Ihre Performerinnen reiten auf Rodeo-Bullen, treiben sich Nägel in die Nase oder zapfen sich Blut ab: Florentina Holzinger ist Kult.

Foto: Appolonia Bitzan

Ihre Performanceabende sind Kult und so ganz anders als alles, was man derzeit auf den internationalen Bühnen zu sehen bekommt. Florentina Holzinger kombiniert das Spektakel mit Aktionskunst, sie paart Akrobatik mit Feminismus, vereint Sex und Witz. Mit Ophelia’s Got Talent zeigt die Wienerin einen Abend, an dem sie alle Register der Popkultur zieht und so nebenbei einige Weiblichkeitsmythen dekonstruiert. Premiere feierte die Inszenierung an der Berliner Volksbühne, am 17., 18. und 19. April kommt sie als Veranstaltung des Tanzquartiers ins Wiener Volkstheater. Die Videofassung dieses StandART-Gesprächs finden Sie hier.

STANDARD: Sie lieben es, Grenzen zu überschreiten. Sind Sie gerne ein Bürgerschreck?

Holzinger: Ich wache nicht auf und denke: Ich will ein Bürgerschreck sein. Ich habe einfach Lust, Dinge auszuprobieren.

STANDARD: Haben Sie Lust an der Provokation, oder sind die von Ihnen aufgegriffenen Themen mit so vielen Tabus besetzt?

Holzinger: Aus meiner Perspektive hat die Provokation viel mit meinen Themen zu tun. Es stört mich nicht, Menschen mit Unangenehmem zu konfrontieren. Schock ist nicht immer negativ, er kann dazu führen, dass eine Perspektive gewechselt wird. Ich hoffe, es kommt dadurch zu einer Art Läuterung.

STANDARD: Glauben Sie an Katharsis?

Holzinger: Ich habe mich lange gegen diesen Begriff gewehrt, weil er ein romantisierender Oldschool-Begriff ist, mittlerweile kann ich mich damit anfreunden.

STANDARD: Im Zentrum all Ihrer Arbeiten steht der weibliche Körper. Sie malträtieren ihn, treiben ihn zu akrobatischen Höchstleistungen. Geht es um einen neuen Blick auf Frauenkörper?

Holzinger: Wir leben in einer Zeit, in der das Konzept von Weiblichkeit ganz allgemein hinterfragt wird, im Besonderen aber auf der Bühne, die für mich ein Labor für gesellschaftliche Utopien darstellt. Es geht mir weniger um die Hinterfragung von Weiblichkeit als um jene von Geschlechtervorstellungen – durchaus auch in einer historischen Perspektive. Dazu kommt meine eigene Biografie, da steckt natürlich viel Auseinandersetzung mit Weiblichkeit drinnen.

STANDARD: Sie arbeiten sich regelmäßig an männlich konnotierten Phänomenen ab, etwa an Martial Arts oder an Stunting. Ist das die biografische Komponente?

Holzinger: Ja, es macht Spaß! Männlichkeitsvorstellungen sind ein toller Spielplatz, um sich auszutoben und zu hinterfragen, was und wer man eigentlich ist. Im konventionellen Tanz geht es stark um Leichtigkeit oder Schwerelosigkeit. Mich hat immer auch die Gegenseite interessiert, daher meine Faszination für Stunting oder für Tanz und Gewalt.

STANDARD: Betreiben Sie selbst auch Kampfsport? Heben Sie Gewichte?

Holzinger: Mein Leben ist stark verwoben mit dem, was ich auf der Bühne mache. Kunst zu machen wäre sonst ja eine Qual. Das Spannende an meinen Choreografien ist die Frage: Welcher physischen Praxis will ich mich selbst unterziehen? Wenn ich aufwache und feststelle, dass ich mich heute in einen Ring stellen will, dann mache ich das. Was soll ich sagen: Ich bin ein Adrenalinjunkie! Aber meistens stellen sich die Leute meine Arbeit viel actiongeladener vor, als sie tatsächlich ist. Sie ist vielmehr das Resultat langer, disziplinierter Arbeit. Auf der Bühne wissen wir genau, was wir tun, und sind in der Regel nicht von unseren Impulsen gesteuert.

STANDARD: Welches Verhältnis haben Sie zu Ihrem eigenen Körper?

