, dass es in Wien kaum Wasserverluste durch Leitungslecks gibt – die Stadt saniert Jahr für Jahr 30 Kilometer an Wasserleitungen, das ist kontinuierlich ein Prozent aller Leitungen. Es gebe also keinen Grund, über Restriktionen für die Bevölkerung nachzudenken, sagt Astrid Rompolt von Wiener Wasser. Die Stadt bezieht ihr Wasser ebenfalls aus dem Gebiet von Schneeberg und Rax, aber auch von der Schneealpe und dem Hochschwab.

Solange noch Wasser da ist, hat man es auf eigene Gefahr zu nutzen.
Foto: Christian Fischer

Insgesamt bewirtschaftet Wiener Wasser 70 Quellen und 30 Brunnen. Mit 31 Wasserbehältern kann ein Volumen von rund 1,6 Milliarden Liter Wasser gespeichert werden. Um für die Zukunft gerüstet zu sein, werden diese Speicher gerade saniert und auf ein Speichervolumen von rund zwei Milliarden Liter Wasser ausgebaut. Denn man rechnet mit einem Anstieg des Wasserbedarfs aufgrund des Bevölkerungswachstums. Aktuell zählen große Krankenanstalten wie das AKH und das Donauspital zu den größten Verbrauchern.

Österreichweit ist der größte Wassernutzer die Industrie, belegt die Studie "Wasserschatz Österreich". Sie benötigt 71 Prozent des Gesamtwasserbedarfs, die Landwirtschaft kommt auf rund vier Prozent, 24 Prozent entfallen auf die Wasserversorgung der Bevölkerung. Insgesamt werden in Österreich, laut Umweltbundesamt, 3,14 Milliarden Kubikmeter Wasser verbraucht. 1,9 Milliarden Kubikmeter entfallen auf Oberflächen-, 1,2 Milliarden auf Grundwasser. Blickt man jedoch nur auf den Wasserbedarf aus Grundwasser, zeigt sich ein anderes Bild: Demnach beträgt die Wasserversorgung der Bevölkerung 61 Prozent.

Nutzungskonflikte ab 2050

Die Studie zeige aber auch, dass "der aktuelle Wasserbedarf aus dem Grundwasser nachhaltig gedeckt werden kann", heißt es im Umweltbundesamt beruhigend. Verknüpft mit einer Warnung: "Durch die Auswirkungen des Klimawandels können aber die verfügbaren Grundwasserressourcen in Österreich bis 2050 um bis zu 23 Prozent abnehmen." Bis 2050 könnte der Bedarf im Land die regionalen Ressourcen übersteigen. "Dadurch können sich Nutzungskonflikte ergeben." Solche gab es im vergangenen Jahr schon im burgenländischen Seewinkel. Mehrere Stellen arbeiten gerade intensiv an der Lösung dieses Problems, die auch gleich noch den Neusiedler See vor Austrocknung retten soll.

Um den Neusiedler See wieder schiffbar zu machen, wurden im Winter mehr als 40.000 Kubikmeter Nassschlamm ausgebaggert. Dort, wo es notwendig war.
Foto: Christian Fischer

Eine Zuleitung von Donauwasser ins Grundwasser und in den See soll die Lage entschärfen, Rückstaumaßnahmen sollen das Abfließen von Wasser verhindern. Inzwischen ist auch die EU mit dabei, die Wassersituation im nördlichen Burgenland zu verbessern. "Life Pannonic Salt 2023" ist "ein Millionenprojekt zur Erhaltung der Salzlacken und der Verbesserung der Grundwassersituation im Seewinkel", sagt Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ). In den nächsten fünf Jahren fließen zwölf Millionen Euro aus EU, Bund und Land in das Vorhaben.

Zum alten Thema Wasserzufuhr sagt der zuständige Landesrat Dorner, es gebe inzwischen viele Studien und Erkenntnisse. Für die Zuleitung von Donauwasser in den Seewinkel und den Neusiedler See sind aktuell zwei Projekte in Arbeit.

