Diese optisch gewöhnungsbedürftige Farbkombination bringt viele in der SPÖ zum Strahlen. Doch für eine Ampel braucht es nicht nur linken Willen, sondern auch rechte Stimmen.

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Fünf demütigende Jahre in Opposition haben viele Sozialdemokraten die ÖVP hassen gelehrt. Bei den Parteimitgliedern dürfte die Abneigung noch größer sein als bei den Funktionären, wo der Glaube an sozialpartnerschaftliche Eintracht in einer großen Koalition nicht ganz verblasst ist. Kein Wunder also, dass die Bewerber um den Platz an der SPÖ-Spitze mit dem Versprechen einer Alternative zu punkten versuchen.

Es brauche eine Regierung abseits der ÖVP, proklamieren sowohl der betont linke Andreas Babler als auch der als Rechtsausleger punzierte Hans Peter Doskozil. Die beiden Herausforderer von Titelverteidigerin Pamela Rendi-Wagner landen bei derselben Schlussfolgerung: Erste Wahl sei eine Ampelkoalition aus SPÖ, Grünen und Neos.

Nur Stimmen sammeln reicht nicht

Die amtierende SPÖ-Chefin selbst stimmt in den Chor nicht ein, sie legt sich trotz anstehender Mitgliederbefragung öffentlich auf keine Variante fest. Doch das bedeutet nicht, dass PRW der Ampel abgeneigt ist. Zwar zählen zu ihren Unterstützern Wortführer von SPÖ Wien und Gewerkschaft, wo eine gewisse rot-schwarze Nostalgie überlebt hat. Doch wer ins Umfeld Rendi-Wagners hineinhört, nimmt auch dort eine Vorliebe für das Neue wahr. Mit Grünen und Neos ließen sich besser sozialdemokratische Anliegen durchsetzen, ist da etwa zu hören, oder klipp und klar: "Geht sich eine Ampel aus, machen wir sie."

Wer aber von den dreien hat die größten Chancen, den Plan in die Tat umzusetzen? Mit Stimmenmaximierung allein ist es noch nicht getan. Entscheidend wird sein, aus welchem Lager die Sozialdemokraten Menschen auf ihre Seite ziehen können. Rund sieben Prozent fehlten SPÖ, Grünen und Neos bei der Nationalratswahl 2019 auf die Ampelmehrheit. Wächst Rot nur auf Kosten der Partner in spe, ist machtarithmetisch nichts gewonnen.

Doskozils rechte Zugkraft

Diesen Umstand versucht jener Kandidat argumentativ zu nützen, den man auf den ersten Blick am wenigsten als Frontmann einer linksliberalen Regierung vermuten würde. Schließlich hat Doskozil von 2015 bis 2020 im Burgenland das Gegenteil – eine Koalition mit der FPÖ – geprobt. Doch dem Ex-Polizisten ist eben zuzutrauen, rechts der Mitte zu punkten – zumindest laut einer von seiner Landespartei selbst in Auftrag gegebenen Umfrage des Meinungsforschers Peter Hajek. Demnach könnte Doskozil weit mehr ehemalige ÖVP- und FPÖ-Wähler anziehen als Rendi-Wagner.

Das Argument scheint zu verfangen. Bei der jüngsten Sitzung des Wiener Ausschusses, eines Führungsgremiums der Stadt-SPÖ, ergriff Josef Cap das Wort. Auch Rendi-Wagner und Babler hätten seinen Respekt, hob der Langzeitpolitiker an: Doch wenn jemand im Moment imstande sei, Schwarz-Blau zu verhindern, "dann ist das der Doskozil".

Werde er dieser Tage auf der Straße angesprochen, dann sei der Tenor übrigens eindeutig, fügt Cap auf STANDARD-Nachfrage an. Erst neulich in einem Vösendorfer Supermarkt hätten ihn die Leute wieder gefragt: "Wann kommt Doskozil?"

