SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried rechtfertigte am Freitag die nicht voll besetzten SPÖ-Reihen während der Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Parlament am Donnerstag.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Wien – SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried verteidigt die schütter besetzten roten Reihen bei der Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Parlament am Donnerstag. Der Vorwurf einer gewissen Russland-Freundlichkeit in der SPÖ sei "sehr abstrus", meinte Leichtfried im APA-Gespräch. Es gebe hingegen "gewisse Vorbehalte gegen Veranstaltungen des Nationalratspräsidenten generell".

Selenskyjs Rede fand zwar im Nationalratssitzungssaal statt, allerdings im Rahmen einer "parlamentarischen Veranstaltung" und nicht des anschließenden Plenums. Schon vor einem Jahr hatte es Versuche der Neos gegeben, dem ukrainischen Präsidenten wie in vielen anderen Ländern auch die Möglichkeit zu geben, im Parlament zu sprechen – diese Initiative war allerdings am Widerstand der FPÖ gescheitert, auch die SPÖ zögerte damals zunächst.

Leichtfried: "Der Vorwurf ist für mich sehr, sehr abstrus"

Am Donnerstag protestierten die Freiheitlichen gegen die Ansprache, indem sie Taferln auf ihren Pulten platzierten, dem Redner den Rücken zukehrten und geschlossen den Saal verließen. Während alle Fraktionen die FPÖ für dieses Verhalten zurechtwiesen, fiel auch auf, dass bei der SPÖ knapp mehr als die Hälfte der Abgeordneten fehlten, darunter auch die außenpolitische Sprecherin und Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner – krankheitsbedingt, wie dann mitgeteilt wurde. Auffallend hoch war übrigens der niederösterreichische Anteil unter den Abwesenden.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht ab Minute 5:40.
DER STANDARD

Dass dies mit einem schwierigen Verhältnis mancher Linker zu Russland zusammenhängen könnte, wies Leichtfried zurück: "Der Vorwurf ist für mich sehr, sehr abstrus", verwies er auf das entsprechende Abstimmungsverhalten der SPÖ im Parlament. "Ganz klar, wir sind auf der Seite der Menschen in der Ukraine und gegen den brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine", unterstrich er.

Als Erklärung für die Abwesenheiten führte Leichtfried an, "es gibt gewisse Vorbehalte gegen Veranstaltungen des Nationalratspräsidenten (Wolfgang Sobotka, ÖVP, Anm.) generell". Gefragt, ob es ihm leidtue, welches Bild die SPÖ nun in dieser Sache abgebe, konterte Leichtfried: "Wenn man mir bei meiner Rede (nach Selenskyjs Ansprache, Anm.) zugehört hat, sind alle Klarheiten gegeben."

Blick in den Sitzungssaal während der Selenskyj-Rede.
Foto: APA/ROBERT JÄGER

SPÖ-Mandatarin sieht "Führungsversagen"

Im STANDARD stellte eine anonyme SPÖ-Mandatarin ein "Führungsversagen" der Klubspitze in den Raum – "das sehe ich nicht so", betonte Leichtfried. "Unsere Abgeordneten entscheiden immer für sich selbst, was sie tun." Dass auf den leeren roten Sitzen auch mehrere Klubmitarbeiter Platz genommen hatten, will Leichtfried nicht als Auffüllen der Lücken verstanden wissen: Er sitze ganz vorne, und "ich habe das gar nicht beobachtet", sagte er, und "selbstverständlich müssen Mitarbeiter auch irgendwo sitzen".

Unterschiedliche Abwesenheitsgründe

Scharfe Kritik an der hohen roten Abwesenheitsquote kam von den Neos, auch auf Twitter wurden die betroffenen Abgeordneten – etwa vom SPÖ-Urgestein Josef Ackerl aus dem äußerst linken Lager – aufgefordert, sich zu erklären. Und die Erklärungen waren durchaus bunt: Umweltsprecherin Julia Herr machte etwa "terminliche Gründe" geltend, warum sie nicht anwesend war – "dies ändert jedoch nichts an meiner klaren Positionierung zu diesem Thema".

Wehrsprecher Robert Laimer fühlte sich wiederum "nicht genug in den Prozess von Präsident Sobotka eingebunden", wie er dem "Kurier" sagte. "Ich stehe nicht zur Verfügung für den Missbrauch parteipolitischer Zwecke in unserem Land." Gleichbehandlungssprecher Mario Lindner wehrte sich gegen Verurteilungen und ließ in einem – mittlerweile gelöschten – Tweet wissen, "ich hatte Geburtstag, habe mit meinen Freund*innen gefeiert", außerdem habe er nach einer Zahnoperation "die Fäden herausbekommen".

Doskozil hätte Selenskyj "zugehört"

Der burgenländische Landeshauptmann und SPÖ-Chef-Kandidat Hans Peter Doskozil meinte in der "ZiB 2" Donnerstagabend jedenfalls, er hätte das Parlament nicht verlassen. "Ich hätte das ermöglicht und auch den Ausführungen des Herrn Präsidenten zugehört, das ist eine klare Positionierung, für mich ist das auch mit der Neutralität vereinbar."

ORF

Wiens Bürgermeister und SPÖ-Landesparteivorsitzender Michael Ludwig betonte am Freitagnachmittag im Gespräch mit Medienvertretern, dass er nicht sagen könne, ob die Kritik an der SPÖ-Fraktion berechtigt sei. Es sei ihm jedoch aufgefallen, dass die Wiener Abgeordneten anwesend waren. "Und von daher habe ich keine unmittelbare Veranlassung gehabt, noch genauer nachzufragen." Von anderen Mandataren wisse er nur, dass es unterschiedliche Gründe für das Fernbleiben gegeben habe.

Umfrage zeigt geteilte Meinung

Die Bevölkerung ist in der Frage des Selenskyj-Auftritts übrigens gespalten: Wie Meinungsforscher Peter Hajek für ATV bei 500 Teilnehmern und Teilnehmerinnen– im Vorfeld – erfragte, sind 49 Prozent der Befragten von der Rede des ukrainischen Präsidenten im Parlament nicht erfreut. Auf die Frage "Soll Selenskyj im Parlament per Video zugeschaltet eine Rede halten dürfen?" antworteten 27 Prozent "auf keinen Fall" und 22 Prozent, dass er "eher keine" Rede halten dürfte. 39 Prozent (19 Prozent "auf jeden Fall", 20 Prozent "eher ja") begrüßten im Vorfeld den Auftritt, zwölf Prozent hatten keine Meinung dazu.

Während sich die Mehrheit der SPÖ- (59 Prozent), Grün- (51 Prozent) und Neos-Wähler (50 Prozent) "auf jeden Fall" bzw. "eher" für den Auftritt Selenskyjs aussprach, waren 52 Prozent der ÖVP-Wähler und 75 Prozent der FPÖ-Wähler "auf jeden Fall" oder "eher" gegen dessen Auftritt. (APA, 31.3.3023)

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