Holzinger: Ich war als Teenager und als Kind eine klassische Amateursportlerin, ich komme also weniger vom Tanz als vom Sport. Zur professionellen Karriere hat es aber nicht gereicht. Sport interessiert mich allerdings als choreografisches Mittel. Auch im Ballett habe ich mich exkludiert gefühlt, das war mit meinem Körper einfach nicht zu machen. Vielleicht stelle ich aus diesem Grund das System Ballett in meinen Arbeiten auf die Probe.

STANDARD: Meistens sind Ihre Performerinnen nackt, was in der Vergangenheit schon öfters Voyeure auf den Plan gerufen hat. Ist Ihnen Nacktheit so wichtig, dass Sie das in Kauf nehmen?

Holzinger: Ich fände es erschreckend, wenn mir diese Begleiterscheinungen die Lust an der Nacktheit nehmen würden. Mich bestärkt es eher, es bedeutet ja, dass der nackte Körper in bestimmten Kontexten instrumentalisiert wird. Es ist für mich ein Reality-Check, solange im Publikum Leute sitzen, die es geil finden, mir zwischen die Beine zu schauen.

STANDARD: Sie zeigen nicht dezidiert "schöne" Körper, wie beim klassischen Tanz, sondern ganz normale. Eine Provokation?

Holzinger: Ich zeige selbstbewusste Körper. "Normale" Körper sind schön.

STANDARD: Vom Ballett über Dante bis hin zu Shakespeare: Sie reiben sich am liebsten an der Hochkultur. Macht das mehr Spaß, als sich mit der Populärkultur auseinanderzusetzen, zu der Sie ja auch ein Naheverhältnis haben?

Holzinger: Ich bin darauf nicht stolz, aber es war schlichtweg eine Notwendigkeit, nachdem ich ja immer wieder in Theatern wie der Berliner Volksbühne arbeite. Es provoziert mich, mich jener Inhalte anzunehmen, die dort heimisch sind. Abgesehen davon, dass die Hochkultur in der Populärkultur allgegenwärtig ist. Man denke nur an Dantes Divina Commedia: Auch wenn man sie nicht gelesen hat, unsere Vorstellungen von Hölle und Himmel bauen darauf auf.

STANDARD: Wie darf man sich Florentina Holzinger vorstellen: auf der Couch Dante lesend oder doch eher vor einem Splatterfilm?

Holzinger: Definitiv beides und im Idealfall gleichzeitig.

STANDARD: Ihr Interesse für Sport beinhaltet ein Faible für Virtuosität. Worum geht es Ihnen? Zu zeigen, dass Sie es schlichtweg können?

Holzinger: Von klassischem Tanz erwartet man sich virtuose Bewegungen. Das kann man hinterfragen, indem man extreme Bewegungsabläufe zeigt oder indem man trainiert, bei einem Song bei Minute 2:20 vor Publikum zu urinieren. Das ist für mich auch virtuos.

STANDARD: Sie sind seit einiger Zeit Artist in Residence an der Berliner Volksbühne. Kann man sich dort überhaupt noch an Tabus abarbeiten, in Wien ginge das einfacher, oder?

Holzinger: Und ich dachte, in Wien haben die Leute schon alles gesehen! Durch den Wiener Aktionismus weiß sogar meine Großmutter, dass Fäkalien in einem Museum ausgestellt werden können. Mein Publikum in Wien war und ist sehr experimentierfreudig. Dadurch, dass wir in Berlin so viele Shows haben, ziehen wir auch ein Publikum an, dass normalerweise gar nicht ins Theater geht. In Wien spielen wir nicht im Repertoirebetrieb. Deswegen ist das hier nicht so.

STANDARD: Volksbühnen-Chef René Pollesch hat von Lydia Haider bis Marlene Engel eine ganze Gang an Österreicherinnen engagiert. Wie fühlt sich das an?

Holzinger: Für mich macht es keinen großen Unterschied, ob ich in Berlin oder in Wien arbeite. Ich gehe dorthin, wo man Interesse an meiner Arbeit hat. Österreicher zeichnet für Deutsche ein gewisser Charmefaktor aus, und wir gelten als rougher, subversiver. Aber da schwingt auch viel Ösi-Exotismus mit.

STANDARD: Was ist das Wienerische an Ihnen?

Holzinger: Die Unmöglichkeit, mit Emotionalem umzugehen. Deswegen ist das Künstlerische wahrscheinlich für mich auch eine so wichtige Ausdrucksweise. (INTERVIEW: Stephan Hilpold, 1.4.2023)