Donauwasser für das Burgenland

Bekannter ist die Zuleitung von Wasser aus der Mosoni-Donau in Ungarn, wofür ein bereits bestehender Kanal verlängert und mit einer Pumpanlage ausgestattet werden muss. Die Verhandlungen mit den Ungarn laufen nicht nach dem Zeitplan der Burgenländer. Und im vergangenen Sommer protestierten Umweltschützer in den Auen der Mosoni-Donau gegen das Projekt, weil auch dort der Wassermangel augenscheinlich wurde.

Auch wenn die Lage am Neusiedler See aktuell nicht dramatisch ist – rosig ist sie auch nicht.
Foto: Christian Fischer

Die zweite Idee ist, Wasser aus der Donau in Niederösterreich ins Burgenland zu leiten. Da ohnedies eine Leitung für grünen Wasserstoff, der aus überschüssiger Energie gewonnen werden soll, vom Burgenland zur OMV nach Schwechat geschaffen werden soll, könnte man im Gegenzug auch gleich die Rohre für das Donauwasser verlegen. Auch hier laufen noch die Verhandlungen, die nicht nur das Land Niederösterreich, sondern auch Nutzer des Donauwassers unterhalb der Entnahmestelle betreffen, wie etwa Kraftwerke. Und die Zeit drängt.

"Lange Lacke vor dem Aus!", warnt Birdlife Österreich. Die Vogelschutzorganisation fürchtet das Austrocknen der bekanntesten Salzlacke im Burgenland. Der Seewinkel ist die niederschlagärmste Region Österreichs, und wasserintensive landwirtschaftliche Kulturen haben zugenommen. "Allein in den Jahren 2020/22 sind sage und schreibe 16,6 Quadratkilometer an bewässerter Fläche hinzugekommen", sagt Michael Dvorak von Birdlife. In den letzten 150 Jahren seien bereits 110 der ursprünglich 140 Lacken durch menschliche Eingriffe unwiederbringlich verlorengegangen. Das EU-Projekt könne nur ein erster Schritt sein.

Trockene Phase, die vergeht

Von anderer Stelle kommt wiederum Entwarnung: "In den vergangenen Jahren waren die Niederschlagsmengen eher unterdurchschnittlich, das ist aber nicht unbedingt ein Signal des Klimawandels", sagt Klaus Haslinger, Klimaforscher und Trockenheitsexperte. "Trockene Phasen hat es immer wieder gegeben", sagt er und verweist auf Frühjahre in den 1940er- und 1950er-Jahren.

Die aktuelle trockene Phase sei der Temperaturverteilung im Nordatlantik geschuldet, die bei uns wetterbestimmend sei. Der Klimawandel komme noch hinzu. Die aktuelle Trockenheit im Osten sei aber zum größten Teil dem Niederschlagsdefizit geschuldet. Erschwert wird die Situation, weil die Niederschlagsintensität zugenommen hat. Durch die Versiegelung der Böden können große Wassermengen, die in kurzer Zeit fallen, nicht versickern und werden über Flüsse abgeleitet.

Haslinger ist aber gegen allzu einfach gestrickte Erklärungen, weil sie ein verzerrtes Bild darstellten. "Was beim Klima passiert, ist kompliziert und lässt sich nicht, wie es oft passiert, auf eine Schlagzeile herunterbrechen." Er ist überzeugt, dass nach trockenen auch wieder nasse Phasen kommen werden.

Ein Bankerl zum Abwarten und Teetrinken.
Foto: Christian Fischer

"Fünf Jahre", schätzt Helga beim Blick in den Anemonensee. "So lange wird es dauern, bis wir da wieder schwimmen können. Mit etwas Glück und Regen drei Jahre." Inzwischen wird sie weiter von ihrer Wohnung in eine Kiesgrube mit ein wenig Wasser blicken. (Guido Gluschitsch, Maria Retter, Stefanie Ruep, 2.4.2023)