Hans Peter Doskozil zieht mit einem festen Zug möglichst viel Luft in seine Lunge. Im Fernsehen klingt es, als würde er sie durch einen Strohhalm saugen. Dann positioniert er sich frontal vor der Kamera und beginnt zu sprechen. Um ihn herum drängen sich Journalistinnen, Videoteams, Fotografen, alle eng beieinander in dem schmalen Gang des Parlaments, die meisten stehen direkt neben Doskozil. "Was sagt er?", fragt einer in die Runde. Der Mann, der gerade zum obersten Sozialdemokraten des Landes aufsteigen möchte, war kaum zu verstehen in dem Trubel.

Mikrofon als Prothese

Die Szene wird live übertragen. Doskozil kommt gerade aus einer der zuletzt häufig gewordenen Beratungen der SPÖ. Im Fernsehen ist Doskozil deutlich hörbar, auch wenn er wie immer heiser klingt. Ein Mikrofon lässt sein Manko abklingen, es hat selbst für Menschen mit großem Stimmvolumen die Wirkung einer Prothese, wenn es rundherum laut ist.

Politiker wie Hans Peter Doskozil stehen oft im Zentrum von Medienanfragen. Eine starke Stimme kann dabei von Nutzen sein.
Foto: Heribert Corn

In einem ruhigen Raum ist der burgenländische Landeshauptmann problemlos verständlich. Gibt es Nebengeräusche, da kann ein Rascheln reichen, müssen sich die Anwesenden konzentrieren. Will ihn jemand absichtlich am Reden hindern, ihm das Wort nehmen, ist es Doskozil schwer möglich, rasch die Gesprächshoheit zurückzuerobern. So beschreiben es zahlreiche Genossen, die in den vergangenen Wochen viele Stunden mit ihm in Gremiensitzungen saßen. "Anfangs haben sich noch alle bemüht, ihm zuzuhören", erzählt ein Spitzensozialdemokrat. Diese Disziplin habe kontinuierlich abgenommen – durchaus mit Absicht.

"Es strengt mich nicht an"

In einer Sitzung des SPÖ-Vorstands vor ein paar Tagen soll Wiens Bürgermeister Michael Ludwig Tonprobleme gehabt haben. Großer Raum, viele Menschen, Getuschel, Geraschel – und Ludwig saß zu weit von seinem Mikrofon entfernt, als er sprach. Er müsse näher heran, habe ihm jemand zugerufen. So beschreiben es mehrere Anwesende. Das habe Ludwig, der wichtigste Unterstützer von Doskozils Kontrahentin Pamela Rendi-Wagner, getan und gesagt: "Eine laute Stimme ist in der Politik schon wichtig." Natürlich war es als Spitze gegen den Burgenländer gemeint. "Meine Stimme reicht, um Wahlen zu gewinnen", soll Doskozil geraunt haben. "Was man nicht von jedem hier behaupten kann." Schlagfertigkeit hat wenig mit Lautstärke zu tun.

Doskozil ist vor einigen Jahren erkrankt. Nicht lebensbedrohlich, aber chronisch. Er geht damit offen um. Sein Kehlkopf verknöchert. Es ist kein Krebs, wie er selbst betont. Den versuchen ihm seine Gegner immer wieder anzudichten. Es ist eine seltene Erkrankung, die mehr oder weniger unheilbar ist. Doskozil hat bereits drei Operationen am Kehlkopf hinter sich, die letzte fand vergangenen November statt. Das hört man. Seine Stimme klingt rau, er presst die Sätze mehr heraus, als dass er sie spricht. Mit Training kann er seine Stimmvarianz verbessern. Doch die Heiserkeit bleibt.

"Sänger werde ich nicht mehr"
Hans-Peter Doskozil

Hans Peter Doskozil selbst sagt zum STANDARD dazu: "Mich strengt es weder an noch bricht mir die Stimme weg, wenn ich öffentlich rede. Unbestritten ist, dass ich nicht die lauteste Stimme habe. Aber es sollte in der Politik nicht um laut oder leise gehen, sondern um richtig oder falsch."

Manche – vor allem auch in seiner eigenen Partei – sagen: So kann man keinen Wahlkampf bestreiten. Die Gegenthese lautet: Das hat Doskozil bereits. Im Jahr 2020 führte er die SPÖ Burgenland in die Landtagswahl. Das war kurz nach seiner zweiten Stimmbandoperation. "Sänger werde ich nicht mehr", sagte er damals. Die Wahl hat die SPÖ gewonnen, acht Prozentpunkte plus, Doskozil eroberte die absolute Mehrheit zurück. Damals stand Rendi-Wagner noch jubelnd neben ihm. Es war einer der wenigen Wahlerfolge unter ihrer Führung der Bundespartei.

Hans Peter Doskozil am Rednerpult.
Foto: IMAGO/SEPA.Media

Aber lassen sich die Bedenken von Doskozils Kritikern so einfach vom Tisch wischen? Ist ein österreichweiter Wahlkampf mit Gegnern wie FPÖ-Chef Herbert Kickl nicht doch etwas anderes? Was müssen Spitzenpolitiker mitbringen, um in dem gnadenlosen Geschäft der Politik zu bestehen? Oder ganz allgemein: Leben wir in einer Gesellschaft, in der Politiker immer perfekt funktionieren müssen?