Den Kreisky nachmachen

Ist der Landeschef aus dem Osten also geradezu als Ampelarchitekt prädestiniert? "Die These hat eine gewisse Plausibilität", sagt der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik. Weil es in Österreich eine strukturelle Mehrheit rechts der Mitte gebe, müsse ein SPÖ-Chef in ebendieses Lager ausstrahlen, um ein Übergewicht an Stimmen zu erreichen. Als Paradebeispiel gilt der rote Überkanzler Bruno Kreisky, der die Ära seiner Alleinregierung nur deshalb begründen konnte, weil er auch Konservative begeisterte.

Allerdings sei nicht gesagt, dass Doskozil sein Potenzial tatsächlich heben könne, fügt Ennser-Jedenastik an: Es könne ja auch gut sein, dass die SPÖ-Querelen den Ruf des Herausforderers nachhaltig beschädigen. Außerdem wird "Dosko" beim Buhlen um die Herzen der Genossinnen und Genossen womöglich Dinge versprechen müssen, die seine Wählerschaft in spe rechts der Mitte verschrecken könnten. Schon allein die Ampelansage kann Schaden verursachen.

Dazu kommt ein grundsätzlicher Einwand. Hat die Landtagswahl in Niederösterreich nicht eben bewiesen, dass am Ende die FPÖ profitiert, wenn Großparteien in einem Akt der Anbiederung mit harter Flüchtlingspolitik und anderen blauen Positionen zu punkten versuchen? Es gehe nicht darum, die FPÖ rechts zu überholen, hält Ennser-Jedenastik entgegen, die Überlegung hinter einem Modell à la Doskozil sei vielmehr: Durch das Image des Kandidaten solle es der SPÖ gelingen, in der Asyl- und Ausländerfrage weniger angreifbar zu sein – um einen klassisch sozialdemokratischen Wahlkampf führen zu können.

Die Wütenden ködern

Allerdings sind Mitte-rechts-Wähler nicht das einzige Reservoir, in dem die SPÖ zu fischen versuchen kann. 2019 schritt ein Viertel der Wahlberechtigten gleich gar nicht zu den Urnen. Offenbar, so klang es zuletzt in der Ö1-Sendung Im Klartext durch, macht sich gerade Babler Hoffnungen, bei dieser Gruppe zu punkten: Er wolle die Wut auffangen und eine Alternative für die Unzufriedenen sein.

Mit seiner hemdsärmeligen Art bringe der Traiskirchener Stadtchef manch gute Voraussetzungen für dieses Unterfangen mit, glaubt Politikforscher Ennser-Jedenastik. Lasse er mit konkreten Forderungen allerdings die linke Gesinnung durchschimmern, werde es zunehmend schwierig: Es sei anzunehmen, dass diese eher politikfernen, elitenskeptischen Menschen doch eher FPÖ-anfällig seien.

Eine Ampel für ein paar Wochen

Und Parteichefin Rendi-Wagner? Anders als Doskozil hat sie es nicht nötig, sich mit einer Ampelansage gegen den Vorwurf der Rechtslastigkeit zu wappnen. Dabei soll es auch bleiben, ist aus ihrem Lager zu hören, alles andere sei unklug. Eine Festlegung würde die SPÖ eines Druckmittels für etwaige Koalitionsverhandlungen berauben, so das Kalkül: Kann eine Partei mit dem Absprung zu einem anderen Partner drohen, lässt sich das Gegenüber zu Zugeständnissen zwingen.

Doskozils Ampelerzählung versuchen die Mitstreiter der Amtsinhaberin zu untergraben, indem sie auf den Subtext hinweisen. Schließlich hat der Konkurrent zwar eine Koalition mit Herbert Kickl, nicht aber mit der FPÖ an sich ausgeschlossen. Das sei Doskozils "Hidden Agenda".

Für sich selbst kann Rendi-Wagner eines reklamieren: Im Sommer und Frühherbst des Vorjahres hatte die damals besser liegende SPÖ laut Umfragen die gemeinsame Mehrheit mit Grünen und Neos erreicht – wie sich zeigen sollte, aber nur für kurze Dauer. (Gerald John, 1.4.2023)