Gegnerische Untergriffe

Ein Blick auf ein Gruppenbild der Staats- und Regierungschefs der EU zeigt: Die meisten europäischen Spitzenpolitiker sind männlich, mittleren Alters, normalgewichtig und dem Anschein nach gesund. Große Abweichungen von der Norm sind selten. Und werden Politiker krank, treten sie in der Regel zurück. Im März 2011 erlitt Josef Pröll, damals Vizekanzler, einen Lungeninfarkt. Im April verließ er die Politik. Ostern 2021 bekam der damalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober massive Kreislaufprobleme. Kurz darauf legte er das Amt nieder.

Ein Gegenbeispiel ist eine von Anschobers Vorgängerinnen: Sabine Oberhauser. Die SPÖ-Politikerin erkrankte als Gesundheitsministerin an Unterleibskrebs, blieb trotz Chemotherapie im Job – und verstarb im Februar 2017 als amtierende Ressortchefin.

Ein österreichischer Spitzenpolitiker, der von den Folgen eines Unfalls gezeichnet wurde, ist Norbert Hofer, ehemaliger FPÖ-Frontmann und Dritter Nationalratspräsident. Seit einem Paragleiterunfall geht Hofer mit Stock. Seine Beeinträchtigung wurde immer wieder von politischen Kontrahenten thematisiert – vor allem innerhalb seiner eigenen Partei. In jener Zeit, als Kickl die Übernahme der FPÖ von Hofer plante, wurden laufend Gerüchte gestreut, Hofer gehe es nicht gut – gesundheitlich. Einen Wahlkampf schaffe er nicht mehr, hieß es. Hofer gab die Parteispitze schließlich ab.

Aber sind diese Beispiele mit Doskozils Situation vergleichbar? Wohl nur bedingt.

Gefragt nach gegnerischen Untergriffen, sagt Doskozil selbst: "Wenn meine Stimme in der politischen Diskussion instrumentalisiert wird, ist es zwar nicht angenehm, aber damit kann ich leben."

Sechs Wochen ohne Stimme

Eine, die sich zumindest annäherungsweise in ihn hineinversetzen kann, ist Maria Rauch-Kallat. Die ehemalige Gesundheitsministerin und ÖVP-Politikerin hat 2006 nach einer schweren Kehlkopfentzündung beinahe ihre Stimme verloren – als Amtsträgerin. Rauch-Kallat war damals beruflich in Mexiko und kam krank zurück, erinnert sie sich. Vermutlich hatten ihr die Klimaanlagen zugesetzt. Mit einem Mal, erzählt sie, wurde Alltägliches wie Telefonieren für die Ministerin zu einem Ding der Unmöglichkeit.

"Pass auf, die Stimme ist das Wichtigste für einen Politiker", soll ihr Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel ins Gewissen geredet haben. Österreich hatte damals gerade die EU-Ratspräsidentschaft inne, die Vogelgrippe ging um. Der Terminkalender der Gesundheitsministerin war vollgepackt. "Es war extrem schwer", sagt Rauch-Kallat. "Ständige Dienstreisen, Peking, zurück, kalter Winter in Wien, hohe Temperaturen anderswo. Und ich bekam kaum einen Ton heraus." Nach sechs Wochen kam ihre Stimme zurück.

"Es geht mir nicht anders als vielen anderen Menschen, die mit einem gewissen Handicap ihren Job machen müssen."
Hans Peter Doskozil

Wie Doskozil mit seiner Krankheit umgeht, findet Rauch-Kallat gut. "Ein Handicap sollte aus meiner Sicht kein Hindernis für einen Politiker sein", sagt sie. "Das würde Menschen ausschließen." Wenn Doskozil selbst der Meinung sei, dass er die Spitzenpolitik durchhalte, "dann soll er es machen", ist Rauch-Kallat überzeugt. Wobei sie dazusagt: Kanzler oder Ministerin zu sein, das sei ein Fulltime-Job, der jedem gesundheitlich zusetze. "Egal, wie fit man ist, man hält das nur eine Zeit lang durch."

Aber was bedeutet "Wahlkampf" eigentlich konkret für Spitzenkandidaten?

Wahlkämpfe sind jedenfalls intensive, anstrengende und nervenzehrende Wochen. In Österreich, erklärt der Politikberater Thomas Hofer, komme eine hohe Anzahl an TV-Auftritten und Fernsehduellen hinzu. "Hierzulande hat sich ab 1994 eingebürgert, dass eigentlich jeder gegen jeden im Fernsehen antritt – und das inzwischen jeweils auf mehreren Sendern." Doskozil, sollte er Spitzenkandidat werden, müsste seinen Wahlkampf vermutlich anpassen, sagt Hofer. Ein Ausschlussgrund sei die Stimme nach Ansicht des Beraters auf keinen Fall. Wobei auch Hofer sagt: "Die Stimme ist eines der wichtigsten Werkzeuge eines Politikers."

Und Doskozil könnte es in einem TV-Duell mit Kickl natürlich so ergehen wie jetzt in parteiinternen Sitzungen: Wird ihm das Wort genommen, hat er schnell das Nachsehen. Andererseits: Macht es Kontrahenten sympathisch, wenn sie ein Handicap ausnutzen?

Die Rhetoriktrainerin Tatjana Lackner schult Stimmen für öffentliche Auftritte und weiß, worauf es grundsätzlich ankommt: "Ein guter Redner ist jemand, der uns nicht stört, während wir ihm zuhören", sagt sie. Da habe Doskozil aus ihrer Sicht ein großes Defizit. "Bei ihm muss man sich die Klangfarbe im Grunde selbst dazudenken." Er laufe Gefahr, dass es Menschen beim Zuhören ähnlich ergehe, wie wenn sie einem Konzert lauschten, das mit einem Rauschen übertragen werde. "Da drehen viele ab", sagt Lackner.

Vorteil im Wahlkampf

Anhänger Doskozils sehen das anders: Seine Stimme könne auch ein Asset sein. Auch deshalb, weil Doskozil seine Worte bewusster wähle. "Wenn er spricht, dann hat er etwas zu sagen", formuliert es der burgenländische SPÖ-Landesgeschäftsführer Roland Fürst. Auch ein ehemaliger roter Spitzenpolitiker sagt: "Er schwafelt nicht." Ein anderer Sozialdemokrat geht noch weiter in seiner Huldigung des Mankos: "Er könnte zum Tom Waits der österreichischen Innenpolitik werden", sagt er. Der Sänger Waits ist für seine raue Stimme bekannt.

Doskozil formuliert es auf Nachfrage des STANDARD recht lapidar so: "Es geht mir nicht anders als vielen anderen Menschen, die mit einem gewissen Handicap ihren Job machen müssen."

Anhänger Doskozils glauben, seine rauhe Stimme könne auch ein Vorteil im Wahlkampf sein.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Anders sein, das ist in der Politik nicht recht vorgesehen, das weiß auch der Berater Thomas Hofer. Es gebe etwa Untersuchungen aus den USA, dass Politiker mit Vollbart seltener gewählt würden. Berater und Strategen, die all diese Regeln kennen, hätten eine "Schere im Kopf": Einerseits sollen alle Politikerinnen und Politiker authentisch sein, andererseits gibt es viele Vorlagen, was gut ankommt und was nicht. "Natürlich hat das etwas von Streamlining", sagt Hofer. Bedeutet: Ein bisschen werden alle gleichgemacht.

Jeder hat ein Handicap

In ein Schema wollte sich Doskozil noch nie pressen lassen, seit er die politische Bühne betrat. Damals war seine Krankheit noch gar kein Thema. Als Verteidigungsminister unter Kanzler Christian Kern gerierte er sich als Hardliner in Migrationsfragen und wurde gerade noch davon abgehalten, Panzer zur Brenner-Grenze zu schicken, um Flüchtlinge aufzuhalten. Als Landeshauptmann setzte er sich dann als Vorzeigesozialist mit Hang zur Verstaatlichung in Szene. Ohne mit der Wimper zu zucken, legte er sich mit der Gewerkschaft an – oder auch mit der ganzen Partei. Bekannt wurde er als jener Sozialdemokrat, der einfach nicht still bleiben kann. Ausgerechnet.

Zuletzt fiel er durch mehrere Ansagen auf: Doskozil ist Verfechter einer Ampelregierung – und Koalitionsansagen sind in Österreich selten. Er plant einen Totalumbau der SPÖ-Bundesgeschäftsstelle. Sollte er bei der Mitgliederbefragung über den Parteivorsitz nicht Erster werden, will er sich nicht dem Parteitag stellen. Dann lässt er die Bundespolitik ruhen. Eines möchte sein Team vor dieser Entscheidung aber eigentlich nicht mehr: zu viel über seine Stimme sprechen.

Quereinsteigerin mit Potenzial

Man muss sagen: Jeder Politiker, jede Politikerin hat irgendein Handicap. Manche sind sofort ersichtlich, manche lassen sich besser verbergen. Selten sind sie körperlich, eher geht es um charakterliche Schwächen, fehlende Erfahrung oder schlechtes Handwerk.

Und manche Defizite, sagt Thomas Hofer, könne man auf die eine oder die andere Art auslegen. Ihm fällt in diesem Zusammenhang ausgerechnet Doskozils Kontrahentin Rendi-Wagner ein. Ihr werde bis heute angelastet, dass sie keine geborene Politikerin sei. Rendi-Wagner kam 2017 als Quereinsteigerin in die Politik. "Dieses Nicht-Politiker-Gen hätte sie auch zu ihrer Stärke machen können", sagt Hofer. Das habe sie jedoch erst gar nicht versucht. "Stattdessen hat sie eine Parteichefin gegeben, von der sie glaubt, dass sie sich das Publikum so erwartet."

Fest steht: Die Stimme wird Doskozils wunder Punkt bleiben – aber das weiß er selbst am besten. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 1.4.2023)